Bruno Currie: Pindar and the Cult of Heroes (= Oxford Classical Monographs), Oxford: Oxford University Press 2005, xv + 487 S., 9 fig., ISBN 978-0-19-927724-7, GBP 65,00
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Der Heroenkult war für die Identitätsfindung, die Erinnerungskultur und das Selbstverständnis politischer Gemeinschaften im antiken Griechenland von erheblicher Bedeutung. Currie verbindet seine Untersuchung dieses Phänomens mit einer Interpretation mehrerer Epinikien Pindars, aus denen er weitgehende Schlüsse zum Verständnis der Weiterentwicklung des Heroenkultes in klassischer Zeit zu ziehen sucht. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen steht daher nicht die Heroisierung epischer Gestalten, die als Halbgötter galten. Die im Buchtitel angedeutete thematische Verknüpfung von Kultausübung und literarischen Aussagen bezieht sich vielmehr vor allem auf Stadtgründer, Kriegsgefallene und Gesetzgeber, denen besondere Ehren zuteil wurden, weil die Gemeinschaft, in der sie gelebt hatten, sich hiervon Schutz und Sicherheit versprach.
Currie unterscheidet zwischen einem objektiven und einem subjektiven Aspekt des Heroenkultes. Unter dem objektiven Aspekt versteht er die erwähnten Erwartungen einer Gemeinschaft, die eine Heroisierung beschließt, während er als subjektiven Aspekt die Perspektiven bezeichnet, an die ein möglicher Kandidat für eine Heroisierung noch zu Lebzeiten denkt. Als Beispiel nennt Currie (7) die Nachricht Diodors (11,49,2), dass Hieron I. nach der Umbenennung von Katane in Aitne und der hiermit verbundenen Umsiedlung zahlreicher Menschen hoffte, heroische Ehren zu erhalten. Currie betont, dass dieser subjektive Aspekt bisher in der Forschung heruntergespielt wurde. Er will daher zeigen, dass in klassischer Zeit Griechen bereits zu Lebzeiten eine Heroisierung vorzubereiten suchten und in wenigen Fällen auch entsprechende Ehrungen erhielten. Damit stellt sich für ihn auch die weitere Frage nach den Voraussetzungen des hellenistischen Herrscherkultes. Er ist der Auffassung, dass ein Heroenkult für lebende Personen ein wichtiges Indiz für eine Kontinuität zwischen der vorhellenistischen und der hellenistischen Welt gewesen sei. Die Verbindung zwischen kultisch-religiösen Vorstellungen der klassischen und der hellenistischen Zeit ist insofern die Leitlinie für seine Argumentation in der gesamten Untersuchung. Eine wichtige Rolle spielen für ihn hierbei die Enkomien Pindars, weil hierin Qualitäten gerühmt worden seien, die menschliches Maß übersteigen.
Die häufige Erwähnung bestimmter Heroen in den Epinikien wertet Currie im ersten Teil des Buches (31-85) als Belege für eine vom Dichter intendierte Annäherung der Gefeierten an kultisch verehrte Heroen. Diese Deutung sucht er im zweiten Teil der Untersuchung (85-200) durch Einordnung der betreffenden poetischen Aussagen in einen größeren kulturhistorischen Kontext ausführlicher zu begründen, indem er Beispiele für eine "Heroisierung" im 5. Jahrhundert erörtert. Er ist überzeugt, dass die in den Perserkriegen gefallenen Griechen heroisiert wurden (89-119). Einzelheiten der von Plutarch (Aristeides 21) beschriebenen "Totenspeisung" zur Erinnerung an die Schlacht bei Plataiai (479 vor Christus) lassen sich jedoch mit alten Bräuchen der Totenverehrung erklären. Auch die Nachricht Plutarchs (Perikles 8,9), dass Perikles 439 vor Christus die im Kampf gegen Samos gefallenen Athener als unsterblich bezeichnet habe, ist kein Beweis für einen Heroenkult. Die Kriegstoten sollten vielmehr in der Erinnerung ihrer Mitbürger und ihrer Nachfahren "unsterblich" bleiben. Wenn ferner Aischylos in den "Persern" (V. 681 ff.) das Eidolon des Dareios als Helfer der bei Salamis geschlagenen Perser aus seiner Gruft aufsteigen lässt, so ist dies ebenso ein Rückgriff auf Vorstellungen eines altgriechischen Heroenglaubens wie der Hinweis in den "Herakliden" des Euripides (V. 1030-1035) auf die Schutzfunktion des mythischen Heros Eurystheus. Auch der Bericht des Thukydides (5,11), dass eine jährliche Kultfeier in Amphipolis für den dort gefallenen Spartiaten Brasidas "wie für einen Heros" konstituiert wurde, besagt noch nicht, dass der Geehrte die Qualität eines mythischen Heros erhielt. Bei dem Kultbeschluss war vermutlich das Bestreben der Bürger von Amphipolis, durch Sparta vor der Rache der Athener Schutz zu finden, das dominierende Motiv.
Im abschließenden dritten Teil der Untersuchung (205-405) interpretiert Currie detailliert fünf Oden Pindars (Isthmien 7; Pythien 2, 3 und 5; Nemeen 7), um seine Argumente stärker zu fundieren. Er beruft sich vor allem auf Vergleiche der jeweils gerühmten Personen mit mythischen Figuren oder Heroen. Ehrungen, die ein laudandus zu Lebzeiten erhielt, lassen sich indes schwerlich einfach mit einem postumen Kult vergleichen. Currie vermutet freilich (291), dass Hieron in der 2. Pythischen Ode (7-12) in eine Nähe zur Götterwelt gerückt wird. Tatsächlich wendet indes Pindar die Formulierung "wie ein Gott" nur auf mythische Gestalten oder Heroen an (Olympien 13,52; 7,42; vgl. Nemen 3,22). Hieron steht zwar für Pindar unter göttlichem Schutz (Olympien 1,106 ff.), doch bleiben der menschliche und der göttliche Bereich getrennte Welten (Pythien 2,21 ff.). Wenn beispielsweise in einem Epinikion ein laudandus als Wesen bezeichnet wird, das "wie ein Heros" geehrt wird, heißt dies noch nicht, dass "a close convergence between the laudandus and the cult hero" besteht, wie Currie annimmt (409). Selbst die in städtischen Kulten verehrten hellenistischen Herrscher waren für die Bürger der Poleis keine wirklichen Götter. Curries Vermutung, dass der Athener Hagnon als Ktistes von Amphipolis bereits zu Lebzeiten heroische Ehrungen erhielt, vermag nicht zu überzeugen. Thukydides (5,11,1) erwähnt keinen Heroenkult für Hagnon, sondern berichtet lediglich, dass die Bürger von Amphipolis "Erinnerungen" an ihn beseitigten.
Curries Hauptthese, dass schon im 5. Jahrhundert historische Personen zu Lebzeiten mit Heroen gleichgestellt werden konnten und die Epinikien Pindars in dieser Hinsicht gleichsam Vorgaben lieferten, lässt sich somit nicht verifizieren. Es bleibt aber Curries Verdienst, das gesamte einschlägige Quellenmaterial aufgearbeitet und hierdurch eine breite Grundlage für künftige Untersuchungen zum Heroenkult geschaffen zu haben.
Karl-Wilhelm Welwei