Anne-Kristin von Dewitz: Transatlantis. Der öffentliche Intellektuelle John Kenneth Galbraith und Deutschland (1945-1979) (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 139), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2023, VI + 339 S., ISBN 978-3-11-108619-4, EUR 79,95
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John Kenneth Galbraith (1908-2006) gehört zu den bekanntesten Wirtschaftswissenschaftlern und Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Berühmt geworden ist er vor allem durch sein Buch "The Affluent Society". In diesem 1958 zuerst veröffentlichten Bestseller, der sich insgesamt mehr als eine Millionen Mal verkaufte, formulierte er eine Kritik an einer Überflussgesellschaft, die am Missverhältnis von privatem Reichtum und öffentlicher Armut kranke. Bereits zuvor war seine Darstellung und Beurteilung der Weltwirtschaftskrise von 1929 unter dem Titel "The Great Crash" zu einem viel verkauften Standardwerk avanciert. Im Jahr 1967 landete er mit "The New Industrial State" - ebenso mit der deutschen Ausgabe "Die moderne Industriegesellschaft" - einen weiteren Publikumserfolg.
Der Ökonom Richard Parker veröffentlichte 2005 die maßgebliche Biografie zu der Jahrhundertfigur John Kenneth Galbraith. Anne-Kristin von Dewitz fügt dieser so ausführlichen wie genauen Lebensbeschreibung manchen Mosaikstein hinzu. Das kann ihr auch deswegen gelingen, weil sie in akribischer Weise amerikanische und deutsche Archive ausgewertet hat - darunter nicht zuletzt die in der JFK Library aufbewahrten "John Kenneth Galbraith Personal Papers". Wer sich zuvor noch nicht näher mit ihm beschäftigt hat, erhält durch Dewitz' Darstellung einen akkuraten Überblick zu Galbraiths Werk und Wirkung. Sie lässt die verschiedenen Rollen, die ihr Protagonist während seines Lebens eingenommen hat, plastisch hervortreten. Über den Regierungsberater ist ebenso etwas zu erfahren wie über den Journalisten, den Wirtschaftswissenschaftler und vielgelesenen Sachbuchautor, der auch Romane schrieb, schließlich über den Gesellschaftskritiker und öffentlichen Intellektuellen.
Es ist diese zuletzt genannte Rolle, die die Autorin besonders interessiert. Sie touchiert dabei inneramerikanische Diskussionen; ihr konzentrierter Blick fällt allerdings auf Galbraiths Verbindungen nach und Wirkungen auf Deutschland und dortige Debattenzusammenhänge. Sie liefert mit ihrer Münchner geschichtswissenschaftlichen Dissertation ein gelungenes Beispiel für eine transatlantische intellectual history. Die Stärke der Studie besteht darin, dass sie nicht im Sinne einer zum Biographismus neigenden Personenstudie allein ihren Helden ins Rampenlicht stellt, sondern nach den Kontexten und Wirkungsmöglichkeiten für seine Ideenwelten fragt und so einen breiten konstellationsgebundenen Rahmen zimmert.
In direkten Kontakt mit Deutschland kam Galbraith am Ende des Zweiten Weltkrieges als Mitarbeiter des "United States Strategic Bombing Survey". Er gelangte dabei zu dem für die Vereinigten Staaten eher ernüchternden Ergebnis, dass die breitflächigen Bombenangriffe eine geringere Wirkung entfalteten als gemeinhin angenommen. Während seines Deutschlandaufenthaltes vernahm er auch Hitlers früheren Rüstungsminister Albert Speer ausführlich und erahnte frühzeitig dessen exkulpierende Strategie. In die Vereinigten Staaten zurückgekehrt arbeitete er im "Office of Economic Security Policy". Dieses Engagement und seine Positionierung zwischen den Welten aus Wissenschaft und Politik erschwerten zunächst seine Universitätskarriere. Nach einigem Hin und Her reüssierte er aber als Professor an der Harvard University.
Der Lehrstuhl an einer der renommiertesten Universitäten der Welt war eine wesentliche Grundlage für Galbraiths Autorität. Jemand, der es dort geschafft hatte, genoss ein hohes Ansehen. Was er zu sagen hatte, wurde gehört. "Autorität" wählt die Autorin neben den Kategorien "Präsenz" und "Faszination", um besser nachvollziehbar zu machen, weshalb Galbraith als Intellektueller einen so großen Wirkungsradius besaß. Frühzeitig war er sehr medienaffin, wirkte sogar als Redakteur der Wirtschaftszeitschrift "Fortune" und besaß die Fähigkeit, wissenschaftlich fundierte Thesen in einer Sprache vorzutragen, die auch ein breiteres interessiertes Publikum verstand. Diese Präsenz wurde in glücklicher Weise durch das flankiert, was die Autorin unter dem Begriff "Faszination" fasst. Dieses Momentum wurde nicht zuletzt dadurch gespeist, dass Galbraith Erfahrungen im politischen Tagesgeschäft sammelte. Am deutlichsten kam dies zum Ausdruck, als er John F. Kennedy mit Rat und Tat zur Seite stand. Mit den Aufmerksamkeit und Standing suggerierenden Stichworten "Harvard" und "Kennedy" wurde er beim deutschen Publikum regelmäßig eingeführt.
Die eigentliche Geschichte des grenzüberschreitenden, globalen Intellektuellen beginnt mit dem Welterfolg des Buches "The Affluent Society". Wie auch für spätere Veröffentlichungen Galbraiths zeichnet die Autorin die Rezeptionsgeschichte auf verschiedenen Ebenen nach. Um sie in ökonomischen Fachkreisen genauer nachzuvollziehen, würdigt sie zwei unterschiedlich ausgerichtete Zeitschriften: zum einen das Organ "Ordo", das in theoretischer Hinsicht das deutsche Modell der Sozialen Marktwirtschaft untermauerte, zum anderen das weiter links anzusiedelnde "Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik". Um die Medienwirkung im weiteren Sinne zu erschließen, geraten Zeitungen wie die "Frankfurter Allgemeine" und "Die Zeit", aber auch "Der Spiegel" in den Blick, zudem das bundesdeutsche Verlagswesen sowie Radio- und Fernsehproduktionen. Darüber hinaus würdigt von Dewitz weitere Arenen, in denen Galbraith auftrat und/oder verhandelt wurde, wie etwa den Bergedorfer Gesprächskreis, die Evangelische Akademie Loccum oder diverse Managementseminare.
Schließlich sucht Anne-Kristin von Dewitz nach unmittelbaren Verbindungen in die handelnde Politik hinein. Daraus ist eines der ertragreichsten Kapitel entstanden, nämlich zur Wechselbeziehung von John Kenneth Galbraith und Karl Schiller, Wirtschaftswissenschaftler und sozialdemokratischer Bundeswirtschaftsminister zwischen 1966 und 1972. Mit leicht ironisch-süffisantem Unterton sagte Galbraith einmal, bei Schiller habe es sich um seinen "gelehrigsten Schüler" (172) gehandelt. Persönlich kannten die beiden sich seit den späten 1950er Jahren. Sie verband eine keynesianische Grundüberzeugung und der Wunsch danach, als so etwas wie "ökonomische Erzähler" (186) zu fungieren, die Wirtschaft verständlich zu machen und sie politisch, gesellschaftlich und öffentlich zu disputieren. Auch strebten sie danach, die Sphären aus Wissenschaft und Politik näher zusammenrücken zu lassen. Zudem setzten sie auf die Kraft und Macht der Sprache.
Gerade Galbraith hatte wiederholt Formulierungsgabe und Sprachwitz bewiesen. Zu von ihm geprägten Begriffen, die bis in die Alltagssprache einsickerten, gehören "Überflussgesellschaft", "Gegenkräfte", "Technostruktur" und "Lebensqualität". "Galbraiths raffinierte Melange aus sprachlichem Talent, belastbarem Wissen und politischer Gestaltungsnähe", resümiert von Dewitz ihre beziehungsgeschichtlichen Ausführungen, "bot dem häufig spröden Schiller Anknüpfungspunkte für sein eigenes Erfolgsportfolio" (202). Skeptisch bis kritisch begegnete der deutsche Minister und Ökonom allerdings mancher ihm zu nonchalant vorgetragenen These des gesellschaftsdiagnostisch gestimmten Intellektuellen, der den akribischen ökonomischen Analytiker und Theoretiker kaum noch erkennen ließ.
Der andernorts - so in der F.A.Z. und im "Ordo" - unverblümt geäußerten Infragestellung von Galbraiths wirtschaftswissenschaftlicher Expertise stand die Tatsache entgegen, dass er noch 1972 zum Präsidenten der "American Economic Association" avancierte. In der Bundesrepublik war er zudem in der Phase seiner abnehmenden Ausstrahlung gerade als Redner in nicht sonderlich links geprägten Managementsymposien gefragt. Und doch nahm seine Resonanz während der ausgehenden 1970er Jahre deutlich ab, weshalb die Autorin hier einen zeitlichen Endpunkt ihrer Studie setzt. Die Wochenzeitung "Die Zeit", die Galbraith über Jahrzehnte hinweg gewogen begegnet war und ihm regelmäßig die Spalten des Blattes geöffnet hatte, nannte ihn 1976 den "zornigen grand old man unter den US-Ökonomen": Er werde "zwar viel gehört, doch nie befolgt" (273).
Anne-Kristin von Dewitz hat eine mustergültige, gut lesbare und intensiv quellengestützte intellectual history zu Galbraith und Deutschland geschrieben. Dabei herausgekommen ist eine facettenreiche transatlantische Beziehungsgeschichte, obwohl Galbraith, wie die Autorin mehrfach betont, "kein exponierter Transatlantiker" (299) war. Ein entsprechendes, wertegestütztes Programm besaß er nicht. Ob sein Verhältnis zur Bundesrepublik einen Sonder- oder Normalfall verglichen mit anderen postfaschistischen, zunehmend westlichen Ländern darstellte, erfahren wir leider nicht. Auch hätte man gerne etwas zu Echos und Reaktionsweisen in der DDR erfahren, zumal sich Galbraith selbst gerne, wenngleich einigermaßen kokett, als "Sozialist" bezeichnete. Sympathien für den Osten hatte er, der einen exquisiten Lebensstil pflegte, allerdings keine. Der pragmatische Linke - so sehr er bisweilen mit konvergenztheoretischen, Dritte-Wegs- und Planungs-Ansätzen liebäugelte - bekannte sich zur Politik der Sozialdemokratie. Kommunistischer Einparteienherrschaft konnte er nichts abgewinnen.
Trotz aller Anfeindungen und Meinungsunterschiede blieb auch im Spektrum seiner Gegner einiges von seiner Autorität, Präsenz und Faszination erkennbar. Das unterstreicht ein schöner Quellenfund der Autorin: Im Oktober 1978 heißt es in einem an sich schon bemerkenswerten Glückwunschtelegramm des CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl an Galbraith zu dessen 70. Geburtstag: Trotz aller Diskrepanzen bei ordnungspolitischen Lösungsmodellen habe er - Galbraith - schon aufgrund seines "kritischen Sachverstands" die "Anerkennung" und den "Respekt" der CDU verdient. "Ihre Ideen und Kreativität", ließ Kohl ihn wissen, "sind eine wertvolle und unverzichtbare Bereicherung der wissenschaftlichen und politischen Meinungsvielfalt" (275). Dieses unerwartete Zeugnis würdigte einen eigenwilligen intellektuellen Kopf, der seinen Nonkonformismus aber nie auf die Spitze trieb, ein feines Gespür für den Zeitgeist besaß und bei allem, was er tat und äußerte, auf Wirkung - und wenn in Form von Kritik - bedacht war.
Alexander Gallus