Kurt Andermann / Gerrit Jasper Schenk (Hgg.): Bauernkrieg. Regionale und überregionale Aspekte einer sozialen Erhebung (= Kraichtaler Kolloquien; Bd. 14), Ostfildern: Thorbecke 2024, 275 S., 1 Farb-, 1 s/w-Abb., ISBN 978-3-7995-9284-0, EUR 29,00
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Angesichts der blutigen Bilanz des so genannten "deutschen Bauernkriegs" fällt es zwar schwer, im Hinblick auf das Erinnerungsjahr 2025 von einem 500jährigen Jubiläum zu sprechen. Es ist jedoch nicht nur legitim, die erstmalige Formulierung elementarer Menschenrechte in den Memminger Zwölf Artikeln vom März 1525 zu feiern, sondern auch den Gesetzmäßigkeiten der aktuellen Erinnerungskultur zu folgen und das unmittelbar bevorstehende halbe Millennium zum Anlass zu nehmen, sich erneut mit Ursachen, Verlauf und Folgen dieser "Revolution des Gemeinen Mannes" zu befassen. [1] Zu den ersten, die das auf wissenschaftliche Weise getan haben, zählt ein kleiner Kreis von Historikerinnen und Historikern, die unter der Leitung von Gerrit Jasper Schenk und Kurt Andermann während der 14. Auflage der Kraichtaler Kolloquien vom 6. bis 8. Mai 2022 das Thema Bauernkrieg aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchteten.
Am Anfang des jetzt vorliegenden Tagungsbands steht der Beitrag von Gerrit Jasper Schenk, der gleich die Grundsatzfrage stellt: "Was wollten die Bauern?" (11-43) Zur Beantwortung zerlegt er zunächst das in der bisherigen Forschung gezeichnete Bild des Bauernkrieges, um es anschließend in überzeugender Weise neu zu konstruieren. Im Mittelpunkt steht dabei eine Interpretation der Zwölf Artikel, die statt der bislang präferierten religiösen bzw. sozialpolitischen Deutung die "zugrunde liegenden Ressourcenkonflikte" (42) in den Vordergrund stellt, was Schenk am Beispiel des Ringens um die Allmende näher erläutert. Dass die von ihm damit vorgeschlagene umwelthistorische Lesart des Bauernkrieges eine "zeittypische Perspektivierung der Vergangenheit" (17) darstellt, ist ihm dabei sehr wohl bewusst. Die sich hier also zeigende Abhängigkeit historischer Deutungsansätze von den jeweils vorherrschenden politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ist bis zu einem gewissen Grad auch das Thema von Enno Bünz, der unter dem Titel "Bauern und Reformation. Eine Umschau im Reich" (65-106) die zentralen Thesen Peter Blickles, von der "Gemeindereformation" bis zum "Kommunalismus" relativiert; sie seien "Blickles Antwort auf das Konzept der 'Volksreformation'" (71) gewesen. In Anlehnung an Walter Zieglers Kritik an Blickles auf die Bauernkriegsjahre fokussierte Reformationsdeutung stellt Bünz am Beispiel der spätmittelalterlichen Entwicklung des Niederkirchenwesens dar, wie intensiv die Kommunalisierung der Kirche bereits im 15. Jahrhundert eingesetzt hatte. Dabei stellte weniger die in den Zwölf Artikeln so prominent geforderte freie Pfarrerwahl, sondern oft die Institution der Kirchenpfleger den wirksameren Hebel für eine kommunale Mitwirkung dar. Dies näher zu erforschen, um besser zu verstehen, wie die Reformation aufs Land kam und den unbestrittenen Anteil an Entstehung und Verlauf des Bauernkrieges erlangte, stellt laut Bünz eine zentrale Forschungsaufgabe dar.
Kurt Andermann greift demgegenüber auf ältere Deutungsmuster zurück, ohne sie zu dekonstruieren oder zu relativieren. Unter der Überschrift "Bäuerliches Recht und herrschaftliche Verdichtung" (45-64) beschreibt er den Gemeinen Mann als Modernisierungsverlierer in einem Prozess herrschaftlicher Verdichtung, als dessen Treiber Andermann primär den Adel ausmacht. Diese nicht wirklich neue Sichtweise wird mit konkreten Beispielen aus dem Kraichgau belegt, die zeitlich im näheren und weiteren Umfeld des Bauernkrieges liegen. Sehr viel konkreter auf das Aufstandsgeschehen im Bauernkrieg selbst geht demgegenüber Christine Reinle ein. In Ihrem Aufsatz über "Gewalthandeln von Bauern" (135-167) vergleicht sie das Agieren von Bauern in Bauernfehden und im Bauernkrieg. Dabei wird deutlich, dass Bauernfehden analog zu den Fehden der Adeligen abliefen und das Ziel hatten, den Gegner in einer individuellen Auseinandersetzung zum Einlenken zu zwingen. Bei den Gewaltaktionen im Bauernkrieg handelte es sich demgegenüber um einen "kollektiven Konfliktaustrag" (144), der auch andere Formen nutzte. So kam es häufig zuerst zur bewaffneten Zusammenrottung und erst danach zur Formulierung von meist eher allgemein gehaltenen Forderungen. Diesen wurde anschließend durch Drohungen, Plünderungen oder Zerstörung von Herrschaftssitzen Nachdruck verliehen. Dabei ging es, so Reinle, um die "symbolische Eliminierung der Herrschaft". (160) Spätestens ab diesem Punkt wird ihre Argumentation allerdings angreifbar, denn die Verengung der zahlreichen bäuerlichen Aufstände auf die Bekämpfung von Herrschaft blendet die zahlreichen Fälle aus, in denen ausdrücklich die ständische Ordnung bejaht und schiedsgerichtliche Kompromisslösungen in konkreten Konfliktfeldern angestrebt wurden, wie z.B. im Vertrag von Weingarten.
Diesen vier, eher allgemeine Fragen behandelnden Aufsätzen stehen vier stärker an konkreten Ereignissen und Einzelpersönlichkeiten orientierte Beiträge zur Seite. So gelingt es Hermann Ehmer mit einer quellennahen, ereignisgeschichtlichen Beschreibung der "Weinsberger Bluttat" (169-185) nicht nur, frühere Darstellungen zu korrigieren. Er kann auch zeigen, dass dieses Ereignis in vielfältiger Weise ein Wendepunkt des Bauernkriegs war. Neben der durch den militärischen Erfolg ausgelösten Radikalisierung einzelner Haufen und der Instrumentalisierung der Ereignisse für die Legitimation eines blutigen Rachefeldzugs des Bundesheeres kann Ehmer z.B. für den Wunnensteiner Haufen, der sich nun als landschaft Wirtemberg (182) bezeichnete, auch eine Hinwendung zu einer übergreifenden politischen Leitidee feststellen. Nina Gallion lenkt in ihrem Beitrag den Blick auf die Aufstände im Kraichgau und am Bruhrain (107-134), die auf Grund ihrer Kurzlebigkeit bislang weniger im Fokus der Forschung standen. Die mit ausführlichen Quellenzitaten unterlegte Darstellung zeigt, dass die Interaktion von Stadt und Land ein wesentliches Charakteristikum des Bauernkrieges darstellt, das es wert wäre, näher untersucht zu werden. Eine sehr schöne Ergänzung zu diesen beiden lokal- bzw. regionalhistorisch ausgerichteten Aufsätzen stellen zwei Beiträge dar, die ikonisch gewordene Führungspersönlichkeiten des Bauernkrieges in den Blick nehmen. Sowohl Oliver Auge, der sich Götz von Berlichingens annimmt (187-203), als auch Andreas Flurschütz da Cruz, der Florian Geyer behandelt (205-231), gelingt es, die Biografie des jeweiligen Protagonisten von fiktionalen Elementen zu befreien. Zum Vorschein kommt - und in diesem Punkt ergänzen sich die beiden Aufsätze sehr gut - eine spannungsreiche Komplexität niederadeliger Lebenswelten, deren Bedeutung für den Bauernkrieg noch viel zu wenig erforscht ist.
Den Abschluss des Bandes bildet eine Art Tagungsbilanz (233-256), die Bernd Schneidmüller dazu nutzt, nicht nur die wesentlichen Botschaften der Mitwirkenden zusammenzufassen, sondern auch eigene Gedanken einzustreuen, die in einer eher assoziativen Folge Ansätze für eine mögliche Neubewertung des Phänomens Bauernkrieg präsentieren. Damit rundet sich das Bild eines Tagungsbandes ab, dessen Beiträge zum Widerspruch, zum Diskurs und zu weiteren Forschungen anregen. Er sei jedem zur Lektüre empfohlen, der sich dem Thema Bauernkrieg aus neuen Perspektiven nähern möchte.
Anmerkung:
[1] Peter Blickle: Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes (Beck Wissen 2103), München 2018.
Peer Frieß