Lisa Hackmann: Paul Delaroche - Das Phänomen globaler Berühmtheit im 19. Jahrhundert. Kunstöffentlichkeit - Kunstkritik - Kunstmarkt, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2022, 351 S., 13 Farb-, 30 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01684-7, EUR 49,00
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Der französische Maler Paul Delaroche (1797-1856) gehört zur Gruppe der zu Lebzeiten berühmten, später jedoch in Vergessenheit geratenen Künstler und Künstlerinnen, die heute nur noch einem Fachpublikum bekannt sind. Lisa Hackmann hat ihm ihre Dissertation gewidmet, genauer gesagt der einstigen Popularität, namentlich Berühmtheit seiner Gemälde. Der Begriff der Berühmtheit beschreibt, dem englischen Begriff der "celebrity" entsprechend, im Unterschied zu "Ruhm" eine zeitliche Begrenztheit. Vielleicht könnte man zugespitzt formulieren, dass die Berühmtheit einem Effekt gleicht, der medial verstärkt wird, während Ruhm die langfristige und zeitenüberdauernde Wirkung eines Werks ist. Es ist daher konsequent, dass die Arbeit insbesondere auf zeitgenössische Quellen des 19. Jahrhunderts, v.a. auf Ausstellungsbesprechungen zurückgreift.
Die Arbeit ist in vier Kapitel klar gegliedert: die Ausstellungen Delaroches im Pariser Salon und anderen Ausstellungsforen in Frankreich, das Lehratelier Delaroches, die Vermarktung seiner Werke und die Ausstellungen seiner Bilder im Ausland. Keiner dieser Aspekte kann für sich genommen als eine neue Fragestellung im Kontext der bisherigen Forschung zu Delaroche bezeichnet werden, aber in ihrer Gesamtheit sowie durch die Materialfülle zeichnen die vier Kapitel ein außerordentlich lebendiges und differenziertes Bild des Malers und Lehrers sowie seiner marktorientierten Karriere. Mit den vier Kapiteln hat Lisa Hackmann einen probaten Werkzeugkasten zusammengestellt, um die Berühmtheit Delaroches zu analysieren. Am Ende der Kapitel steht jeweils ein kurzes "Zwischenfazit", was für eine angenehme Transparenz der Argumentation sorgt. Abgeschlossen wird die Arbeit durch eine zusammenfassende Schlussbetrachtung (297-306). Im Anhang finden sich eine Auflistung der zahlreichen ausländischen Schüler Delaroches sowie eine chronologische Aufstellung der Ausstellungen einzelner Werke des Franzosen im Ausland.
Auf den Pariser Salonausstellungen der 1820er und frühen 1830er Jahre feierte Delaroche mit glatt gemalten und hochemotionalen Historienbildern große Erfolge sowohl beim Publikum als auch bei der Kunstkritik. Infolgedessen wurde er mit bedeutenden und einträglichen öffentlichen Aufträgen seitens des französischen Staates betraut und zum jüngsten Mitglied der Académie des Beaux-Arts ernannt. Seine Spezialität war es, historische Themen, oftmals aus dem Mittelalter und der Renaissance, aber auch jüngerer Epochen, aufzugreifen, die dramatische Wendepunkte der Geschichte veranschaulichen. Sie konnten als Sinnbilder für die jüngste französische Geschichte dienen, die seit 1789 reich an revolutionären Ereignissen und politischen Systemwechseln war. Delaroches Bilder stimulieren das Mitgefühl mit dem tragischen Personal der Geschichte, seien es die todgeweihten Söhne Eduard IV., die unglückliche Jeanne d'Arc oder der brütende Napoleon, der in Fontainebleau die Nachricht von Einzug seiner Feinde empfangen hat.
Delaroche hat Napoleon aus dem historischen Rückblick, rund 25 Jahre nach dessen Tod, 1845 und 1848 in zwei großformatigen, eindrücklichen Gemälden dargestellt (MdbK Leipzig, Musée du Louvre, Paris). Beide Gemälde wurden auf Ausstellungstourneen in Europa bzw. in den Vereinigten Staaten von Amerika präsentiert, was eine neuartige Form der Vermarktung war. Die Ausstellungen in Leipzig, Berlin, Prag und Wien bzw. New York und Havanna erzielten Besucherrekorde. In Berlin sah Adolph Menzel das Bild und war von dem neuartigen Realismus der Darstellung beeindruckt. [1] Den "Napoleon in Fontainebleau" sollen allein in Wien über 150 000 Besucher*innen gesehen haben. Das Bild befand sich im Besitz des Leipziger Kaufmanns und Sammlers Adolf Heinrich Schletter, der mit dieser von ihm selbst initiierten Tournee die Bekanntheit und den Wert seines Gemäldes sowie seiner Sammlung steigerte. Neben dem Künstler oder der Künstlerin und Galeristen treten die Sammler*innen im 19. Jahrhundert zunehmend als marktbewusste Akteur*innen in Erscheinung, was Hackmann überzeugend veranschaulicht. Das hat bis heute Auswirkungen, wenn man z.B. an das nicht immer unproblematische Verhältnis von Sammler*innen und Museen denkt.
Delaroche reagierte mit einem regelrechten System von teils eigenhändigen, teils von Schülern angefertigten Repliken und Kopien seiner Bilder sowie von hochwertigen graphischen Reproduktionen auf die große Nachfrage nach seinen Bildern. Außerdem verlangte er enorm hohe Preise für Gemälde, die trotz langer Wartezeiten (auch dieses eine Form des Marketings) bezahlt wurden. Der Landschaftsmaler Camille Corot (1797-1875) äußerte sich in seinem Tagebuch kritisch über diese Praktiken Delaroches und bezeichnete ihn als einen "Geschäftsmann, der geschickter im Verhandeln als im Malen" sei (209). Seit dem Ende der 1820er Jahre arbeitete Delaroche mit dem Verleger und Kunsthändler Adolphe Goupil zusammen. Als Schletter von diesem über die Absicht einer eigenhändigen Replik Delaroches vom "Napoleon in Fontainebleau" informiert wurde, dessen erste Version der Leipziger Sammler besaß, machte er eine deutliche Wertminderung seines Bildes geltend und ließ sich fast die Hälfte des Kaufpreises rückerstatten. Außerdem musste der Künstler ihm schriftlich bescheinigen, dass er die originale Version besitzen würde. Delaroche verschwieg dem Leipziger Sammler seinerseits, dass er aufgrund der hohen Nachfrage bereits weitere Varianten angefertigt hatte.
Weitgehend ausgeklammert wird in der Arbeit die Frage nach den politischen Voraussetzungen für die Berühmtheit der Bilder Delaroches. Es wäre nicht uninteressant, danach zu fragen, weil in den Bildern geschichtsphilosophische Haltungen zum Ausdruck gebracht werden, die bestimmten politischen Milieus entsprachen. Nach der Revolution von 1848 und dem Ende der Julimonarchie erwog Delaroche, wie Hackmann ausführt, ernsthaft eine Auswanderung nach Deutschland (Weimar) oder gar in die Vereinigten Staaten. Die enge persönliche und künstlerische Zugehörigkeit Delaroches zum Kunstbetrieb unter dem "Bürgerkönig" Louis-Philippe, der von 1830 bis 1848 amtierte, war eine wesentliche Voraussetzung für die Sichtbarkeit und Berühmtheit seiner Werke. Aber vielleicht hätte diese Fragestellung den Rahmen gesprengt und eine stärker historisch-vergleichende Perspektive erfordert, die wiederum den Fokus auf Delaroche gemindert hätte.
Methodologisch bedingt fehlen in dem Buch eingehende Bildanalysen, was konsequent ist, weil eben nicht die Bilder, sondern ihre Rezeption im Fokus stehen. An der einen oder anderen Stelle hätte man sich trotzdem eine vertiefte Bildinterpretation durch die Autorin gewünscht, gewissermaßen die historischen Lesarten kommentierend, gerade weil sie die zeitgenössischen Besprechungen, positiv wie kritisch, so exzellent kennt und aus diesem reichen Material schöpft. Aber das ist nicht als Manko gemeint, sondern als Wunsch, sozusagen noch stärker mit der Autorin ins Gespräch über die Bilder zu kommen. An einigen Stellen relativiert sie gängige Forschungsmeinungen wie etwa die Annahme, dass Delaroche sich nach 1837 von den Pariser Salonausstellungen aufgrund der Kränkung durch zunehmend negative Ausstellungskritiken zurückgezogen habe. Hackmann weist überzeugend auf andere Gründe für diese Entscheidung hin wie seine Beanspruchung durch die Arbeit an der Wandarbeit des "Hémicycle", seine Lehrtätigkeit und seine durch große Aufträge und die Verbindung mit der Künstlerfamilie Vernet stabilisierte finanzielle und gesellschaftliche Stellung. Lisa Hackmann hat eine herausragende, materialreiche, flüssig und unterhaltsam geschriebene und die Forschung stimulierende Arbeit vorgelegt, die für jede/n einschlägig werden wird, die oder der nach der zeitgenössischen Rezeption der Kunst von Paul Delaroche als Maler, Lehrer und "Selbstvermarkter" im 19. Jahrhundert fragt.
Anmerkung:
[1] Vgl. Hans-Werner Schmidt / Jan Nicolaisen / Martin Schieder (Hgg.): Eugène Delaroix & Paul Delaroche. Geschichte als Sensation. Mit einem Verzeichnis der Sammlung Adolph Heinrich Schletter, Ausst. Kat. Leipzig 2015, Nummer 7 und Seite 122.
Jan Nicolaisen