Rezension über:

Theo Kölzer / Rudolf Schieffer (Hgg.): Von der Spätantike zum frühen Mittelalter: Kontinuitäten und Brüche, Konzeptionen und Befunde (= Vorträge und Forschungen; Bd. LXX), Ostfildern: Thorbecke 2009, 352 S., ISBN 978-3-7995-6870-8, EUR 56,00
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Rezension von:
Stefanie Dick
Fachbereich 05, Universität Kassel
Redaktionelle Betreuung:
Martina Giese
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Dick: Rezension von: Theo Kölzer / Rudolf Schieffer (Hgg.): Von der Spätantike zum frühen Mittelalter: Kontinuitäten und Brüche, Konzeptionen und Befunde, Ostfildern: Thorbecke 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 12 [15.12.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/12/17390.html


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Theo Kölzer / Rudolf Schieffer (Hgg.): Von der Spätantike zum frühen Mittelalter: Kontinuitäten und Brüche, Konzeptionen und Befunde

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Dreißig Jahre nach der von Eugen Ewig und Joachim Werner veranstalteten Tagung zum Thema "Von der Spätantike zum frühen Mittelalter. Aktuelle Probleme in historischer und archäologischer Sicht" hat der Konstanzer Arbeitskreis 2007 erneut diese Umbruchzeit in den Blick genommen. Während 1977 vor allem die Möglichkeiten und Chancen des interdisziplinären Austauschs von Geschichtsforschung und Archäologie im Mittelpunkt standen, was einen eher kleinteiligen, auf konkrete regionale Verhältnisse bezogenen Zugriff erforderte, war die Fragestellung 2007 sehr viel weiter gefasst. Mit der von den Veranstaltern Theo Kölzer und Rudolf Schieffer vorgegebenen Fokussierung auf Kontinuitäten und Brüche, Konzeptionen und Befunde wurde zum einen an eine ältere, nach wie vor nicht abgeschlossene Diskussion um "Kulturbruch oder Kulturkontinuität" angeknüpft, zum anderen Raum für eine Bestandsaufnahme und für die Formulierung weiterführender Forschungsperspektiven eröffnet.

Dass dieses Konzept im Wesentlichen aufgegangen ist, zeigt der hier zu besprechende Tagungsband mit insgesamt elf Beiträgen aus unterschiedlichen Disziplinen. Den Auftakt bildet, nach einer kurzen forschungsgeschichtlichen Einführung von Theo Kölzer, ein Aufsatz des Althistorikers Alexander Demandt, der in Bezug auf die Zeitenwende von der Antike zum Mittelalter zunächst allgemein auf die Problematik von Epochengrenzen und Kontinuitätsvorstellungen eingeht. Er führt aus, dass die als Übergangszeit charakterisierte Spätantike wesentlich von einer Mediatisierung der Staatsgewalt und der Etablierung von Zwischeninstanzen wie Kirche, Grundherren und Heerwesen geprägt gewesen sei. Dabei hätten gerade die Veränderungen auf dem militärischen Sektor fatale Folgen gehabt und zu einer zunehmenden "Aufweichung der staatlichen Hoheitsrechte" (27) geführt, was sich auch in der schwankenden Terminologie für die jeweils agierenden Machthaber zeige. Die hierfür zahlreich angeführten und als "spätantike[r] Titelsalat" ausgewiesenen Beispiele führen die sich damit verbindenden Schwierigkeiten grundsätzlich vor Augen. Allerdings ist diese terminologische Unschärfe in den römischen Quellen nicht auf die Spätantike beschränkt, sondern von Anfang an gegeben, so dass der hier von Demandt hergestellte Zusammenhang keineswegs zwingend erscheint.

Es folgen Beiträge von Horst W. Böhme aus archäologischer Sicht, von Wolfgang Haubrichs aus sprachwissenschaftlicher Perspektive und von Arnold Angenendt als Theologe und Kirchenhistoriker. Böhme versucht anhand von Grab- und Siedlungsbefunden zu zeigen, dass in den römischen Provinzen schon während des 4. und 5. Jahrhunderts germanische Bevölkerungsgruppen in großer Zahl präsent gewesen seien. Daraus folgert er, dass nicht von einer einmaligen massenhaften Einwanderung landfremder Germanen und - angesichts der gleichmäßigen Ansiedlung - auch nicht von einem etappenweisen Vordringen derselben ausgegangen werden dürfe, sondern vielmehr ein lang anhaltender Prozess anzunehmen sei, "der durch ein stetig wachsendes Einströmen von Migranten gekennzeichnet" war (48). Haubrichs setzt zeitlich etwas später an und fragt nach den Gründen und Modalitäten germanisch-romanischer Akkulturationsprozesse, die er im Bereich der Sprache für das Gebiet der östlichen Gallia am Beispiel der Burgunden und Franken untersucht. Dabei vermag er zum einen zu zeigen, dass die sprachliche Integration nicht "ohne die Existenz einer ausgedehnten Bilingualität" (100) zu denken ist, zum anderen, dass die germanisch-romanische Sprachgrenze bereits mit dem 9. Jahrhundert etwa ihren heutigen Verlauf erreicht hat. Angenendt knüpft dann wieder stärker an die Kontinuitätsfrage an, indem er versucht, den Umbruch von der Spätantike zum Frühmittelalter von dem Phänomen Religion her zu erfassen, und dabei die Kontinuitäten sowohl im religiösen Denken als auch in den kirchlichen Institutionen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt. Zentral ist in diesem Zusammenhang vor allem die Beobachtung einer allgemeinen Verschiebung vom Säkularen zum Religiösen, die er insbesondere anhand der Umakzentuierung der Taufe überzeugend verdeutlicht: von einem individuellen Akt des Glaubens in der Antike hin zu einer tendenziellen "Selbstmächtigkeit des Ritus" (113), wie sie im Frühmittelalter im Umgang mit Zwangstaufen und Gewaltmission zum Ausdruck kommt. Vor diesem Hintergrund konstatiert Angenendt, dass die Kontinuität zwischen Antike und Mittelalter eher wiedergewonnenen werden musste, "als dass sie fortbestanden hätte" (141).

Die drei sich anschließenden Beiträge verkörpern gewissermaßen den geschichtswissenschaftlichen Kern des Bandes. Während Dieter Geuenich mit den Alemannen ein konkretes Beispiel für eine "gens" am Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter untersucht, setzen sich Matthias Becher und Stefan Esders kritisch mit einigen Zentralbegriffen der Frühmittelalterforschung auseinander. Geuenich geht dabei von der Frage aus, warum die Alemannen, die noch im 4. Jahrhundert über die eigentlich günstigere Ausgangslage verfügten, der fränkischen Konkurrenz im Kampf um das Erbe der römischen Welt letztlich unterlagen. Als Ursache hierfür führt er folgende Gründe an: Erstens den Umstand, dass die "Alamannorum patria" nicht auf ehemals römischem Gebiet lag und daher auch nicht auf einer römisch geprägten Infrastruktur aufbauen konnte; zweitens die nicht gegebenen Kontakte zum Christentum und drittens die offenbar nicht erfolgte Ausbildung eines Königtums als zentrale und übergeordnete Form der Herrschaftsorganisation. Diese Bedingungen, so legt Geuenich überzeugend dar, hätten eine Einbeziehung der Alemannen in die von Theoderich praktizierte weit ausgreifende Heirats- und Bündnispolitik verhindert. Die daraus resultierende Isolation habe schließlich zum Unterliegen im Kampf und zum Verlust der alemannischen Identität geführt. Matthias Becher setzt sich mit dem Herrschaftsbegriff der neuen deutschen Verfassungsgeschichte auseinander und analysiert die Entstehung von Königs- und Adelsherrschaft im merowingischen Frankenreich. In Anlehnung an die jüngere Forschung stellt er für die Entwicklung der Königsherrschaft die Relevanz der römischen Einflüsse heraus und konstatiert: "Es bleibt aber die Erkenntnis, dass militärische Macht - zumal im Falle des Erfolgs - die wohl wichtigste Legitimationsquelle des frühmittelalterlichen Königtums gewesen ist" (166). In dem umfangreicheren zweiten Teil seiner Ausführungen beschäftigt sich Becher dann mit dem fränkischen Adel und der kontroversen Diskussion über seine Genese und gesellschaftliche Stellung. Ein Streitpunkt betrifft das Verständnis von Adel entweder als aufgrund wirtschaftlicher Überlegenheit entstandener Oberschicht oder als rechtlich fixiertem Geburtsstand. Auf der Grundlage einer detaillierten Quellenanalyse, die sich mit guter Begründung im Wesentlichen auf Gregor von Tours stützt, entwickelt Becher eine innovative Vorstellung von den mit der Etablierung des fränkischen Adels einhergehenden gesellschaftlichen Prozessen. Insbesondere gelingt es ihm zu zeigen, dass die herausgehobene Bedeutung der als Adel charakterisierten Personen(gruppen) in erster Linie auf das Moment vorhandener Königsnähe zurückzuführen ist. Das Fehlen entsprechender Bestimmungen in der Lex Salica ist, wie Becher selbst betont, vor diesem Hintergrund freilich nach wie vor erklärungsbedürftig. Der ebenso gehaltvolle wie inspirierende Beitrag von Stefan Esders, der sich mit den öffentlichen Abgaben und Leistungen im Übergang von der Spätantike zum Mittelalter beschäftigt und damit den Fokus auf die Frage nach Verwaltung, Steuersystem und Staatlichkeit richtet, wird dem eingangs formulierten Anspruch, der diesbezüglich in eine Sackgasse geratenen Diskussion neue Impulse geben zu wollen, in vollem Umfang gerecht. Nachdem er zunächst aufzeigt, dass "fast alle strittigen Diskussionen zum Kontinuitätsproblem eng oder sogar unmittelbar [mit dem Steuersystem] verknüpft sind" (190), setzt er im Folgenden dazu an, auf der Basis der in den spätantiken und frühmittelalterlichen Quellen begegnenden Termini - etwa vom "munus" zum "servitium" und vom "iugus" zum "mansus" - die Entwicklung der jeweils so bezeichneten Gegebenheiten und ihre Zusammenhänge zu analysieren. Auf diese Weise gelingt es ihm eindrucksvoll, zum einen die Kontinuität von zentralen Organisationsprinzipien, wie etwa dem funktionalen Zusammenhang von Grundbesitz, Rekrutenaushebung und Steuersystem, offenzulegen und zum anderen zu zeigen, wo die durch den historischen und gesellschaftlichen Wandel bedingten Veränderungen liegen. In diesem Kontext zeichnet sich auch eine differenziertere Perspektive auf die karolingischen Reformen beispielsweise im Bereich der Heeresrekrutierung, der Hufenverfassung und der Fiskalgutverwaltung ab. Weiterführend sind nicht zuletzt die von Esders angestellten Grundsatzüberlegungen zum Lehnswesen, dessen Ursprünge er bereits im Frühmittelalter ansiedelt und mit der Zession als zentralem Instrument der römischen Finanzverwaltung in Verbindung bringt. Auch wenn vieles hier nur angedeutet wird und noch genauerer Untersuchung bedarf, ergeben sich doch vielfältige und vielversprechende Ansätze für die weitere Diskussion.

Etwas unverbunden angefügt sind die beiden restlichen Aufsätze. Der Rechtshistoriker Harald Siems bietet einen eher konventionellen Überblick über die Entwicklung der Rechtsquellen in dem hier interessierenden Zeitraum. Margarete Weidemann zeigt spätantike Traditionen und Kontinuitäten innerhalb der Wirtschaftsführung frühmittelalterlicher Grundherrschaften in merowingischer Zeit auf, wobei sie sich im Wesentlichen auf die ihr bestens bekannten Verhältnisse in und um Le Mans konzentriert. Beschlossen wird der Band durch eine Zusammenfassung von Reinhold Kaiser, der einzelne Aspekte noch einmal vertieft, jedoch ohne diese zu einer Synthese zu verdichten.

Der Tagungsband stellt sicherlich keine repräsentative Bestandsaufnahme der aktuellen Frühmittelalterforschung dar, dafür fehlt nicht nur die Rückbindung an den gerade für diese Epoche sehr lebendigen internationalen Diskurs, sondern auch die Behandlung elementarer Forschungsfelder, die durch Schlagworte wie Ethnogenese und Identität nur angedeutet seien. Nichtsdestotrotz finden sich hier gewichtige Erträge und Anregungen für die weiterführende Diskussion, denen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Resonanz zu wünschen ist.

Stefanie Dick