Oliver von Wrochem: Erich von Manstein: Vernichtungskrieg und Geschichtspolitik (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 27), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2006, 431 S., ISBN 978-3-506-72977-4, EUR 39,90
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Als Oberbefehlshaber einer Armee und später einer Heeresgruppe zählte Erich von Manstein ab 1941 zu jener Elite von Truppenführern, die maßgeblichen Anteil daran hatte, dass Hitlers Vision eines "Vernichtungskampfes" an der Ostfront Realität wurde. Wegen seiner Mitverantwortung für die massenhaften Verbrechen im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion wurde Manstein 1949 verurteilt, jedoch nach wenigen Jahren weitgehend rehabilitiert. Er genoss bis zu seinem Tod 1973 hohes Ansehen in der Bundesrepublik. Diesen Musterfall deutscher Geschichtspolitik beschreibt Oliver von Wrochem in seiner Hamburger Dissertation, deren Interesse in erster Linie den "Mechanismen der Integration ehemaliger Eliten des Nationalsozialismus in die westdeutsche Gesellschaft" (18) während der Nachkriegszeit gilt.
Im ersten der vier Teile der Studie zeichnet der Autor Mansteins biographische Entwicklung und seinen "Weg durch den Vernichtungskrieg" nach. Schon im Feldzug gegen Polen deckte Manstein als Stabschef der Heeresgruppe Süd die Exzesstaten unterstellter Verbände und unterstützte antijüdische Maßnahmen. Im Weltanschauungskrieg gegen die Sowjetunion fand sich Manstein nicht nur zur Umsetzung der "verbrecherischen Befehle" und rücksichtslosen Durchführung der Strategie der "verbrannten Erde", sondern auch zur Kooperation mit der Einsatzgruppe D bereit, die mit seiner Billigung den Massenmord an der jüdischen Zivilbevölkerung auf der Krim betrieb. Mansteins aktive und passive Mitwirkung an der Realisierung der Vernichtungspolitik erklärt sich teilweise aus ideologischer Kongruenz, aber auch aus einer "rein auf militärischen Erfolg hin ausgerichteten Logik" (79) und seinem Selbstverständnis als Truppenführer, in dem die Verabsolutierung des Gehorsams nonkonformes Verhalten prinzipiell ausschloss. Die Ablehnung eigenverantwortlichen Handelns offenbarte sich besonders deutlich vor Stalingrad, wo Manstein das Schicksal der eingeschlossenen 6. Armee "mitbesiegelte", indem er wider besseres Wissen Hitlers fatale Ausbruchsverbote mit trug. Selbst nach seiner Ablösung im Frühjahr 1944 noch "bedingungslos dem Regime und Hitler verpflichtet", versagte sich Manstein aus ähnlichen Gründen auch dem militärischen Widerstand.
Im zweiten Teil der Untersuchung zeigt Wrochem, welche Anstrengungen Manstein in der Nachkriegszeit unternahm, um eine "gereinigte Erinnerung" (109) an den Krieg zu etablieren und die Wehrmachtelite zu rehabilitieren. Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess koordinierte Manstein den Beraterstab der Verteidigung und galt schließlich als "derjenige, der den Freispruch für OKW und Generalstab erkämpft hatte" (120). Dabei kam Manstein nicht nur die "Schlussstrich"-Mentalität in der deutschen Gesellschaft entgegen, sondern auch die Verschärfung des Ost-West-Konflikts und die veränderte Deutschlandpolitik der Westalliierten. Diese waren zunehmend "an einer milden Behandlung der Generale interessiert", um die geplante Westintegration und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik nicht zu gefährden. Somit stieß bereits der OKW-Prozess 1948 und mehr noch Mansteins eigenes Verfahren Ende 1949 sowohl in Westdeutschland als auch in Großbritannien in weiten Teilen von Politik, Medien und Öffentlichkeit auf Ablehnung, so dass schon kurz nach Mansteins Verurteilung erste Initiativen zu einer Revision des Schuldspruchs einsetzten.
Die Entwicklung, die von hier an zu Mansteins vorzeitiger Freilassung und Entnazifizierung im Frühjahr 1953 führte, schildert Wrochem im dritten Teil seiner Arbeit. Neben Kesselring eine der beiden "Ikonen der Rehabilitationsbewegung" (252), konnte Manstein bei seinen Bemühungen um eine Haftentlassung auf eine breite Unterstützung im In- und Ausland zählen. Die Amnestieforderungen gewannen vor allem dadurch an Gewicht, dass ihre Verfechter die Lösung der "Kriegsverbrecherfrage" zur "Vorbedingung für eine deutsche Beteiligung an einem westlichen Bündnis" erhoben (226 f.). Wichtiger als dieses taktische Junktim war freilich die "starke psychologische Relevanz" der Debatte, in der es der ehemaligen Wehrmachtelite nicht zuletzt um die Verteidigung ihrer "gemeinsame[n] Normen und Werte" sowie die Durchsetzung ihrer apologetischen Deutungsmuster ging (245 f.).
Wie nachhaltig Manstein und seine Standesgenossen die Erinnerung an den Krieg prägten, ist Thema des letzten Teils der Studie. Mansteins 1955 erschienene Memoiren "Verlorene Siege" und ihre positive Rezeption bieten ein besonders eindringliches Beispiel dafür, welchen Anklang sein Geschichtsbild fand, in dem der Kampf der Wehrmacht glorifiziert wurde und ihre Verbrechen nicht vorkamen. Neben seinen publizistischen Vorstößen und dem Engagement in Soldatenverbänden unternahm Manstein zahlreiche formelle und halböffentliche Interventionen, um seine Deutungsmuster gegen Kritik zu verteidigen, gegen missliebige Kontrahenten vorzugehen oder Einfluss auf die Politik der Bundesregierung und die entstehende Bundeswehr zu nehmen. Dabei trat immer wieder zutage, dass "demokratische Werte und Normen [...] für ihn weiterhin nicht als Handlungsmaxime" galten (316).
Da Wrochem zu Mansteins Weg durch Kaiserreich, Zwischenkriegszeit und Zweiten Weltkrieg zwar eine erschöpfende Synthese der bisherigen Forschung bietet, ohne Zugang zu Mansteins Nachlass jedoch kaum neue zeitgenössische Dokumente erschließen konnte, liegt die Bedeutung seiner Studie vor allem in den akribisch recherchierten Kapiteln über Mansteins Aktivitäten in der Nachkriegszeit. Auf der Grundlage zahlreicher neuer Quellen aus vielen verschiedenen Archiven, vor allem aus Zeitungsbeständen, Gerichtsakten und den Nachlässen der Vertrauten Mansteins, ist es Wrochem hervorragend gelungen, Mansteins öffentlichen Auftritte, seine vielfach informellen Kampagnen und Intrigen minutiös zu rekonstruieren und in ihren Kontext einzubetten. Dabei entsteht das desavouierende Portrait einer geltungssüchtigen Persönlichkeit, zu deren unbeirrbaren Rückwärtsgewandtheit auch ein ungebrochener Antisemitismus zählte (vgl. z.B. 183 f., 213, 233). Zugleich erreicht Wrochem sein Ziel, an Mansteins Fall die politischen und gesellschaftlichen Faktoren und Entwicklungen in der bundesdeutschen und westalliierten Geschichtspolitik aufzuzeigen.
Als Ergänzung zu der überwiegend deskriptiven Herangehensweise und der selten durchbrochenen Orientierung an der Chronologie hätte allerdings ein häufigerer Wechsel der Analyseebene sicherlich einen Zugewinn bedeutet. So hält auch das Teilkapitel über die "Strukturen eines Opfermythos" in dieser Hinsicht nicht, was es verspricht, sondern erweist sich erneut als chronologisch angelegte, eher zurückhaltend kommentierte Abhandlung der Initiativen zur Freilassung Mansteins zwischen Frühjahr und Herbst 1951. Die hermeneutische Bewertung und Zusammenführung der zahlreichen, detailliert geschilderten Vorgänge bleibt nicht nur hier vielfach dem Leser überlassen, auch wenn die Darstellung in weiten Teilen für sich selbst spricht.
Das Forschungsfeld der "Vergangenheitspolitik" ist zwar längst nicht mehr unbestellt. Mit seiner sehr lesenswerten und quellengesättigten Untersuchung kann Wrochem dem Gesamtbild jedoch eine wichtige neue Facette hinzufügen und zugleich mit dem zählebigen Mythos aufräumen, den Manstein selbst um seine Person geschaffen hat.
Felix Römer