Jörg Jochen Berns (Hg.): Von Strittigkeit der Bilder. Texte des deutschen Bildstreits im 16. Jahrhundert. Band 3 (= Frühe Neuzeit. Edition Niemeyer; Bd. 184.3), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2023, XIX + 748 S., ISBN 978-3-11-077989-9, EUR 169,95
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Anzuzeigen ist der abschließende Band der nun dreibändigen Dokumentensammlung zum weitgehend deutschsprachigen Bildstreit im 16. Jahrhundert. Erarbeitet und herausgegeben wurde die Sammlung von Jörg Jochen Berns, der bis 2001 in Marburg Neuere deutsche Literaturwissenschaft gelehrt hat. Als ein in Jahrzehnten nahezu im Alleingang entstandenes Werk stellt es eine exzellente Forschungsleistung dar, diesseits aller 'Exzellenzcluster'. Die Bände I und II sind 2014 als durchgehend paginierte Teilbände erschienen [1], und alle drei Bände bieten nun auf mehr als 1700 Seiten insgesamt 99 Texte aus dem Zeitraum zwischen 1480 und 1620, also der Reformationszeit und der Prozesse der Konfessionalisierung (sowie auch Tendenzen einer Dekonfessionalisierung etwa bei Radikalen wie Eberlin von Günzburg, der im III., oder 'Spiritualisten' wie Caspar von Schwenckfeldt, der in Band II vertreten ist).
Der neue Band III enthält 39 Texte, wie in den anderen Bänden von verschiedenem Umfang, einige von nur wenigen und durchschnittlich von etwa 15-30 Seiten; Beispiele für Ausnahmen sind in Band I die Entgegnung von Hieronymus Emser auf Karlstadts Von abtuhung der Bylder (1522), Heinrich Bullingers Vom Ursprung aller Irrthumben (lat. 1529, in der Übersetzung von 1574) oder des Konstanzer Bischofs Hugo von Hohenlandenberg Christenliche underrichtung die Büldnüssen betreffend (1524), alle von etwa 50 Seiten, und in Bd. II umfasst Johann Arndts deutsche Ikonographia von 1597 mehr als 60 Seiten, die Auszüge aus Hippolyt Guarinonius' Greuel der Verwüstung des menschlichen Geschlechts (1610) fast 50, und dem Kapitel Von den Bildern aus dem Examen Decretorum Concilii Tridentini (Teil 2, 1573, in der Übersetzung von 1576), der maßgeblichen Auseinandersetzung des braunschweigischen Theologen und Reformators Martin Chemnitz mit den Beschlüssen von Trient, werden nicht weniger als 100 Seiten zugestanden. Bei der Auswahl der Texte sollte keine der konfessionellen Parteien bevorzugt werden, und es wurden auch (zu wenige) Stimmen berücksichtigt, die keiner theologischen Korporation zugehören (wie Dürer, Erasmus, Sebastian Franck, Paracelsus). Man hätte hier an Giordano Bruno denken können, der seine Häretiker-Karriere damit begann, dass er als junger Mönch in Neapel die Heiligenbilder aus seiner Zelle entfernte. [2] Die Textgenres umfassen Predigten, katechetische Schriften, mystisch inspirierte Zeugnisse (etwa Meditationsanweisungen), enzyklopädische Texte, (sehr wenige) Texte zur Bildkunst / Ästhetik des Bildes, Reimtexte (darunter auch Satirisches) und "Sendbriefe", die wie die gereimten Texte oft in Form von Flugschriften gedruckt wurden. Besonders nützlich sind die wiederholten Hinweise auf "Referenztexte" aus der älteren biblisch-kirchlichen Tradition, 'loci classici', von denen wenigstens drei in Auszügen einbezogen wurden: Kapitel aus dem früher König Salomon zugeschriebenen Buch der Weisheit (II, Nr. 59), der Jeremias-Brief (III, Nr. 99a/b) sowie vor allem drei Briefe Papst Gregors des Großen aus dem 6. Jahrhundert mit der topischen "Gregorsformel": "Nam quod legentibus scriptura, hoc idiotis praestat pictura cernentibus" (Denn was die Heilige Schrift denen leistet, die lesen können, das leistet das gemalte Bild den Ungelehrten, wenn sie es betrachten) (II, 1060f.). Es fehlt leider ein Auszug aus einem nicht weniger maßgeblichen Referenztext: dem Rationale divinorum officiorum des Durandus (Guillaume Durand), einem liturgiewissenschaftlichen Werk aus dem 13. Jahrhundert. [3]
Sofern größere Quellenwerke Berücksichtigung finden, erfolgte die Wahl von Textausschnitten auch deshalb großzügig, weil nach Möglichkeit die weiteren Kontexte und die komplexen Argumentationszusammenhänge über die Bilderfrage jeweils deutlich werden sollten. Der Herausgeber trägt damit den zentralen Absichten seiner Sammlung Rechnung, die in der möglichst breiten Dokumentierung einer frühneuzeitlichen Mediendebatte bestehen. Um deren Erläuterung in ihrer ganzen Tragweite und nicht zuletzt um deren begriffliche Erschließung geht es in den kommentierenden Anmerkungen sowie den Begleittexten und Anhängen zu den drei Bänden: vor allem in der Einleitung zu Band I (1-10) und im ausführlichen ersten Nachwort in Band II (1065-1213), das durch ein Zweites Nachwort zum neuen Band III (681-718) ergänzt wird. [4] Dabei gelten die Einleitung mit Einschluss der Angaben zur Präsentation und Einrichtung der Texte (I, 11-13), das erste Nachwort sowie darin der Anhang mit dem Quellenverzeichnis und der Bibliographie der Forschungsliteratur (beides in Band III ergänzt) auch für den neuen Band, dessen Zweites Nachwort "vor allem Bedingungen und Wirkungen der Bildstreittexte von innen, also aus den Dokumenten selbst", eruieren möchte (III, 683). Das alles bedeutet freilich auch, dass der neue Band III ohne die beiden früheren Bände nur eingeschränkt benutzbar ist.
Der "deutsche Bildstreit" war ja, das ist die zentrale These und die leitende Perspektive des ganzen Opus, "nicht lediglich eine Reprise des anderthalb Jahrtausende alten Streits zwischen Ikonodulen und Ikonoklasten, der nun an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit einmal mehr aufgeflammt wäre." Die spektakulären 'Bilderstürme', die "Exekution" von Bildern (und häufig auch Büchern) als Inszenierung, oft in signifikanter Verbindung mit Judenpogromen und einer erneuerten Marienverehrung, werden im ersten Nachwort ausführlich behandelt (II, 1207-1211), rücken jedoch deutlich aus dem Zentrum. Zwar tritt auch jetzt so gut wie kein 'neues' Argument auf, das der antiken und biblischen Tradition fremd gewesen wäre. Doch treffen diese alten Argumente (zu Wirkungserwartungen, Wert- und Funktionsbestimmungen usw.) "auf neue Wirklichkeiten" - und es ist kein Zufall, "dass der Bildstreit in Deutschland, dem Ursprungsland des (Buch- und) Bilddrucks, ausbrach": "Diese neuen Wirklichkeiten, die [...] das irritierende Substrat des deutschen Bildstreits bilden, sind primär psychologischer, technischer und geopolitischer Natur". (I, 10) Deutlich zu machen, dass dieser Bildstreit wesentlich im deutschen Sprachraum und in deutscher Sprache ausgetragen wurde, gehört zu den wichtigsten Anliegen des Herausgebers, und man war auch deshalb bestrebt, die wenigen lateinischen Texte, die für die Sammlung in Frage kamen, möglichst in einer zeitgenössischen deutschen Übersetzung einzubeziehen. "Die Erschütterung der Bildkommunikation erregte alle", "deshalb wurde der deutsche Bildstreit in deutscher Sprache ausgetragen. So konnten alle daran teilhaben". (II, 1212f.) Es könne, heißt es erneut im Zweiten Nachwort, "von einer originär deutschen und gemeindeutschen Debatte in kulturpatriotischem Kommunikationsinteresse" gesprochen werden, "das auch einen Aufwertungsprozess der deutschen Sprache in sich begriff". (III, 686)
In der umfassenden Vielfalt der sorgfältig präsentierten Dokumente und zumal durch die prägnanten und innovativen Interpretationen in den Anhängen sind die drei Bände eine konkurrenzlose Leistung. Sie wird von der ungewöhnlichen Menge an Satz- und Druckfehlern im neuen Band III, die dem Verlag kein gutes Zeugnis ausstellen, natürlich nicht angetastet. Zu begrüßen wäre eine separate Buchpublikation der Einleitung und der beiden umfangreichen Nachworte, die es wert sind, auch einem größeren Publikum zugänglich gemacht zu werden.
Anmerkungen:
[1] Jörg Jochen Berns (Hg.): Von Strittigkeit der Bilder. Texte des deutschen Bildstreits im 16. Jahrhundert (= Frühe Neuzeit. Edition Niemeyer; 184.1/184.2), 2 Bde., Berlin / Boston 2014.
[2] Vgl. jüngst Volker Reinhardt: "Der nach den Sternen griff". Giordano Bruno. Ein ketzerisches Leben, München 2024.
[3] Zu Durandus vgl. Kirstin Faupel-Drevs: Vom rechten Gebrauch der Bilder im liturgischen Raum. Mittelalterliche Funktionsbestimmungen bildender Kunst im 'Rationale divinorum officiorum' des Durandus von Mende (1230/1-1296), Leiden / Boston / Köln 2000.
[4] Dass die frühneuzeitliche Mediendebatte seit langem im Zentrum der Forschungsinteressen des Herausgebers steht, lässt sich auch aus diesem Band entnehmen: Thomas Rahn / Hole Rößler (Hgg.): Medienphantasie und Medienreflexion in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Jörg Jochen Berns (= Wolfenbütteler Forschungen; 157), Wiesbaden 2018; Vgl. die Besprechung von Harriet Rudolph in sehepunkte 20 (2020), Nr. 11 [15.11.2020], https://www.sehepunkte.de/2020/11/33125.html.
Herbert Jaumann