Christof Paulus: Bayerns Zeiten. Eine kulturgeschichtliche Ausleuchtung, Regensburg: Friedrich Pustet 2021, 615 S., 59 Farb-, 22 s/w-Abb., ISBN 978-3-7917-3278-7, EUR 34,95
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An Darstellungen über die bayerische Geschichte herrscht bekanntlich kein Mangel: Wer sich einschlägig zu den Irrungen und Wirrungen des späteren Freistaates informieren möchte, dem steht eine breite Auswahl an Literatur zur Verfügung, die von dickleibigen Handbüchern bis hin zu einem schmalen Bändchen von gerade einmal rund 100 Seiten reicht. Doch so unterschiedlich der Umfang und die Ausrichtung der genannten Werke auch ist, den zahlreichen Arbeiten zur bayerischen Geschichte sind zwei Merkmale gemein: Erstens sind sie üblicherweise chronologisch aufgebaut und zweitens in einem - wie Christof Paulus schreibt - oftmals "monarchischen Kammerton" abgefasst (9). Genau das möchte der Verfasser von "Bayerns Zeiten" vermeiden. Er betritt mit seinem Buch tatsächlich in mehrerlei Hinsicht Neuland, versucht er sich doch erstmals an einer Kulturgeschichte Bayerns. Eine streng chronologische Abfolge sucht man daher vergeblich, ebenso eine strikte Konzentration auf die Herrscher des Landes. Stattdessen wird dem aufmerksamen Leser eine leichtfüßige, essayistisch anmutende Darstellung geboten, die auch nicht von Anfang bis Ende gelesen werden muss, sondern die man an einer beliebigen Stelle aufschlagen kann. Dennoch lohnt sich nicht nur eine durchgängige Lektüre, sondern der Rezensent plädiert ausdrücklich dafür, das gesamte Werk zu lesen, da sein Verfasser es versteht, seine Kapitel und Abschnitte zu verzahnen. Kaum ein Aspekt der langen Geschichte Bayerns bleibt dabei unberücksichtigt.
In insgesamt zwölf Abschnitten präsentiert Paulus seine "kulturgeschichtliche Ausleuchtung". Gänzlich verzichtet er dann doch nicht auf Chronologie, denn jedes zweite der insgesamt zwölf Kapitel orientiert sich an einer fortschreitenden zeitlichen Richtschnur (oder "Tonleiter", um in der Diktion des Autors zu bleiben). Am Ende, so die Absicht des Autors, soll ein schlüssiges Gesamtbild Bayerns und seiner Geschichte stehen. Und das setzt Paulus bravourös um. Nicht nur lernt die aufmerksame Leserin oder der aufmerksame Leser - übrigens nach Meinung des Rezensenten durchaus auch ausgewiesene Landeshistorikerinnen und Landeshistoriker - sehr viel Neues. Was die vorliegende Darstellung aber fundamental von anderen Abhandlungen zur bayerischen Geschichte unterscheidet: Sie ist innovativ angelegt und bei der Lektüre wird man zugleich bestens unterhalten, denn das Buch liest sich ungemein flüssig. Das kann leider nicht allen Werken zur bayerischen Landesgeschichte in gleicher Art und Weise attestiert werden. Und man merkt Paulus seine Freude am Erzählen nahezu auf jeder Seite an. So entsteht ein Sog, der zur Lektüre einlädt, ja geradezu verleitet.
Um aus dem vielschichtigen Inhalt einige Beispiele zu präsentieren: Paulus verweist darauf, dass Bayern eine ausgesprochene "terra Mariana" war, da das regierende Herrscherhaus die Marienfrömmigkeit explizit förderte (42). So soll bereits Ludwig der Bayer kurz vor seinem Ableben die Gottesmutter angefleht haben. Aber auch sein Nachkomme, Maximilian I., brachte seine Verehrung Mariens durch das Aufstellen einer Statue für die "Patrona Boiariae" zum Ausdruck. Überdies verlangte dieser Herrscher von seinen Untertanen, stets einen Rosenkranz mit sich zu tragen. Doch auch auf die Rolle von Intelligenzblättern bei der Beförderung der Volksaufklärung (80) oder die Anfänge des Telefonnetzes in Bayern, das 1883 in München gerade einmal 145 Anschlüsse aufwies und noch geraume Zeit ein Luxusprodukt sein sollte (85), oder die Tatsache, dass Bayern schon immer ein Einwanderungsland war (142), wird verwiesen. Zudem werden bisher nur wenig thematisierte Bereiche der bayerischen Landeshistorie angesprochen, etwa die Geschichte der Homosexualität (314-321). Auch in dieser Hinsicht unterscheidet sich das Buch von Christof Paulus wohltuend gegenüber anderen Darstellungen zum selben Sujet. Aus geographischer Sicht finden sich alle heutigen Landesteile des Freistaats repräsentiert. Episoden aus der fränkischen Geschichte sind ebenso vertreten wie Anekdoten aus dem schwäbischen Landesteil.
Zur essayhaften Vorgehensweise von Paulus passt, dass auf Fuß- oder Endnoten gänzlich verzichtet wird. Trotzdem erlauben ausführliche und kleinteilig für jedes Kapitel ausgebrachte Literaturhinweise (521-547) ein schnelles Auffinden der verwendeten Forschungen und ermöglichen somit ein umfassendes Weiterlesen zu jedem Thema. Zudem erschließen detaillierte Register (Personen-, 549-575, Orts-, 576-595, und Sachregister, 596-613) den Band nachgerade mustergültig.
Christof Paulus hat ein ungewöhnliches und neue Perspektiven eröffnendes opus magnum vorgelegt, das ohne Zweifel künftig zu den Standardwerken der bayerischen Landesgeschichte zu zählen ist. Es wird - obgleich in der Anlage gänzlich verschieden - in einem Atemzug mit den inzwischen klassischen Darstellungen von Benno Hubensteiner, Karl Bosl oder Andreas Kraus genannt werden. Denn seinem Verfasser gelingt das gerade innerhalb der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft vergleichsweise selten auftretende Kunststück, seine dargebotene Thematik ausgesprochen kurzweilig und auf ungewohnt lesenswerte Weise vorzutragen. Allen nur halbwegs an der bayerischen Geschichte interessierten Leserinnen und Lesern kann man dieses Buch daher nur wärmstens empfehlen. Der Rezensent wird jedenfalls nicht nur seinen Studierenden nachdrücklich zur Lektüre dieses Buches raten.
Bernhard Lübbers