Ruth Heftrig / Bernd Reifenberg (Hgg.): Wissenschaft zwischen Ost und West. Der Kunsthistoriker Richard Hamann als Grenzgänger (= Schriften der Universitätsbibliothek Marburg; 134), Marburg: Jonas Verlag 2009, 192 S., ISBN 978-3894454272, EUR 25,00
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Hinter dem Titel verbirgt sich anderes, als er verspricht. Eine Tragödie, hervorragend inszeniert von Ruth Heftrig und Bernd Reifenberg! Der Held des selbst gewählten Konflikts ist Richard Hamann, weithin bekannt als der Mann, der im biederen Marburg etwas gewagt hat, was im akademischen Deutschland nur wenige Geistes- und Sozialwissenschafter - Max Horkheimer, Karl Lamprecht, Aby M. Warburg - getan haben: wissenschaftliche Institute wie Kleinunternehmen aufzubauen und familiär zu führen. Dem wissenschaftlichen Instrumentenbau diente die Produktion, Hamanns Institut - Foto Marburg - der kunsthistorischen Fotografie und einer fotografierten Geschichte der Kunst.
Der Ort, an dem allein der Konflikt ausgetragen wird oder das Drama sich abspielt, liegt jedoch nicht an der friedlichen Lahn, auch nicht auf einer im Titel genannten Grenze, sondern auf einem der Schauplätze des Kalten Krieges - in Berlin, genauer noch: in Ostberlin. Denn Westberlin und Marburg blinken nur zweimal kurz in der Kulisse auf. In Ostberlin vertrat Hamann nach seiner Emeritierung im Jahr 1947 die Stelle eines Ordinarius für mittlere und neuere Kunstgeschichte. Und das zehn Jahre lang! Anders als in der klassischen Tragödie ist daher die Regelspielzeit eines Sonnenlaufs weit überschritten. So zieht auch das Stück sich lange hin. Nur so aber kann die Tragödie zum epischen Lehrstück unter dem Titel werden: "Warum bloß tut ein Emeritus sich das alles an?" Besser: Sie könnte es werden! Denn aufgrund der inzwischen geltenden Regelungen für die Vertretung und für das Ruhegehalt von Hochschullehrern, aber auch aufgrund der Revolution von 1989 sind die Bedingungen dafür nicht mehr gegeben.
Nach einem kurzen Prolog über das Glück, Hamanns schriftlichen Nachlass endlich öffentlich einsehen zu können, beginnt das Drama im ersten Akt ideengeschichtlich. Der ansonsten dialektisch arbeitende Jost Hermand berichtet über ein wissenschaftliches Testament, das Hamann zu Beginn seiner Tätigkeit an der späteren Humboldt-Universität gemacht hat. Die "Entstehung der europäischen Kultur" wird darin "als eine Überwindung des orientalischen Despotismus, des griechischen Wettkampfgedankens und des römischen Imperialismus durch die von Jesus aufgestellten Forderungen der Friedfertigkeit, Nächstenliebe und Selbstentäußerung zu Gunsten eines größeren Ganzen" nachgezeichnet. Nach einer "wesentlich prononcierten Wendung ins Sozialistische" führt sie zu einem "neuen Begriff von Mitmenschlichkeit" (16). Hermand vertritt die These: Wer solche Gedanken 1948 entwickelt, 1955 überarbeitet und zur Diskussion gestellt hat, der konnte im Westen als utopischer Sozialist nicht begriffen und musste im Osten 1957 von seiner Tätigkeit entpflichtet werden.
Dieser Engführung widerspricht Sigrid Hofer, öffnet die Bezugsrahmen weit über die 1947 aktuelle Situation hinaus und berichtet über Hamanns Anstrengungen neben dem Universitätsinstitut ein Forschungsinstitut für Kunstgeschichte an der Akademie der Wissenschaften zu etablieren. Dessen Aufgaben referiert sie leider nicht, sondern schreibt über den entschiedenen Willen der Universitätsleitung, der Parteifunktionäre und einiger Parteigänger unter den Mitgliedern des kunsthistorischen Seminars, das Universitätsinstitut auf "die Linie des marxistischen Materialismus" einzuschwören (24). Dass dafür der fast siebzigjährige, als links geltende Professor aus Marburg gerufen worden war und erst nach und nach hinderlich wurde, zeigt sie im Einzelnen auf und nennt die Mittel und Wege beim Wort, mit denen nicht nur Hamann, sondern auch seine Mitarbeiter am kleinen Institut gedrängt worden sind, ihre Orientierungen aufzugeben. Sie macht aber auch deutlich, dass Hamann zwar kunst- und institutspolitisch aktiv war, anders aber als andere Intellektuelle im Dienst der DDR nicht für allgemein- und parteipolitische Stellungnahmen zu gewinnen war. Tatsächlich! Für eine Einschätzung seiner Reaktion auf den 17. Juni 1953 gibt es selbst im privaten Nachlass offenbar keinen Anhaltspunkt.
In der zweiten Szene des ersten Akts bricht Elmar Jansen mit der Personenregel des klassischen Dramas. Er schildert seine persönlichen Erinnerungen an Hamann, an dessen fast gleichaltrige Kollegen am Institut, Willy Kurth und Leopold Giese, sowie an die Assistenten Carla Gräfin Rothkirch und Werner Sumowski. Ins farbige Bühnenbild hängt er das Selbstbildnis eines blutjungen Studenten, der Hamann kurz kennengelernt und dann begeistert gelesen hat. Er besuchte dessen Vorlesungen, las ihn erneut, wieder und wieder, bis er mit ihm sprechen durfte und ganz zuletzt auch eines der geflügelten Worte am Institut verstand: Lex mihi ars! Erst nach Hamanns Entlassung, nach Hermands Ausweisung und Sumowskis Flucht hat er den Triumph der Gegner wahrgenommen. Was aus der Gräfin, aus Kurth und Giese geworden ist, hat er darüber verdrängt.
Der zweite Akt ist recht kurz, kehrt zum handelnden Helden zurück und bringt eine weitere Person ins Spiel. Autor der ersten Szene ist Peter Th. Walther. Er lässt die Kommunikationsmöglichkeiten aufblitzen, die dem Kalten-Kriegsgeschrei zum Trotz für Wissenschaftler im noch ungeteilten Berlin bestanden, gibt aber auch zu verstehen, dass die Akten der opulent wiedererrichteten Akademie der Wissenschaften nichts über Kontakte Hamanns zu Westberliner Kollegen erkennen lassen. Über einen Grenzgänger in dieser Richtung kann nicht die Rede sein. Auch in der zweiten Szene, die unter dem unbedachten Titel "Lex mihi ars" über Hamanns Verhältnis zu Ludwig Justi, der zweiten kunsthistorischen Eminenz im Osten Berlins dieser Dekade, handelt, kommen die Westler nicht vor. Zuviel hat Monika Steinkamp über die Ehrungen zu berichten, mit denen das Regime die beiden Gelehrten bei Laune hielt, zuviel über die Posten und Pöstchen zu schreiben, die beide Herren innehatten. Daher darf man wohl annehmen, dass sie sich nicht spinnefeind waren, sondern in den zahllosen Kaffeepausen über so manches kurz sich verständigt haben, womit andere ganze Dossiers gefüllt hätten. Ein einziges Papier haben sie, wie sich später in Uwe Hartmanns Artikel herausstellt, tatsächlich gemeinsam verfasst: einen Protest gegen die Zulassungsbeschränkung zum Studium der Kunstgeschichte. Ansonsten waren Justi und Hamann sich wohl darüber einig, dass die Immunität, die sie aufgrund ihrer Integrität während der Nazizeit genossen, nur in äußerster Not aufs Spiel gesetzt werden durfte!
Über Hamann brach diese Not am 21. August 1950 mit der Entscheidung des Politbüros der SED und dann der Regierung der DDR herein, die Ruine des Berliner Stadtschlosses zugunsten der Einrichtung eines Aufmarschplatzes abzureißen. Doch bevor darüber in der Inszenierung Heftrigs und Reifenbergs die Rede ist, wird die Spannung erhöht und die Retardation aus dem vierten Akt der klassischen Tragödie vorgezogen. Vom Didaktiker, Kriminalautor und Kunsthistoriker Kai Artinger wird das Werk subtil analysiert, das Richard Hamann zusammen mit Jost Hermand in Berlin begonnen und dieser 1975 in Madison (Wisconsin) beendet hat: die fünf Bände "Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus", die zwischen 1959 und 1975 im Akademie-Verlag erschienen und bis heute in weiteren Ausgaben präsent sind. Artinger rekapituliert in zwei Durchgängen die brüchige Tradition der Kulturgeschichtsschreibung in Deutschland. Exakt bestimmt er die Formen der Zusammenarbeit der beiden, ungleichen Autoren. Schließlich kehrt er zu den Diskussionen im Akademie-Verlag über Theorie und Praxis der Kulturgeschichtsschreibung zurück. Darin hat eine Frage des Literaturwissenschaftlers Hans Mayer die Kulturgeschichte des greisen und des jungen Autors nicht nur einmal gerettet: "In was für einem Staat leben wir denn, in dem Bücher vor ihrem Erscheinen, statt nach ihrem Erscheinen kritisiert werden?" (100) Mayers Diktum hat die fünf Bände auch für die jüngeren Generationen gerettet, sagt Artinger. Denn es kostete auch heute noch größte Anstrengungen, wollte man dieses Testament Hamanns und Hermands außer Kraft setzen.
Dass dieser Staat anfangs unter bestimmten Vorzeichen auf eine ungeteilte Nation hinarbeitete und Wissenschaftler und Künstler mit einem Nationalpreis ehrte, die sich dafür in entsprechend interpretierbarer Weise engagiert haben, zeigt Dorothee Haffner in der nächsten, ebenfalls retardierenden Szene. Sie berichtet über Hamanns Ehrung und über die frostigen bis rührenden Glückwunschschreiben an ihn. Sie referiert auch darüber, dass Hamann nicht lang überlegte, wofür er das Preisgeld verwenden wollte. Für 'seine' beiden Institute in Berlin und in Marburg! Nach vielem Hin und Her trafen schließlich 37 Tausend "Aufnahmen von Bau- und Bildwerken europäischer Kunst" (114) im Berliner Seminar aus Marburg ein. Allerdings konnten sie kaum genutzt werden, weil die Folgekosten der Schenkung der Spontaneität des alten Mannes zum Opfer gefallen waren.
Endlich kommt das Stück zur Peripetie, zum äußersten Fall! Thomas Jahn informiert darüber keineswegs in Teichoskopie! Denn ausführliche Dokumentationen und Kommentare über den Abriss des Schlosses in Berlin hat er zusammenzufassen. Doch stellt er seinem Bericht Hamanns künstlerische Einschätzung des Gebäudes aus den 30er-Jahren voran. Allein Andreas Schlüters Anteil an diesem 'Kasten' hatte Hamann ästhetisch für wertvoll gehalten. Jetzt aber ging es um die Erhaltung eines historischen und kulturgeschichtlichen Bedeutungsträgers, so dass Hamann vom 21. August 1950 an bis zum letzten Tag der Sprengung im Frühjahr 1951 alle ihm zugänglichen Autoritäten mit eigens zugeschnittenen Argumenten beschwor, den Abriss doch noch zu verhindern bzw. zu stoppen, was nicht gelang. Höhepunkt der Tragödie! Vermutlich hatte Hamann hier auch erstmals mit Gerhard Strauß sich auseinanderzusetzen, der sechs Jahre später auf das Ordinariat berufen wurde, das Hamann vertrat. Als Koda schließt Jahn eine entsprechende Zusammenfassung von Hamanns Protesten gegen den Abriss des Potsdamer Stadtschlosses und der Bauakademie in Berlin acht Jahre später an. Da war Hamann vom Amt des Lehrstuhlvertreters bereits entpflichtet. Doch seine aufrecht erhaltene Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften verpflichtete ihn dazu, selbst wenn andere Mitglieder wie auch der Präsident ihm darin nicht folgten.
Anders als in den Jahren zwischen 1951 und 1957 ist der Niedergang nun recht steil. Denn gekonnt breitet Uwe Hartmann wahrlich erschütternde Dokumente über die Aufkündigung von Hamanns Arbeitsvertrag und über die Erstellung einer Berufungsliste aus. Hat man anfangs noch geglaubt, dass Hamann und das Institut nach den Aktionen gegen den Abriss des Schlosses schlicht durch Missachtung abgestraft worden seien, dann wird man nun eines anderen gewahr. Denn wenn es stimmen sollte, dass drei über siebzigjährige Kunsthistoriker und vor ihnen noch zwei Assistentinnen, die keinen Satz publiziert haben, das Seminar bzw. Institut jahrelang beherrschten, dass allein ein einziger, deutlich jüngerer Lehrbeauftragter Exkursionen durchgeführt hat und dass schließlich nach Sumowskis Flucht drei weitere Assistentenstellen schlichtweg nicht besetzt waren, dann fragt man bald, ob unter anderen politischen Bedingungen nicht längst über eine Neustrukturierung des Instituts nachgedacht worden wäre. Dass in Ostberlin allein politisch diffamierende Argumente vorgebracht wurden, lag dann nicht nur am Schauplatz und an der Zeit nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands. Doch wenn man danach zwischen der einen und anderen Akte auch noch erahnt, dass der Marburger Emeritus und Berliner Lehrstuhlvertreter seinen Sohn Richard Hamann-Mac Lean, der sich um eine Berufung bemühte, mitnichten an ein akademisches Ethos erinnerte, dann wird man nicht nur an den Strukturen, sondern am Familienunternehmen Hamann verzweifeln. Nein, es kommt noch schlimmer! Denn man muss auch noch zur Kenntnis nehmen, dass Hamann jun. bereit war, alles, aber auch alles zu tun, um vom zweiten Platz der Berufungsliste auf die hochangesehene Berliner Professur berufen zu werden. Dann wird man wohl mit Recht annehmen, dass auch die Fakultät nicht mehr fähig war, sich selbst kontrolliert zu regenerieren. Dass unter diesen Umständen der Staatsekretär und - übrigens - gutgebildete Literaturwissenschaftler Wilhelm Girnus zunächst noch bereit war, lediglich ein Extraordinariat für marxistische Kunstgeschichte einzurichten, ist ebenso erstaunlich, wie die bis dato nicht geklärte Berufung des angeblich einzigen Marxisten Gerhard Strauß auf das Ordinariat überraschend ist. Fragt man doch, wo Hermann Weidhaas geblieben ist? Neben Strauss sollte er auf ein zweites Extraordinariat für Architekturgeschichte unter einem noch zu findenden Ordinarius berufen werden, nachdem Hamann der Jüngere seine Kandidatur zu seiner und seines Vaters Ehrenrettung doch noch zurückgezogen hatte.
Die Tragödie endet wie fast alle Dramen beruhigend und aufregend zugleich. Ein zweiter, ehemaliger Student und ehemaliger Professor am Institut, Hubert Faensen, hat die Schlussszene verfasst. Beruhigend ist die Szene mit Gerhard Strauss; aufregend ist eine einzige Information darin. Demnach nahm Strauss den Ruf sofort an, triumphierte nicht laut, mischte aber weit über das Universitätsinstitut hinaus in der Kunstgeschichtspolitik der DDR mit. Nach Hamanns Tod im Jahr 1961 stellte er dessen Büste im Seminar auf, die Fritz Cremer geschaffen hat, und verhinderte nicht das reich illustrierte Buch "Richard Hamann in memoriam", das 1963 im Akademie-Verlag mit Hamanns 'wissenschaftlichen Testament' erschien. Lange zuvor schon hatte Strauß an das Seminar zwei Forschungsprojekte gezogen, die ihn und das weiterhin kleingehaltene Institut schlicht überfordert haben und Strauss 1968 vorzeitig resignieren ließen. Das erste Projekt war das "Lexikon der Kunst", das 1958 dem Lektorat des Seemann-Verlags dreist entzogen worden war. 1968 hielt der erste Band weder der eigenen noch der Kritik aus den Nachbardisziplinen stand. Das zweite Projekt galt der proletarischen Kunst; es fiel der Hochschulreform von 1968 und dem neuen, international ambitionierten Vorhaben einer Deutschen Kunstgeschichte zum Opfer. Angesichts der Sprengung des Potsdamer Stadtschlosses hat Strauss seine Befürwortung und fachliche Leitung des Berliner Abrisses bereut, schreibt Faensen und spricht abschließend von einer List der Vernunft nicht ohne zuvor noch auf etwas zurückzukommen, worauf Hofer in der zweiten Szene des ersten Akts nur verwiesen hat. Über die ganze Zeit, in der Hamann das Institut geleitet hat, war eine marxistische Gruppe aktiv, von der Hamann offenbar geflissentlich keine Kenntnis genommen oder auch bekommen hat. Auch Faensen bringt sie nicht zum Reden. Zum Schluss fallen allein zwei Namen: Christel und Günter Feist.
So spannend die Inszenierung des Lehrstücks "Warum bloß tut ein Emeritus das alles sich an?" durch die Herausgeber des Bandes auch ist, so nützlich wäre es doch gewesen, die Lösung der vielen Rätsel um Hamanns jeweils vierzehntägige Aufenthalte in Ostberlin mithilfe einiger Koordinaten ein klein wenig zu erleichtern. Vier davon sind heutzutage fast unbekannt, eine fünfte allerdings ist über alles beliebt. Die erste Koordinate ist folgende: Emeriti hießen im westdeutschen Hochschulbereich bis 1987 allein Ordinarien, die erst im Alter von 68 Jahren unter Beibehaltung ihrer akademischen Rechte und ihrer fast vollen Bezüge von der Tätigkeit in der universitären Selbstverwaltung entpflichtet waren. Hamann zählte zu ihnen und nahm seine Marburger Rechte wohl mehr als wahr. Dies tangiert bereits die zweite Koordinate: Auch Hamanns ehemaliger Marburger Lehrstuhl konnte erst 1954 wieder ordentlich besetzt werden. Karl Hermann Usener hieß der Nachfolger. Die dritte Achse heißt: Während der vierzig Jahre DDR entkamen drei Millionen Menschen der Diktatur der SED; im Gegenzug 'machten' etwa 550 Tausend Übersiedler, wie sie auf beiden Seiten hießen, 'nach drüben'. Auch nach 1968 brauchten sie nicht eigens dazu aufgefordert zu werden. Die vierte Koordinate ist die: Bis zur Errichtung der Mauer wechselten zeitweilig mehr als 200 Tausend Deutsche täglich die Grenze. Nach dem Bau der Mauer und der befestigten Grenzanlagen waren es circa fünfzehnhundert, die zur Arbeit von West- nach Ostberlin fuhren. Etwa sechshundert von ihnen waren Beamte und Angestellte der Reichsbahn, die übrigen vornehmlich Wissenschaftler und Künstler. Es gibt, wie gesagt, eine fünfte Achse, die sehr hilfreich sein könnte: Dieses Buch ist das dritte von drei einander widersprechenden Büchern über Hamann im Jahr 2009. Wie wär's, wenn man sich zusammensetzte und ein bisschen sich fetzte? Ein bisschen nur!
Heinrich Dilly