Christina Haak: Das barocke Bildnis in Norddeutschland. Erscheinungsform und Typologie im Spannungsfeld internationaler Strömungen (= Schriften zur bildenden Kunst; 9), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, X + 354 S., 109 s/w-Abb., ISBN 978-3-631-37389-7, EUR 50,10
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Christina Haak verfolgte mit ihrer 1999 an der Universität Münster als Dissertationsschrift eingereichten Untersuchung ein Hauptziel: Die bislang ungenügend bearbeitete barocke Porträtmalerei des norddeutschen Raumes sollte erstmals in einem Überblick zusammengefasst und geordnet werden und so als Ausgangspunkt für künftige monografische Bearbeitungen einzelner Künstler dienen. Wie im Untertitel angedeutet, war beabsichtigt, die ausführenden Porträtisten und ihre Werke "unter Berücksichtigung politischer, sozialer und wirtschaftlicher Gegebenheiten" (2) in Beziehung zu setzen zu nationalen und internationalen Strömungen. Der Anspruch, eine erste Übersicht geben zu wollen, ist eingelöst worden; die Einordnung in übergeordnete Fragestellungen scheint mir nur in Ansätzen gelungen.
Sinnvollerweise ist die Arbeit in zwei Bereiche gegliedert, in einen problemorientierten beschreibenden Teil und in einen Katalogteil. Anhand exemplarisch ausgewählter Höfe (Holstein-Gottorf, Oldenburg, Braunschweig, Hannover) und Hansestädte (Bremen, Lübeck, Hamburg) wird ein repräsentativer Querschnitt von Herrscher- und Bürgerporträts vorgestellt, wobei im wesentlichen das gemalte autonome Bildnis gemeint ist. Ein eigenes Kapitel widmet sich dem Künstlerselbstbildnis. Der Untersuchungszeitraum umfasst die 1630-40er bis 1740er-Jahre mit der Begründung: "Dieser Zeitpunkt [um 1630/40] wurde gewählt, um zu klären, wie es sich mit der in der Forschung vertretenen Meinung zur Kunst der Kriegsjahre in Bezug auf das Porträt verhält" (3): Die Zeit um 1740 bildet insofern einen Eckpunkt, als sich durch die beginnende Aufklärung neue Porträtformen entwickeln.
Der Katalog ist geografisch nach Höfen und Städten und innerhalb dieser Unterteilungen chronologisch sortiert, sodass das Neben- oder Nacheinander bestimmter Bildnistypen klar erkennbar wird. Neben den technischen Daten finden sich kurze Bildbeschreibungen sowie Künstler- Zu- oder Abschreibungen. Ikonographische Besonderheiten werden in knapper Form erwähnt. Wichtige Literatur zu den einzelnen Werken beschließt die Katalogeinträge.
Diffus bleibt die Auswahl der katalogisierten Werke: Offenbar bestand der Anspruch, den heutigen Bildnisbestand der besprochenen Höfe und Städte komplett zu erfassen (3, 15), wobei Bildnisse anonymer Künstler sowie Kopien und Wiederholungen nur dann aufgenommen wurden, wenn sie "von guter Qualität sind" (5). Da es der Autorin um die Bildproduktion an einzelnen Orten und nicht um die Darstellungsvarianz der Auftraggeber ging, erfasste sie im Ausland entstandene Bildnisse lediglich, "wenn diese nachweislich in der Folgezeit an die Heimstatt des Dargestellten gelangt sind (...), um zu prüfen, ob sie Auswirkungen auf die künstlerische Produktion vor Ort haben (...)" (5): Andererseits wurden Werke, die an den genannten Orten entstanden sind, heute aber an anderer Stelle aufbewahrt werden, nicht aufgenommen (so die in Budapest befindlichen Porträts des Bremer Ehepaares d'Eberfeld, 1646 ausgeführt von Simon Peter Tilmann, 131). Das Werk des Lübecker Porträtisten Jürgen Matthias von der Hude, "der [bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts] einen Großteil der Bildnisaufträge der Stadt erfüllt", wurde gleich ganz weggelassen, denn "seine Bildnisse bieten nur wenige künstlerische Eigenheiten oder Spannungen" (158). Durch solche Einschränkungen beschneidet die Autorin leider von vorneherein zukünftige Forschungsinteressen: Gerade das Verhältnis von Original und Kopie(n), Anzahl und Verbreitung von Wiederholungen, Abweichungen in Format und Ausstattung, von ihr selbst kurz gestreift (99), stellen in der Porträtmalerei ein spannendes und noch ungenügend bearbeitetes Feld dar. Die Schaffung einer soliden Materialgrundlage ohne künstliche Dezimierung auf Grund subjektiver Qualitätsmaßstäbe wäre hier sehr verdienstvoll gewesen.
Das Hauptmanko des beschreibenden Textteiles besteht darin, dass die einzelnen Bildnisse hier ebenfalls in chronologischer Reihenfolge abgehandelt werden. Das führt einerseits häufig zu Wiederholungen der Katalogtexte und lässt andererseits inhaltliche Stringenz vermissen. Statt einer sich anbietenden motivischen Sortierung, die vor allem auch Vergleiche zwischen den einzelnen Höfen und Städten ermöglicht hätte, folgen in ständigem Wechsel Detailinformationen zu Einzelporträts, Gruppenbildnissen, Künstlern oder Dargestellten, ergänzt durch kurze, allgemein einordnende Passagen wie zum Reiter- oder zum Kinderbildnis. Einzig im gesondert behandelten Typus des Künstlerselbstbildnisses lässt sich in Ansätzen eine durchgängige Fragestellung feststellen; die Ergebnisse gehen jedoch über die schon älteren Forschungen Hans-Joachim Raupps zu Künstlerdarstellungen nicht hinaus.
Hier offenbart sich eine Unentschiedenheit in der Ausgangsfragestellung der Autorin: Ihr eigentliches Thema sind nämlich, wie sie in ihrem abstract formulierte: "die in Norddeutschland tätigen Porträtisten" (355); und nicht Bildnistypen oder ikonographische Entwicklungen. Folglich werden die vorgestellten Porträts überwiegend auf stilistische Abhängigkeiten, künstlerische Vorbilder, Datierungs- und Qualitätsfragen hin untersucht. Die dabei (erneut) festgestellten Bezüge zu den Niederlanden und, vor allem im höfischen Bereich, zu Frankreich und später zu England bilden das "Spannungsfeld internationaler Strömungen". Die inhaltliche Deutung der Bildnisse beschränkt sich leider allzu oft auf knappste, Altbekanntes zusammenfassende Erkenntnisse, die unkritisch wiederholt werden ("Zum Ende des 17. Jahrhunderts wirkte auf ganz Europa Ludwig XIV. bzw. seine Hofhaltung in Versailles bestimmend. Ihm will man nacheifern und folgt, dem eigenen Prestigebedürfnis Genüge leistend, auch in der Porträtmalerei dem französischen Vorbild"; 22) und teils in Platitüden gipfeln ("Ein Porträt kann sich in dieser Zeit nur ein beschränkter Kreis vermögender Bürger mit entsprechendem geistigen und materiellen Hintergrund leisten, so daß heute für das barocke Zeitalter nur eine soziale Oberschicht des Bürgertums oder aber die Künstler selbst im Bildnis überliefert sind" 23).
Die Fokussierung auf die Künstler führt dazu, dass die vorgestellten Bildnisse nur hinsichtlich ihrer Stilistik verglichen werden, nicht aber in motivische oder ikonographische Reihen eingeordnet werden. Von einer Typologie kann nicht gesprochen werden. Es wird weder versucht, die vorhandenen portraits historiés als einheitliche Gruppe zu behandeln, noch etwa Ehepaar- oder Kinderbildnisse gemeinsam zu betrachten, ganz zu schweigen von einem - in der Sammlung angelegten - Vergleich höfischer und bürgerlicher Porträts.
Auf diese Weise gelingt es ihr auch nicht, Spezifika der norddeutschen Porträts aufzuzeigen (wenn man von einer konstatierten "Zurücknahme der physiognomischen Idealisierung" (179) absieht), weshalb denn auch ihre Schlussfolgerung eher banal ausfällt: "... das Erscheinungsbild des barocken Porträts in Norddeutschland" ist "äußerst vielfältig" (180). Bei Hofe beherrschten die Künstler unterschiedliche Stilelemente, die sie in Abhängigkeit "von den Vorstellungen und dem Geschmack des jeweiligen Herrschers" (116) einzusetzen wussten. Sowohl die Höfe als auch die Städte waren bestrebt, den "jeweils aktuellen modischen Strömungen" Europas (178) zu folgen.
Eine Reihe von Tippfehlern und verbliebenen Teilsätzen aus früheren Formulierungsversionen zeugen von einem ungenügenden Lektorat. Die Abbildungen 56 und 57 wurden vertauscht. Zu einigen im Text vorgenommenen Bildvergleichen (26, 41) hätte man sich eine Abbildung gewünscht, doch bleibt dies angesichts einer notwendigen Beschränkung eine unrealistische Forderung.
Fazit: Die Arbeit liefert einen brauchbaren, wenn auch unvollständigen Katalog höfischer und bürgerlicher Porträts ausgewählter norddeutscher Orte. Er ermöglicht einen ersten Überblick und fasst Daten zu einer Reihe wichtiger Porträtisten zusammen. Die durch den Buchtitel geweckten Erwartungen an "Erscheinungsform" und "Typologie" werden jedoch nicht erfüllt: Weder zu Porträttypen oder einzelnen Motiven und Attributen wird Neues mitgeteilt, noch zur Funktion, zur Verbreitung oder zum Verhältnis von Künstler und Auftraggeber/in.
Cordula Bischoff