Melvyn P. Leffler: For the Soul of Mankind. The United States, the Soviet Union, and the Cold War, New York: Hill and Wang 2007, 586 S., ISBN 978-0-8090-9717-3, USD 35,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Larry Wolff: Woodrow Wilson and the Reimagining of Eastern Europe, Stanford, CA: Stanford University Press 2020
Pia Molitor: Partner in der Führung. Die Deutschlandpolitik der Regierung Bush/Baker als Faktor amerikanischen Machterhalts, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012
Bernd Greiner: Henry Kissinger. Wächter des Imperiums, München: C.H.Beck 2020
Francis D. Cogliano: Emperor of Liberty. Thomas Jefferson's Foreign Policy, New Haven / London: Yale University Press 2014
James Graham Wilson: The Triumph of Improvisation. Gorbachev's Adaptability, Reagan's Engagement, and the End of the Cold War, Ithaca / London: Cornell University Press 2014
Benjamin Gilde: Österreich im KSZE-Prozess 1969-1983. Neutraler Vermittler in humanitärer Mission, München: Oldenbourg 2013
Petra Goedde: The Politics of Peace. A Global Cold War History, Oxford: Oxford University Press 2019
Roger Chickering / Stig Förster (eds.): The Shadows of Total War. Europe, East Asia, and the United States, 1919-1939, Cambridge: Cambridge University Press 2003
Melvyn P. Leffler ist mit John Lewis einer der Nestoren der amerikanischen Kalter-Krieg-Forschung. Beide haben sie diese seit 30 Jahren immer wieder neu belebt und das Hauptnarrativ dieser entscheidenden Epoche des 20. Jahrhunderts stark geprägt. Lefflers Buch zur Nationalen Sicherheitspolitik der Truman-Administration wird zu Recht als Klassiker bezeichnet. [1] Mit seinem neuen Buch For The Soul of Mankind legt Leffler nun eine reife Abhandlung zum Kalten Krieg vor, dessen Ende und zunehmende Historisierung in den letzten Jahren einige der besten Kalter-Krieg-Historiker angespornt hat, Überblicksgeschichten bzw. umfassende Analysen zu wagen. [2] Der fleißige Leffler beeindruckt wie immer mit seiner bestechenden Empirie und seiner Kenntnis der ausufernden englischsprachigen Sekundärliteratur (fremdsprachige Literatur bleibt allerdings unberücksichtigt). Es gibt wohl kaum einen Historiker, der eine solche intime Kenntnis der einschlägigen amerikanischen Archive - neben den zahlreichen Beständen des Nationalarchivs in College Park auch der vielen präsidentiellen Zweigarchive - hat wie Leffler. Er hat sich auch bemüht, alle zugänglichen Sammlungen ins Englische übersetzter Akten aus russischen, chinesischen und osteuropäischen Archiven einzusehen und hat sogar Mitarbeiter zu den Kopiensammlungen russischer Akten, die in amerikanischen Bibliotheken deponiert sind, geschickt.
Aus der Perspektive des so überraschend schnellen Endes des Kalten Krieges (1989-1991) geht es Leffler in diesem Buch vor allem darum, zu eruieren, warum diese so kostspielige und aufgrund des nuklearen Wettrüstens so gefährliche globale Ost-West-Auseinandersetzung nicht schon früher beendet werden konnte. Er betont dabei eher die "agency" führender Akteure als die grundlegenden Strukturen, die den Konflikt bestimmten, obwohl diese und die "contingency" des historischen Ablaufes auch nicht zu kurz kommen. Lefflers Analyse läuft auf eine Geschichte der "verpassten Gelegenheiten" (9) hinaus. Er will kein "master narrative" des Kalten Krieges vorlegen, sondern konzentriert sich auf "fünf Momentaufnahmen" (7). Während dieser fünf episodischen Momente hatten die Führungskräfte im Weißen Haus und im Kreml die Gelegenheit, die großen Spannungen und die Feindschaft zwischen den Supermächten abzubauen. Er betrachtet die Kontrahentenpaare Stalin und Truman, Malenkow und Eisenhower, Chruschtschow und Kennedy/Johnson, Breschnew und Carter, sowie Gorbatschow und Reagan. Nixon wird ignoriert. Leffler fragt nach ihren Plänen, ob ihre Entscheidungen anders hätten getroffen werden können, inwieweit sie Gefangene der Umstände waren, von Seiten Alliierter und Klientelstaaten unter Druck gerieten, von innenpolitischen Konstellationen bedrängt wurden oder von Ideen und historischen Erinnerungen besessen waren. Dazu kommen die "Konfigurationen der internationalen Politik" (eine Leitidee des Leffler'schen Opus), nämlich das nukleare Wettrüsten, die revolutionären Diskurse und der Wunsch nach Modernisierung der entkolonialisierten Staaten, die von Supermächten nicht mehr so leicht zu kontrollieren waren, sowie die Gefahren eines neuerlichen Aufstieges Deutschlands und Japans. Dabei waren beide Supermächte davon überzeugt, dass ihre Ideologie (Marxismus-Leninismus versus demokratischer Kapitalismus) und ihr respektiver "way of life" dem des Gegners überlegen war. Moskau und Washington ging es um ein höheres Ziel, nämlich den "Kampf um die Seele der Menschheit" (9) für sich zu entscheiden. Diese Formulierung - "the struggle for the soul of mankind" - wiederholt Leffler in den fünf Momentaufnahmen immer wieder.
Während man im Kreml immer den Eindruck hatte, hinter dem amerikanischen Rüstungsvorsprung hinterherzuhinken, war man wiederholt bereit abzurüsten, sogar einseitig. Der Versuch der Sowjets, den amerikanischen Rüstungsvorsprung mit dramatischen Schritten, wie etwa der Stationierung von Mittelstreckenraketen auf Kuba im Herbst 1962, wettzumachen und somit die amerikanische "preponderance of power" (ein anderes Lieblingskonzept Lefflers) schlagartig zu beenden, führte zu einem der gefährlichsten Momente des Kalten Krieges (158). Kremlführer wie Malenkow und Breschnew dagegen betrieben eine Politik der "friedlichen Koexistenz" und der Entspannung früher und nachdrücklicher als die Präsidenten Eisenhower und Johnson. Wie schon in Zuboks Buch "Failed Empire", zeichnet Leffler von Breschnew das Bild eines sehr ernsthaften und besonnenen Politikers, der unablässig eine Politik der Detente gegenüber Washington verfolgte. Für den kränklichen Breschnew war die Entspannungspolitik auch gegenüber Präsident Carter ein persönliches Anliegen (317). Mit einer Reduzierung des nuklearen Wettrüstens wollte Breschnew Ressourcen für die Verbesserung des Lebensstandards der Sowjetbürger gewinnen. Dabei war es ihm aber immer klar, dass sowjetische militärische Stärke auch der Schlüssel zur Entspannung war. Anstatt abzuschrecken, meinte Breschnew, versuchten die Amerikaner die Sowjets einzuschüchtern und zu erpressen (254ff,). Kein amerikanischer Präsident hingegen konnte dem Kreml gegenüber ohne nukleare Vormachtstellung diplomatische Konzessionen machen. Die Formel "peace through strength" auf der amerikanischen Seite zieht sich wie ein roter Faden durch Lefflers Fallstudien (253, 424). Dieses unnachgiebige Pochen auf die militärische (besonders nukleare) Vormachtstellung verhinderte dann auch regelmäßig seriöse Konzessionen auf amerikanischer Seite, da amerikanische Präsidenten bei allzu dramatischen Konzessionen immer die heimische Opposition fürchten mussten. Lediglich Reagan scherte sich weniger darum.
Nimmt man die Fallstudie über die Phase nach Stalins Tod im März 1953 und die verpasste Gelegenheit von Eisenhower und Dulles, das Kremlangebot "friedlicher Koexistenz" und Churchills Drängen auf einen Gipfel mit der neuen Führungsclique im Kreml als Chance für eine Verhinderung des nuklearen Wettrüstens zu nutzen, so beackert Leffler hier bereits bekanntes historisches Terrain. [3] Malenkow und Berija wollten die Entspannung fördern, um das Alltagsleben der Sowjetbürger verbessern zu können und "ihre kommunistische Utopie voranzutreiben (89). Anstatt der Friedensoffensive des Kremls eine Chance zu geben, vermochten Eisenhower und Dulles keinen "new look" im Kreml zu erkennen. Im Gegenteil, sie nützten die Gelegenheit der dortigen inneren Zerrüttung nach Berijas Hinrichtung, um ihren eigenen "new look" zu implementieren und die nukleare Aufrüstung zu forcieren sowie Washingtons Politik gegenüber dem Sowjetblock mit ihrer aggressiven Rhetorik der "Befreiungspolitik der gefangenen Satellitenvölker" zu verschärfen. [4] Dulles "virile Diplomatie" (142) drängte auf die Integration der Bundesrepublik in den Westblock. Anstatt die Ost-West-Spannungen zu lindern, setzten die USA erneut auf eine Politik der Stärke und der massiven nuklearen Vergeltung. Die ideologischen Dispositionen waren so, dass am Ende die USA dem Frieden keine Chance gaben (149).
Die vielleicht überraschendste These von Lefflers Buch ist die von der Bedeutung, die die deutsche Frage bis in die letzten Tage des Kalten Krieges hatte. Vor allem die historische Erinnerung "der Generation vom 22. Juni" (378ff.) an die deutsche Aggression im Zweiten Weltkrieg bestimmte ihre Nachkriegspolitik und ihre Angst vor einem Wiederaufleben der "deutschen Gefahr" fundamental. Die "Multilateral Force" (MLF) und die Aussicht auf ein Westdeutschland mit Nuklearwaffen waren ein Schreckgespenst für die Sowjets. Die Lehren der Geschichte waren für den Kreml klar: Die Deutschen durften niemals Zugang zum Auslöser von Nuklearwaffen erhalten. Die MLF könnte westdeutschen Revanchisten die "Möglichkeit des Abenteurertums" geben (215). Aber auch unter den amerikanischen Beratern von Kennedy gab es einige, die ähnlich wie die Kremlführer eine Wiedergeburt des deutschen Militarismus fürchteten. So argwöhnte Harriman, dass ein Franz Josef Strauß "could do a de Gaulle on us in developing independent nuclear weapons" (181). Abgesehen von der historischen Erinnerung im Kreml an die deutsche Aggression im Zweiten Weltkrieg, gelingt es Leffler allerdings kaum, sein Vorhaben einzulösen, die Bedeutung der Erinnerungs- und Geschichtspolitik im Kalten Krieg zu thematisieren.
Von den fünf historischen Momentaufnahmen ist Lefflers Schilderung von Gorbatschows und Reagans persönlicher Rolle bei der Einleitung des Endes des Kalten Krieges am eindringlichsten. Gorbatschow und Reagan waren beide Träumer, aber auch Pragmatiker (388). Beide waren von der Überlegenheit ihrer jeweiligen Gesellschaftsentwürfe zutiefst überzeugt. Reagan verhandelte weiterhin von einer Position der Stärke aus. Gorbatschow war bereit, neue Wege zu gehen, um internationale Problem zu lösen, radikale Kürzungen der nuklearen und konventionellen Waffensysteme sogar einseitig vorzunehmen, die Satellitenstaaten in die Freiheit zu entlassen und der Ideologie als Grundlage internationaler Beziehungen abzuschwören. Reagan war ein wichtiger Akteur beim Niederreißen des Eisernen Vorhanges und der Beendigung des Kalten Krieges. Gorbatschow hingegen war der "indispensable agent of change" (466). Seine Vorgänger, die auch schon den Zusammenhang zwischen Aufrüstung und Sicherheit und wirtschaftlichen Notwendigkeiten erkannt hatten, waren nicht wie Gorbatschow fähig und in der Lage gewesen, ihre Bedrohungsbilder zu ändern und ihrem ideologisch bestimmten Missionsgedanken abzuschwören. Hier ist Lefflers These von der Bedeutung historischer Akteure bei großen historischen Veränderungen am überzeugendsten. Sein spannendes und gut geschriebenes Buch sollte in jeder Universitätsbibliothek stehen.
Anmerkungen:
[1] Melyn P. Leffler: A Preponderance of Power. National Security, the Truman Administration, and the Cold War, Stanford 1992; eine kürzere, stärker interpretative Fassung: The Specter of Communism. The United States and the Origins of the Cold War, 1917-1953, New York 1994.
[2] John Lewis Gaddis hat eine gut lesbare, prägnant kurze Einführung für das Collegepublikum vorgelegt: The Cold War. A New History, New York 2005; für das studentische Publikum ist auch die ausführliche und klug ausgewählte Dokumentargeschichte von Jussi M. Hanhimäki und Odd Arne Westad (eds.) bestimmt: The Cold War. A History in Documents and Eyewitness Accounts, New York 2004, wobei auch Experten von den vielen darin abgedruckten Dokumenten aus kommunistischen Archiven profitieren können. Vladislav Zubok hat die beste Analyse des Kalten Krieges aus Moskauer Perspektive geschrieben: A Failed Empire. The Soviet Union in the Cold War from Stalin to Gorbachev, Chapel Hill 2007; Odd Arne Westads globale Geschichte des Kalten Krieges in der Dritten Welt ist die bislang komplexeste und tiefgründigste Darstellung dieser Problematik: The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of Our Times, Cambridge 2005; der neueste Überblick in deutscher Sprache ist Bernd Stöver: Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters 1947-1991, München 2007.
[3] Leffler verabsäumt es hier, ältere und neuere Studien zu zitieren, die der Frage nach einer "lost opportunity" nach Stalins Tod nachgegangen sind und zu ähnlichen Schlüssen kommen, vgl. Günter Bischof: "Eisenhower, the Summit, and the Austrian Treaty, 1953-1955," in: Eisenhower: A Centenary Assessment, ed. by Günter Bischof / Stephen E. Ambrose, Baton Rouge 1995, 136-161; idem: "The Making of the Austrian Treaty and the Road to Geneva," in: Cold War Respite: The Geneva Summit of 1955, ed. by Günter Bischof / Saki Dockrill, Baton Rouge 2000, 117-54; Klaus Larres: Churchill's Cold War. The Politics of Personal Diplomacy, New Haven 2002, 189-239; Kenneth Osgood: Total Cold War. Eisenhower's Secret Propaganda Battle at Home and Abroad, Lawrence/Ks., 2006, 46-103; sowie die einschlägigen Essays in Klaus Larres / Kenneth Osgood (eds.): The Cold War after Stalin's Death. A Missed Opportunity for Peace, Lanham/Md. 2006.
[4] Zu Eisenhowers und Dulles' aggressiver Rhetorik vgl. Christopher Tudda: The Truth Is Our Weapon. The Rhetorical Diplomacy of Dwight D. Eisenhower and John Foster Dulles, Baton Rouge 2006.
Günter J. Bischof