Sonja Dünnebeil / Christine Ottner (Hgg.): Außenpolitisches Handeln im späten Mittelalter. Akteure und Ziele (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii; 27), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, 472 S., ISBN 978-3-205-77643-7, EUR 98,00
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Man mag es drehen und wenden wie man will: dem Begriff Außenpolitik, gebraucht man ihn für das Mittelalter, scheint etwas Unstimmiges anzuhaften. Man weiß zwar, was gemeint ist, aber so richtig zutreffen, will er irgendwie nicht. Außenpolitik - das klingt nach Bismarck und Stresemann, Helmut Schmidt und Henry Kissinger, nach eindeutig festgelegten Grenzen und klaren Ressortaufteilungen. Aber Außenpolitik im Mittelalter? Speziell im Rahmen des Heiligen Römischen Reiches, diesem Gebilde sui generis, das Staaten und Herrschaften unterschiedlichster Nähe und Ferne zum Herrscher in sich barg und das nicht nur ein einziges nach außen agierendes Zentrum, sondern deren viele zu haben schien? Die Besonderheit fiel schon den Zeitgenossen auf. Völlig zurecht zitiert Sabine Wefers, eine Beiträgerin dieses Bandes, den päpstlichen Legaten Raimund Peraudi, der 1489 ziemlich verzweifelt erklärte: Im Gegensatz zu den Franzosen, Spaniern, Ungarn und Engländern besäßen die Deutschen kein Oberhaupt, dessen Willen sich alle wie Glieder eines Ganzen zu beugen hätten; vielmehr gelte der Satz: so viele Fürsten, so viele Vorstellungen. [1]
Diese Fragen stellte sich der hier zu besprechende Band, der fünfzehn Referate einer Tagung versammelt, die 2004 von Sonja Dünnebeil und Christine Ottner organisiert wurde. Die Mit-Herausgeberin Christine Ottner verweist bereits in der Einleitung auf die Problematik des Begriffs, der, gekoppelt an einen Wettbewerb des Europas der Mächte, für weite Teile des Mittelalters eher untauglich und erst etwa seit dem zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts als anwendbar erscheint. Ein Rest von Unbehagen, von Offenheit auch in der wissenschaftlichen Diskussion, bleibt. Ottner lässt dies anklingen durch den ganz bewusst gewählten Ausdruck "außenpolitisches Handeln", der dem blockhaft-unbeweglichen Begriff "Außenpolitik" auch für das ausgehende Mittelalter immer noch vorzuziehen sei (11). Weitere Diskussionen um den Begriff, auch ein forschungsgeschichtlicher Rückblick, schließen sich an. Ob tauglich oder nicht: so oder so trat eine "Professionalisierung" (12) der Diskussion ein, fragt man nicht mehr nur nach den Abläufen, sondern auch nach Argumentationsstrategien und Kommunikationsmitteln.
Grundlagencharakter für den ganzen Band besitzt der Beitrag von Paul-Joachim Heinig ("Konjunkturen des Auswärtigen. State formation und internationale Beziehungen im 15. Jahrhundert", 21-58). Geschickt löckt Heinig anfangs wider den Stachel, indem er bei aller Zustimmung zur praktischen Widerlegung der Klage, der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft mangele es im Vergleich zu den westlichen Ländern durchgängig an Internationalität und internationalen Themen, zweierlei zu bedenken gibt: Erstens sei der Trend zur "Internationalen Geschichte" nicht nur durch Entwicklungen beeinflusst, die mit den Stichworten Globalisierung und Erweiterung der Europäischen Union bezeichnet seien, sondern auch durch die widerstreitenden Prozesse und Konzepte eines "clash of civilisations" und einer seit dem Fall des Eisernen Vorhangs durch zunehmende Systemprobleme genährten Re-Nationalisierung; und zweitens sei die gleichfalls zur Internationalisierung drängende Überprüfung und Erweiterung unserer nationalen Erfahrungshorizonte vor dem Hintergrund ungebrochener nationaler Traditionen insbesondere unserer westlichen Nachbarn erfolgt, deren gelegentlich entsprechend verengte Perspektive nicht übersehen werden sollte (22). Das sind attraktive Gedanken, die man - immer eifrig darum bemüht, das vermeintliche Diplomatie-Defizit aufholen zu müssen - so noch nicht gehört hat. Zwar ließ Heinig in seinem Werk über Friedrich III. bereits ähnliches verlauten [2], doch der Beitrag hier reicht an diesem Punkt gedanklich weiter und geht tiefer; über die Konsequenzen wird noch nachzudenken sein.
Dankenswerterweise bietet der Band, der Vielzahl seiner Beiträge zum Trotz, kein Potpourri, sondern lässt klare Schwerpunktsetzungen erkennen. Mit Themen, die das per definitionem spannungsreiche Verhältnis zu Burgund betreffen, beschäftigen sich die Beiträge von Malte Prietzel, Gerrit-Jasper Schenck, Petra Ehm-Schnocks und Sonja Dünnebeil. [3] Speziell Problemen der maximilianeischen Zeit widmen sich Inge Wiesflecker-Friedhuber, Manfred Hollegger und Susanne Fritsch. [4] Gleichsam eine eidgenössische Fraktion bilden die Beiträge von Michael Jucker und Peter Niederhäuser. [5] Waltraud Winkelbauer, Martin Wagendorfer und Stephan Selzer präsentieren bisher gar nicht oder nur wenig bekannte Einzel-Quellen - oder wenden die Fragestellung der Tagung auf Texte an, die man unter diesem Blickwinkel noch nicht betrachtet hat. [6]
Selbstverständlich ist es, ohne das Raster ganz "auf grob" zu stellen, so gut wie unmöglich eine Gesamtbilanz zu ziehen - zu unterschiedlich, zu differenziert und thesenreich fallen die einzelnen Beiträge aus. Dennoch wird der Eindruck kaum täuschen, dass in vielen Fällen, die auf der Tagung aufgegriffen wurden, ohne weiteres von einem "außenpolitischen Handeln" gesprochen werden kann - auch wenn dies von den Zeitgenossen explizit so nicht bezeichnet worden ist. Maßgeblich erscheinen das kategoriale, immer weiter expandierende Denken von "innen" und "außen" sowie die Verhaltensmuster, die es nach sich zog. Techniken und Medien folgten nach und bedingten den Wandel gelegentlich wohl auch. Dieser findet deutlich bereits in der Zeit Friedrichs III., nicht erst unter Maximilian statt, allen nachhaltigen Veränderungen der Zeit seit etwa 1490 zum Trotz. Dankenswerterweise besitzen alle Beiträge eine (englischsprachige) Zusammenfassung, die eine rasche Erfassung des Wesentlichen ermöglicht. Ein von Eugen Pfister erstelltes Literaturverzeichnis sowie ein von ihm verantwortetes Register der Namen und Orte beschließen den Band.
Anmerkungen:
[1] Sabine Wefers: Handlungsträger, Aktionsfelder und Potentiale von Außenpolitik im Spätmittelalter, 59-72, hier 59.
[2] Paul-Joachim Heinig: Kaiser Friedrich III. (1440-1493). Hof, Regierung und Politik, 3 Bde., Köln/Wien/Weimar 1997, bes. Bd. 2, 1317-1346. (J. F. Böhmer: Regesta Imperii, Beihefte, Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 17).
[3] Malte Prietzel: Reden als Waffe der Diplomatie. Rhetorik, Zeremoniell und Politik in den französisch-burgundischen Verhandlungen 1456-1465, 73-96. Gerrit Jasper Schenk: Friedrich III. in Besançon 1442 und Metz 1473 oder: Von geglückten und gescheiterten Herrschertreffen mit dem Burgunderherzog, 97-142. Petra Ehm-Schnocks: Der Tag von Trier 1473 und die Grenzen des Reiches. Karl der Kühne, Friedrich III. und die Kurfürsten, 143-158. Sonja Dünnebeil: Handelsobjekt Erbtochter. Zu den Verhandlungen über die Verheiratung Marias von Burgund, 159-184.
[4] Inge Wiesflecker-Friedhuber: Das Vertragswerk von Lyon - Blois - Hagenau 1503/05. Die Diplomatie Maximilians I. zwischen Frankreich, dem Papst, Spanien und Venedig, 185-211. Manfred Hollegger: Ablassgesandtschaften - Ständige Gesandtschaften - Sondergesandtschaften. Das Gesandtschaftswesen in der Zeit Maximilians I., 213-226. Susanne Fritsch: Zwischen Papst und König. Der Gesandte Leonello Chieregati (1484-1506) als Spielball päpstlicher Außenpolitik, 227-238.
[5] Michael Jucker: Innen- oder Außenpolitik? Eidgenössisches Gesandtschaftswesen zur Zeit der Burgunderkriege am Beispiel Hans Waldmanns und Adrians von Bubenberg, 239-357. Peter Niederhäuser: Damit si bei dem Haus Osterreich beleiben. Eidgenössische Kleinstädte und ihre Beziehungen zum Reich und zu Habsburg, 259-276.
[6] Waltraud Winkelbauer: Misit ergo Gergium de plenavilla. Die Heiratsvorbereitungen Friedrichs III. im Spiegel von Reisedokumenten des Georg von Volkersdorf, 291-339. Martin Wagendorfer: Der Blick des Humanisten - Außenpolitik in der Historia australis des Enea Silvio Piccolomini, 341-369. Stephan Selzer: Politik und Erscheinung. Der Freiburger Reichstag (1498) in kursächsischen Rechnungen, 371-392.
Jörg Schwarz