Frank Engehausen: Die Revolution von 1848/49 (= Seminarbuch Geschichte), Stuttgart: UTB 2007, 295 S., 30 Abb., ISBN 978-3-8252-2893-4, EUR 18,90
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Nikolaus Back: Dorf und Revolution. Die Ereignisse von 1848/49 im ländlichen Württemberg, Ostfildern: Thorbecke 2010
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Christopher Clark: Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, Klaus-Dieter Schmidt und Andreas Wirthensohn, München: DVA 2023
Wolfram Siemann: 1848/49 in Deutschland und Europa. Ereignis - Bewältigung - Erinnerung, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2006
Peter H. Wilson (ed.): 1848. The Year of Revolutions, Aldershot: Ashgate 2006
Volker Hunecke: Napoleon. Das Scheitern eines guten Diktators, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011
Katja Wüstenbecker: Deutsch-Amerikaner im Ersten Weltkrieg. US-Politik und nationale Identitäten im Mittleren Westen, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007
Hans Pleschinski (Hg.): Nie war es herrlicher zu leben. Das geheime Tagebuch des Herzogs von Croÿ, München: C.H.Beck 2011
Frank Engehausen hat eine Revolutionsdarstellung in der Reihe "Seminarbuch Geschichte" vorgelegt, die den Anspruch erhebt, "kompakt und kompetent historisches Basiswissen" zu vermitteln und dabei insbesondere auch den Anforderungen der neuen B.A./M.A.-Studiengänge gerecht zu werden. Im Reihenkonzept wird großer Wert auf die Perspektivenvielfalt und die "damit verknüpfte Mischung von inhaltlicher und methodischer Einführung" gelegt, das Layout und die Darstellungsform, so heißt es, leiten den Leser "anhand didaktischer Elemente durch den Text" und erleichtern "besonders das Lernen für Prüfungen". Das ist keine einfache Vorgabe für einen Autor, zumal dann nicht, wenn er ein zwar intensiv erforschtes, aber gleichwohl sehr komplexes historisches Thema zu behandeln hat, bei dem es in nicht wenigen Punkten immer noch sehr umstrittene, teilweise kontroverse Deutungen gibt.
Engehausen hat bereits mehrere Publikationen zur Revolution von 1848/49 vorgelegt und kann als einer der besten Kenner dieses Themas unter den Historikern der jüngeren Generation gelten. Er löst die eben skizzierte, ihm gestellte Aufgabe insgesamt bemerkenswert gut, indem er eine sinnvoll strukturierte, aspektreiche und vor allem auch gut lesbare Darstellung vorlegt. Der Fokus liegt dabei auf der verfassungspolitischen Entwicklung im nationalen und einzelstaatlichen Kontext, die internationale Dimension der Revolution und ihre kulturellen Aspekte rücken demgegenüber in den Hintergrund - doch davon später mehr.
Im ersten Kapitel skizziert Engehausen relativ knapp die "Ursachen" der Revolution und identifiziert als solche vor allem die Defizite der deutschen Bundesverfassung von 1815, die politische Repression seit spätestens 1819 und die vor allem seit den 1840er Jahren zunehmenden wirtschaftlichen Probleme. Kapitel 2 schildert "Die Anfänge" der Revolution, wobei neben den beiden Großmächten Österreich und Preußen ausführlich auch die deutschen Mittelstaaten in den Blick genommen werden. Es folgt in Kapitel 3 "Das deutsche Parlament" ein sehr gelungener Überblick über das Zustandekommen, die Konsolidierung und die Verfassungsarbeit der Frankfurter Nationalversammlung. Anschließend werden "Reform und Reaktion in den Einzelstaaten" beleuchtet, wobei schon die Überschrift signalisiert, dass die revolutionäre Durchschlagskraft hier eher skeptisch beurteilt wird. Kapitel 5 widmet sich den "Akteuren und Aktionsformen der Revolution", also dem Vereinswesen, der Presse und den revolutionären Gewaltaktionen. Kapitel 6 schildert dann "Das Ende", es folgt ein Überblick über die nachfolgenden Maßnahmen zur "Revolutionsbewältigung", und den Abschluss macht ein kurzes Kapitel über die verschiedenen "Revolutionsbilder", das heißt die Wahrnehmung und Deutung der Revolution zwischen der Reichsgründung 1871 und dem 150jährigen Jubiläum im Jahr 1998.
Engehausens eigenes Bild der Revolution zeichnet sich durch einen starken Akzent auf dem Beitrag der radikalen Demokraten zu den Ereignissen und Entwicklungen aus. Demgegenüber erscheinen die gemäßigteren Liberalen als zögerliche Kräfte, die politische Unruhen und Erschütterungen möglichst vermeiden wollten und stattdessen lieber mit den etablierten konservativen Kräften zusammenarbeiteten. Fast möchte es scheinen, als seien die Liberalen keine Revolutionäre, sondern bloße Reformer gewesen, während die revolutionäre Schubkraft ganz überwiegend bei den Demokraten verortet wird. Dazu passt auch, dass bei der Schilderung der Vorgeschichte der Revolution ausführlich auf das Offenburger Programm vom 12.9.1847 eingegangen wird, während das Heppenheimer Programm der Liberalen vom 10.10.1847 nicht erwähnt wird. Insgesamt entsteht der Eindruck, als sei die revolutionäre Bewegung mehr oder minder ad hoc im Herbst 1847 und Frühjahr 1848 entstanden. Dies ist auch dadurch bedingt, dass die vielfältige liberale Vereinsbewegung des Vormärz und die nationalkulturellen Strömungen der 1830er und 1840er Jahre (Junges Deutschland, Rheinliedbewegung, Germanistentage etc.) nicht thematisiert werden, dass mithin die Entfaltung der deutschen Nationalbewegung seit 1815 schemenhaft bleibt. Etwas zu kurz kommt meines Erachtens auch die Einbindung der deutschen Revolution in den internationalen Kontext, denn was in Deutschland geschah, war weit mehr, als es die Darstellung Engehausens vermuten lässt, integraler Bestandteil des europäischen "Völkerfrühlings".
Engehausen hat sich gleichwohl bewusst für die nationale und einzelstaatliche Perspektive entscheiden. Für diese Dimension des revolutionären Geschehens hat er eine sehr präzise, die Vorgänge detailliert beschreibende und erklärende Darstellung auf der Höhe der aktuellen Forschung vorgelegt. Das mit zahlreichen Abbildungen, Quellenauszügen, erklärenden Einschüben, sehr nützlichen Literaturhinweisen, einer Zeittafel sowie Orts-, Personen- und Sachregister ausgestattete Buch bietet der Zielgruppe - den Studenten im revolutionierten Studienbetrieb - gewiss eine hervorragende Orientierung bei einem der wichtigsten Themen der neueren deutschen Geschichte.
Nur am Rande sei noch eine Vokabel erwähnt, die deplatziert wirkt: Auf den Seiten 73 und 76 ist von einer "Säuberungspolitik" im Hinblick auf den Bundestag die Rede. Der Begriff evoziert Assoziationen, die für das, was 1848 geschah, völlig fehlgehen.
Jürgen Müller