Markus Mösslang / Torsten Riotte (eds.): The Diplomats' World. A Cultural History of Diplomacy, 1815-1914, Oxford: Oxford University Press 2008, ix + 476 S., ISBN 978-0-19-954867-5, GBP 70,00
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Der vorliegende Sammelband dokumentiert die Ergebnisse einer Tagung des Deutschen Historischen Instituts London aus dem Jahr 2005. Die Beiträge belegen einmal mehr die "Rückkehr" der klassischen Diplomatiegeschichte in den Fokus der modernen Geschichtswissenschaft, dies allerdings in gleichsam verjüngter Form mit neuen Fragestellungen und Erkenntnisinteressen. Es werden durchweg Diplomaten und diplomatische Praxis im langen 19. Jahrhundert in globalgeschichtlicher Perspektive behandelt; in den Blick genommen werden neben der europäischen Pentarchie auch minder mächtige Staaten sowie die damals aufstrebenden außereuropäischen Großmächte USA und Japan. Herausgeber und Autoren gehen von einer so einfachen wie einleuchtenden Definition von Diplomatie aus, "personal activity in the international field of official representatives, and [...] the use of those representatives to conduct relations between states" (Alan James). Ein spezifischer Fokus liegt hierbei auf "business or art of the diplomatist" und "the complexity of official (and sometimes not so official) relations between states conducted by individuals" (beide Zitate 1). Der geschichtstheoretische Ansatz der Herausgeber ist wohltuend "undogmatisch", er grenzt nicht aus, sondern versteht sich vielmehr, wie die mit großem Gewinn zu lesende profunde Einleitung deutlich macht, als integrativ: "Diplomacy is not interpreted exclusively as a means of foreign policy but as a historical phenomenon and a personal experience in its own right. The view of the diplomats' world adjusts the focus beyond the negotiating table but, crucially, it is not intended to exclude it. This approach follows the example of recent historiography of international affairs which has shifted attention to the field of a cultural history of politics." (10)
Es würde zu weit führen, jeden Beitrag ausführlich zu würdigen, knappe Hinweise müssen deshalb im Allgemeinen genügen. Im ersten Teil ("The Diplomatic Establishment") geht es vor allem um die Rolle des Adels. Thomas G. Otte (Norwich) beschäftigt sich im europäischen Vergleich mit der im langen 19. Jahrhundert exzeptionellen, seit den 1890er-Jahren aber allmählich zugunsten nobilitierter bürgerlicher Aufsteiger zurückgehenden Dominanz der "aristocratic internationale" (57) im diplomatischen Dienst. William D. Godsey (Wien) vertieft dieses Thema am Beispiel der Reformbemühungen im Außenministerium der Habsburgermonarchie nach 1900. Saho Matsumoto-Best (Nagoya) beleuchtet das Thema "Kunst der Diplomatie" auf ganz eigene Weise, indem sie die nicht selten auch zwielichtige Rolle britischer Diplomaten auf dem Felde des Erwerbs von italienischen Kunstwerken (sowohl für ihr Land als auch für sich selbst) untersucht.
In Teil 2 ("Diplomacy and the Public Sphere") beschäftigt sich William Mulligan (Dublin) unter dem Obertitel "Mobs and Diplomats" mit den britisch-US-amerikanischen Auseinandersetzungen um die sogenannte Alabama-Affäre in den Jahren 1865 bis 1872, während Dominik Geppert (Berlin) vergleichend deutsche und britische Methoden des Umgangs mit der Presse vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung dieses Mediums für die Außenpolitik seit dem späten 19. Jahrhundert analysiert.
Teil 3 des Sammelbandes ist "Public Politics and Diplomatic Protocol" gewidmet: Susanne Schattenberg (Berlin) arbeitet in ihrem Beitrag am Beispiel der Friedensverhandlungen von Portsmouth (1905) die Bedeutung von kulturell begründeten Denkmustern wie "influence, prestige and reputation" im diplomatischen Verkehr heraus. Verena Steller (Bochum) richtet ihr Augenmerk auf die Mechanismen symbolischen Handelns im deutsch-französischen Verhältnis nach 1871. Bemerkenswert ist hier, dass die junge französische Republik, in der sich ein eindeutig republikanisch fundierter Nationalismus erst mühsam durchsetzen musste, im Bereich des diplomatischen Korps geradezu demonstrativ auf aristokratische Repräsentanten aus der Ära der Monarchie zurückgriff, da man anderenfalls eine Statusminderung befürchtete.
Im vierten Teil des Bandes ("Diplomatic Encounters") beleuchtet Antony Best (London) diplomatische Praxis und Hofprotokoll in den Beziehungen zwischen Großbritannien und dem Kaiserreich Japan, also einer aufsteigenden asiatischen Macht, die sich anschickte, in das überkommene Großmächtekonzert einzudringen und hierzu auch symbolische Praktiken mit Erfolg einsetzte; Best spricht hier zugespitzt, aber im Kern zutreffend von einem "symbolic battleground" zwischen zwei verschiedenen Kulturen. Sabine Mangolds (Wuppertal) Interesse gilt dagegen der Begegnung des damaligen deutschen Gesandten und späteren kurzeitigen Reichsaußenministers der Weimarer Republik Friedrich Rosen mit dem Sultan von Marokko (1906). Dieses minder mächtigere Reich und spätere französische Protektorat bewahrte im diplomatischen Verkehr demonstrativ Traditionen, die den Monarchen als "master of his own time" inszenierten; demonstrative Langsamkeit, etwa auf der Reise von Tanger nach Fez wurde nicht als Ausdruck technologischer Rückschrittlichkeit gesehen, sondern vielmehr als selbstverständliches Privileg der Obrigkeit, dem auch europäische Diplomaten Rechnung zu tragen hatten. Rosen, von Hause aus Orientalist, hatte im Unterschied zu vielen anderen auswärtigen Diplomaten Verständnis für derartige symbolische Praktiken.
Einem für das lange 19. Jahrhundert vergleichsweise randständigen, für die Gegenwart dagegen umso interessanteren Thema widmet sich Teil 5 ("Representing the Republic"). Republiken waren in der damaligen Staatenwelt, sieht man einmal vom amerikanischen Kontinent ab, die Ausnahme. Für diese stellte sich die Frage, inwieweit sie im diplomatischen Verkehr den Vorbildern der monarchischen Staaten folgen oder eine Art republikanischen Gegenentwurf wagen sollten. David Paull Nickles (Washington) analysiert hierbei die sich im ersten Jahrhundert ihrer Existenz wandelnde Haltung der USA, die sich zunächst den etablierten diplomatischen Gepflogenheiten teilweise zu verweigern suchten, sich dann aber vor dem Hintergrund der wachsenden weltpolitischen Bedeutung der USA immer mehr zu Zugeständnissen gezwungen sahen. Claude Altermatt (Bern) stellt mit der Schweiz wiederum einen minder mächtigen Staat in das Zentrum seines Beitrags. Die Schweiz legte anfangs, auch aufgrund ihrer bis 1848 unterentwickelten Zentralstaatlichkeit, gar keinen großen Wert auf ausländische diplomatische Vertretungen und begnügte sich vielmehr damit, sich durch andere Staaten oder Honorarkonsuln (die nichts kosteten) vertreten zu lassen. Hier verband sich bisweilen dünkelhafte bürgerliche Sparsamkeit mit antimonarchisch-republikanischer Gesinnung. Erst allmählich erfolgte die Anpassung an die verbreiteten internationalen diplomatischen Praktiken; noch unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg unterhielt die Schweiz lediglich elf Gesandtschaften, aber 112 Honorarkonsulate.
Teil 6 des Bandes beschäftigt sich schließlich mit "Outsiders in the Diplomats' World", C. Richard Pennell (Melbourne) mit der Sozialgeschichte britischer Diplomaten in Nordafrika, Martin Ott (München) mit den Honorarkonsuln des Königreichs Bayern in den USA zwischen 1820 und 1871, Geoff R. Berridge (Leicester) mit dem Niedergang des Dragomanats der britischen Botschaft in Konstantinopel 1810-1914 und Matthew S. Seligmann (Northampton) mit der Rolle der Marineattachés in der britischen Diplomatie am Beispiel des Commanders Philip Wylie Dumas, der von 1906 bis 1908 Dienst in Berlin tat.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Herausgeber und Autoren einen wichtigen Beitrag zu einer modernen Geschichte der Politik vorgelegt haben, der zeigt, wie fruchtbar kulturgeschichtlich erweiterte diplomatiegeschichtliche Fragestellungen sein können, die sich nicht notwendigerweise, so ein alter Vorwurf, darin erschöpfen müssen, aufzuzählen, was ein Sekretär zu einem anderen sagte (vgl. 11). Dem Band ist deshalb weite Verbreitung und vor allem eine intensive Rezeption zu wünschen.
Matthias Stickler