Jonathan Harris: Art History. The Key Concepts, London / New York: Routledge 2006, xiv + 346 S., ISBN 978-0-415-31976-8, GBP 55,00
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"Catherine macht alles gründlich, fast pedantisch. Sie ist kein Mensch, sie ist eine Naturgewalt und manifestiert sich nur durch sich selbst. Sie lebt ihr ureigenes Leben in Klarheit und in Harmonie und lässt sich nur vom Gefühl ihrer Unschuld leiten", ließ François Truffaut in seinem wohl berühmtesten Film Jules zu Jim über die gemeinsame Große Liebe sagen. Jeanne Moreau, die diese verkörperte, spielte die Rolle 1962 so überzeugend, dass wohl eine ganze Generation von Kinogängern durch ihre, Oscar Werners und Henri Serres Schauspielkunst in der Ansicht bestärkt wurden: Es gibt sie, die Große Liebe! Sie glüht ewig und überstrahlt alles. In Truffauts "Jules et Jim" sind es Völkerfeindschaft und Krieg, Ehe und trautes Familienglück. Jonathan Harris, Professor der Kunstgeschichte an der Universität Liverpool, erinnert an diese großen Gestalten der Nouvelle Vague um 1960 und deutet zugleich an, wie sehr er selbst dennoch Berufsmensch ist. Denn sein kunsttheoretisches Wörterbuch über die "Key Concepts" hat er seinen 13- und 15-jährigen Söhnen Jules und Jim gewidmet!
Es ist mitnichten sein erstes Buch, sondern eine Quintessenz seiner zahlreichen, fast durchweg grundlegenden Forschungen z.B. über "Federal Art and National Culture: The Politics of Identity in New Deal America" (1995), über "The New Art History" (2002) und über "Writing Back to Modern Art: After Greenberg, Fried, and Clark" (2005), die auch in Deutschland bekannt sind. Mit "Art History. The Key Concepts" macht Harris auch dem leider fast vergessenem, großen Kultursoziologen Raymond Williams, seinem Lehrer, alle Ehre. Er kommt immer wieder auf ihn zurück, wenn er dessen Texte neben solchen von Jürgen Habermas, von Tim Clark, von Mieke Bal und nicht zuletzt von sich selbst vornehmlich zur weiterführenden und vertiefenden Lektüre empfiehlt. Damit verrät er auch, dass sein Buch das begriffliche Instrumentarium der älteren der beiden derzeit lehrenden Generationen Englisch sprechender Kunsthistoriker und Kunsthistorikerinnen erläutert und selbstverständlich bereitstellt.
Dieses ist erstaunlich reich, vergleicht man es etwa mit dem von Ulrich Pfisterer in Stuttgart und Weimar edierten "Metzler Lexikon Kunstwissenschaft" aus dem Jahr 2003. Sind es dort 173 - so der Untertitel - "Ideen, Methoden, Begriffe", die in etwa 800 eng bedruckten Kolumnen ausführlichst und mit zahlreichen Literaturverweisen erläutert werden, so sind es hier 209 Schlüsselbegriffe, über die auf 346 Seiten deutlich geringeren Grauwerts die Rede ist. Diese wird allerdings von den zahlreichen, fett gesetzten Verweisen in ihrem Fluss etwas gestört. Von jeweils nur vier Literaturempfehlungen wird jeder Artikel unterstützt. Dies mag in einigen Fällen - etwa unter den Lemmata "Iconolography/Iconic Icon, Iconographic, Iconology" und "Style Style-Analysis, Stylised, Stylistic, Stylistics" - deutlich zu wenig sein. Ganz so pedantisch hätte Harris nicht sein müssen und ist er auch sonst nicht. Sind doch einige Begriffe so jung, dass es der vierbeinigen Unterstützung noch nicht bedarf und andere längst so gewichtig und gängig, dass durchaus sechs oder gar acht Achsen zum Transport ihres Gehalts gerechtfertigt gewesen wären. Viel wichtiger aber ist, dass endlich solch selbstverständlich gebrauchte Begriffe wie "Agent Agency", "Alternative", "Analysis Analytic, Analytical", "Appropriation Appropriate, Appropriation Art" in die Reihe der 21 Termini allein zwischen "Abstract Expressionism" und "Avantgarde" aufgenommen sind, um allein einige Beispiele aus den ersten gut dreißig Seiten zu nennen. Weitere Schlüsselwörter, für deren Definition gewiss alle Anfänger und viele Fortgeschrittene danken, sind zum Beispiel "Career Careerism, Careerist", "Cultural Imperialism Cultural Imperialist" und "Curation Curate, Curatorial", um nur ein paar Seiten weiterzublättern. Werden doch "Desire, Desiring Subject, Object of Desire" oder "Dominant Dominance, Dominante" unter Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern so selbstverständlich verwendet, dass man erst darauf aufmerksam gemacht werden muss, wie fremd solches Vokabular den Kolleginnen und Kollegen erscheinen mag, die anhand der Bestseller "Story of Art", und "Art and Illusion" von Ernst H. Gombrich oder der Kritik daran in Form der "History of Art" von Horst W. Janson in der Nachkriegszeit bzw. zur Zeit des Babybooms ins Fach eingeführt worden sind. Insofern ist das Buch auch ein hervorragender Indikator für den Sprach- und Begriffswandel in der Disziplin.
Doch in erster Linie ist es ein Einführungswerk in den fachlichen Diskurs. An solchen Lemmata, die in allen Alltagsgesprächen über Kunstwerke und Künstler eine eminente Rolle spielen und den Studienanfängern aus welchen Gründen auch immer ganz eng am Herzen liegen, macht dies Harris besonders deutlich. "Career" und "Curator" wurden schon genannt, "Explanation Explain, Explanatory", "Influence Influential" und "Intention Intend" sind die nächsten Vokabeln. Manche Fachkolleginnen und -kollegen möchten sie ja nicht mehr hören und würden sie gern verbieten. Weil sie aber offenbar unausrottbar sind, nutzt sie Harris als Instrumente, mit denen er in einer erstaunlichen Offenheit und Behutsamkeit zunächst auf die Wünsche der Künstlerverehrer und stummen Kunstbetrachter sich einlässt. Ohne den schlichten Stil seiner Sprache zu wechseln, fragt er dann, was etwa ein kunstwissenschaftlicher Schreiberling mit seinen Ausführungen erreichen will. Und wenn er dann sogleich drei Hauptaufgaben heraus stellt, dann macht er schnell klar, dass wissenschaftliches Arbeiten auch auf diesem Gebiet eine eigene Sache, längst aber nicht alles ist. Und wenn er den bei allen Laien so beliebten "Einfluss" ernst nimmt, ihn als einen der schwierigsten und bisweilen verwirrendsten, ja als einen der theoretisch kaum problematisierten Begriffe bezeichnet, dann stellt er in und mit seinem fast unscheinbaren Buch auch Aufgaben, die zu erfüllen noch sehr viel Geisteskraft kosten wird. Und wenn er schließlich bei der Erläuterung des Begriffs der Intention von der rhetorischen Frage ausgeht, was simpler als die Vorstellung von der einen Bedeutung sein mag, die die Künstler ihren Produkten geben, und wenn er dann bei den Werten ankommt, die durch soziale Prozesse generiert werden, dann möchte man das Büchlein auch allen deutschen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern zur didaktischen Fortbildung empfehlen: Die englischsprachigen Kollegen, zu denen Harris zählt und zu denen er führt, handeln über das ganze Wertespektrum und nicht bloß über einige ästhetische Werte, was Harris in einem entsprechenden Artikel über "Value/Evaluative Valued, Values", wie man ihn in deutschsprachigen Wörterbüchern vergeblich sucht, auch klar legt.
Wie in allen Ein-Mann-Unternehmen sind die Artikel nicht alle gleichen Niveaus. Da ist zum Beispiel der Artikel über "Iconography/Iconic, Icon, Iconographic, Iconology", in dem Emile Mâle und Aby M. Warburg als langjährige Kärrner und glänzende Könige dieses erfolgreichen Forschungsprogramms nicht genannt werden. Immerhin kommt Warburg dann als einer der Väter der "New Art History" und als einer der Kunsthistoriker vor, aus dessen Werk sozialhistorische Fragestellungen hervorgegangen sind. Oder auch der überaus wichtige Artikel über "Canon, Canonical", in dem nicht darauf hingewiesen wird, dass es ganz anders als etwa für die Literaturgeschichte in der Kunstgeschichte Kanons in Form der schlichten Denkmäler- und Museumsinventare gibt. Diese sind staatlich oder bürgerlich rechtlich sanktioniert. Weil aber diese Listen unermesslich sind, werden sie seit dem frühen 19.Jahrhundert durch ideale Kanons überhöht.
Jonathan Harris hat jedoch auch in diesem Fall anderes im Sinn. Auf die Debatten über kanonische Werke und über die Kanonbildung kommt es ihm an, und so macht er auf die aus den Neunzigerjahren im Art Bulletin geführte Diskussion aufmerksam, wie denn sein Buch überhaupt anregend und informierend zugleich ist. Allerdings kann man es schwerlich als Korrektiv heranziehen, sondern kann es zur Animierung und als Zeugnis eines freien, reifen Geistes weiter empfehlen. Gerade deswegen ist es auch als Buch für Anfänger und solche Studierende geeignet, die wieder einmal den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Diese sollten darin blättern oder auch wieder einmal ins Kino bzw. in die Videothek gehen und vielleicht sogar "Jules et Jim" sehen!
Heinrich Dilly