Walter Schmidt (Hg.): Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen der Revolution von 1848/49. Band 3, Berlin: Fides Verlag 2010, 783 S., ISBN 978-3-931363-15-4, EUR 69,80
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Simon Kempny: Die Staatsfinanzierung nach der Paulskirchenverfassung. Eine Untersuchung des Finanz- und Steuerverfassungsrechts der Verfassung des deutsches Reiches vom 28. März 1849, Tübingen: Mohr Siebeck 2011
Thomas Stockinger: Dörfer und Deputierte. Die Wahlen zu den konstituierenden Parlamenten von 1848 in Niederösterreich und im Pariser Umland (Seine-et-Oise), München: Oldenbourg 2012
Christian Jansen (Bearb.): Nach der Revolution 1848/49: Verfolgung - Realpolitik - Nationsbildung. Politische Briefe deutscher Liberaler und Demokraten 1849-1861, Düsseldorf: Droste 2004
Eva Maria Werner: Die Märzministerien. Regierungen der Revolution von 1848/49 in den Staaten des Deutschen Bundes, Göttingen: V&R unipress 2009
Christopher Clark: Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, Klaus-Dieter Schmidt und Andreas Wirthensohn, München: DVA 2023
Ferdinand Gregorovius: Europa und die Revolution. Leitartikel 1848-1850, München: C.H.Beck 2017
Hartwin Spenkuch: Preußen - eine besondere Geschichte. Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648-1947, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019
Claudia Klemm: Erinnert - umstritten - gefeiert. Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Gedenkkultur, Göttingen: V&R unipress 2007
Walter Schmidt, einst im Wissenschaftsbetrieb der DDR an zentraler Stelle für die Erforschung und Interpretation der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts verantwortlich, ist auch im Ruhestand diesem Arbeitsfeld treu geblieben und hat nun als Herausgeber den mittlerweile dritten voluminösen Band mit Biographien von Männern und Frauen der Revolution von 1848/49 vorgelegt. [1] Die Auswahlkriterien wurden breit gewählt, da nicht Revolutionäre nach einer Parteidefinition berücksichtigt werden, sondern Männer und Frauen, "in deren Leben die Revolution von 1848/49 einen bedeutenden Platz einnahm, die sich für deren Sieg einsetzten oder sie bekämpften und in deren weiteren Leben die Erfahrungen dieser Revolution nachhaltig wirkten". Die praktische Auswahl folgte der ebenso schlichten wie verdienstvollen Prämisse, vorrangig Portraits von Männern und Frauen aufzunehmen, die bislang noch nicht mit fundierten Biographien gewürdigt, in der Öffentlichkeit kaum bekannt oder vergessen sind. Letzteres hat dazu geführt, dass die Anhänger der "achtundvierziger Demokratie" in dem Band am stärksten vertreten sind, da "ihre Vorkämpfer - ungeachtet der vor allem im Zusammenhang mit dem 150. Revolutionsjubiläum von 1998 erreichten Fortschritte - immer noch zu wenig ins öffentliche Bewusstseingedrungensind [sic!] " (7).
Der Akteursbegriff des Buchtitels wird weit gedehnt, da sich unter den Portraitierten auch die Schriftstellerin Fanny Lewald befindet, die die Revolution im Wesentlichen nur als Beobachterin erlebte, sie aber mit ihren 1850 erschienenen "Erinnerungen aus dem Jahr 1848" literarisch verarbeitete. Auch eine zweite Frau, Ludmilla Assing, die in einem Doppelportrait gemeinsam mit Karl August Varnhagen von Ense gewürdigt wird, fällt mit Blick auf das persönliche revolutionäre Engagement etwas aus dem Rahmen, während die dritte Protagonistin, Emma Herwegh, die sich indes nicht als kaum bekannt oder gar vergessen etikettieren lässt, zweifelsohne eine revolutionäre Akteurin war. Den Versuch, die 16 Beiträge thematisch, etwa nach dem politischen Profil der Portraitierten, zu gruppieren, hat der Herausgeber nicht unternommen; stattdessen erscheinen die Biographien in alphabetischer Reihung von Assing bis Emil Ottocar Weller.
Aus der Fülle der Beiträge, die allesamt quellennah geschrieben sind und ausgewogen argumentieren, seien an dieser Stelle vier hervorgehoben, um die politische Spannweite der Lebenswege der Protagonisten vor, nach und während der Revolution zu illustrieren: Am äußersten linken Rand des politischen Spektrums der Zeit stand der von Rolf Dlubek portraitierte Handwerksgeselle und Berufsrevolutionär Julius Standau (507-553), der vor der Revolution in der Schweiz, in Frankreich und in Algerien als Geheimbündler tätig war. Das deutsche Revolutionsgeschehen betrachtete Standau zunächst von der Schweiz aus, wo er sich um den organisatorischen Zusammenschluss deutscher Arbeiter bemühte, die im revolutionären Eskalationsfall den radikalen Gesinnungsgenossen jenseits der Grenze als Interventionstruppe zur Hilfe kommen sollten. Während der Heckerzug und der Struveputsch 1848 zu schnell zusammenbrachen, als dass diese Hilfe hätte wirksam werden können, trat Standau - inzwischen zu sozial-republikanischen Anschauungen radikalisiert - in der Mairevolution 1849 im deutschen Südwesten als Stabsadjutant der Revolutionsarmee an der Seite Johann Phillip Beckers in Erscheinung. Symptomatisch für das Schicksal vieler seiner Gesinnungsgenossen ist, dass Standau nach der Niederschlagung der Revolution emigrierte: in die USA, wo sein Engagement in der deutsch-amerikanischen Arbeiterbewegung und im Bürgerkrieg seine politische Überzeugungstreue dokumentierte.
In weitaus stärkerem Maße von politischen Brüchen war der von Walter Schmidt nachgezeichnete Lebensweg Julius Steins (555-618) gekennzeichnet, der sich vom Vormärz-Liberalen in der Revolution zu einem Führer der schlesischen Demokraten entwickelte und in der preußischen Nationalversammlung auf der äußersten Linken seinen Platz nahm - dort erregte er Aufsehen vor allem mit seinen Anträgen, die auf die Säuberung der preußischen Armee von reaktionären Elementen zielten und die für die Formierung der gegenrevolutionären Kräfte einen starken Anlass boten. Die Auflösung der Berliner Nationalversammlung und den preußischen Verfassungsoktroy akzeptierte Stein nicht, der sich in der Reichsverfassungskampagne als Wortführer der Breslauer Demokraten profilierte. Da er es indes bei Verbalradikalismus beließ, kam Stein in der Reaktionsära vergleichsweise glimpflich davon: Er verlor zwar seine Lehrerstelle und musste seinen Lebensunterhalt fortan als Journalist und mit Privatunterricht bestreiten; allerdings konnte er in seiner Heimatstadt bleiben, wo er in den 1860er und 1870er Jahren nun wieder als Liberaler auch politisch reüssierte.
Anders als bei Standau und Stein und auch bei fast allen anderen in dem Band Portraitierten stellte für Johann Adam von Itzstein die Revolution von 1848/49 nicht eine zentrale Etappe, sondern den Schlusspunkt seiner politischen Biographie dar, die Birgit Bublies-Godau kundig skizziert (303-357). Itzstein war 1775 geboren worden - das fehlerhafte Datum im Inhaltverzeichnis macht ihn noch 19 Jahre älter - und zählte bei Ausbruch der Revolution als ehemaliger Anhänger der Mainzer Jakobiner, langjähriger Oppositionsführer im badischen Landtag und liberal-demokratischer Netzwerker über die einzelstaatlichen Grenzen hinweg bereits zu den Ikonen der National- und Freiheitsbewegung. In der Frankfurter Nationalversammlung kam er zwar über den Kuriositätenstatus, den andere gealterte Symbolfiguren wie Ernst Moritz Arndt oder Friedrich Ludwig Jahn durch eigenes Zutun innehatten, weit hinaus; allerdings spielte auch Itzstein dort nur eine Nebenrolle, weil die politische Hauptaufgabe, der er sich den Vorjahren verschrieben hatte, nämlich zwischen Liberalismus und Demokratie zu vermittelt, nicht mehr zu leisten war. Dass Itzstein, dessen politische Biographie, wie Bublies-Godau zu Recht anmerkt, weiterhin ein "gewaltiges Desiderat" (305) darstellt, letztlich nur ein prominenter Hinterbänkler der Paulskirche blieb und er sich auch der badischen Mairevolution weitgehend fernhielt, schützte ihn nach der Niederschlagung der Revolution nicht vor Repressionen: Eine Hochverratsanklage nötigte ihn zur Flucht, und als er im Herbst 1850 nach Baden zurückkehren konnte, war der 75-Jährige gesundheitlich so angeschlagen, dass er sich ins Privatleben zurückzog.
Den rechten Rand des politischen Spektrums markiert der preußische Diplomat Christian Karl Josias von Bunsen, den Harald Müller in einem der kürzeren Beiträge als "übergangenen reformkonservativen Ratgeber" darstellt (223-258). Bunsen, Botschafter in London, zählte zwar nicht zu den Zentralfiguren der preußischen Regierungspolitik in den Revolutionsmonaten, hatte aber mehrfach an wichtigen Entscheidungen teil: in Zusammenhang mit dem Krieg um Schleswig-Holstein, in dem der Einschätzung der englischen Haltung große Bedeutung zukam, und vor allem bei den seit dem Jahresende 1848 in den preußischen Regierungskreisen geführten Diskussionen über die Frage, ob Friedrich Wilhelm IV. eine deutsche Kaiserkrone annehmen solle. Bunsen, der unter dem Eindruck der Revolution eine aktive Nationalpolitik Preußens nachdrücklich befürwortete, konnte sich in dieser Frage ebenso wenig durchsetzen wie seit der zweiten Jahreshälfte 1849 mit seinen Bemühungen, englische Unterstützung für die antiösterreichische Unionspolitik zu gewinnen, zu der Joseph Maria von Radowitz Friedrich IV. hatte bewegen können. Da sein reformkonservatives nationalpolitisches Konzept letztlich vollständig scheiterte, auch wenn er sich noch bis 1854 auf dem Londoner Gesandtschaftsposten halten konnte, kann man Bunsen also durchaus auch zu den Verlierern der Revolution zählen - in dieser Hinsicht steht seine sonst atypische Biographie in einem Band über "Männer und Frauen der Revolution von 1848/49" durchaus am richtigen Platz. Dass dieser Band nicht der letzte seiner Reihe sein möge, bleibt zu hoffen.
Anmerkung:
[1] Die beiden ersten Bände sind 2003 und 2007 unter dem gleichen Titel ebenfalls im FIDES Verlag erschienen. Als Vorläufer können die beiden in der Schriftenreihe des Ostberliner Zentralinstituts für Geschichte herausgegebenen Bände "Männer der Revolution von 1848" von 1970 (hrsg. v. Karl Obermann) und 1987 (hrsg. v. Hartmut Bleiber) gelten.
Frank Engehausen