Mandy Banton (ed.): Administering the Empire, 1801-1968. A Guide to the Records of the Colonial Office in The National Archives of the UK, London: School of Advanced Study (SAS), University of London 2008, XX + 402 S., ISBN 978-1-905165-29-2, GBP 20,00
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Bei Many Bantons Archivführer handelt es sich um eine Einführung in die Geschichte und Verwaltungspraxis des Colonial Office zwischen 1801 und 1968 und eine Orientierungshilfe durch dessen komplexe "Ordnung der Dinge" in den National Archives (Kew).
Die rund 402 Seiten mit zahlreichen Abbildungen bieten einen benutzerfreundlichen, aktualisierten und anschaulichen Ratgeber, der sich auf die Organisation der Akten, deren Informationsgehalt und zeitgenössische Findmittel konzentriert und sich zugleich bemüht, die Verortung der Aktenbestände aus der Expansionsgeschichte des Empire und der beständigen Transformation der Kolonialregierung zu erklären. Über diesen Zusammenhang geben die ersten 11 Kapitel des Bandes auf 170 Seiten Auskunft, gefolgt von 200 Seiten mit 9 Anhängen, einem Glossar, Index und einer umfangreichen Bibliographie, die nicht nur Archivführer anderer Bestände, sondern auch weiterführende Forschungsliteratur listet.
Ziel des Bandes ist es weder, die Beratung vor Ort zu ersetzen noch Anne Thurstons Überarbeitung des vergriffenen Standardwerks von R.B. Pugh "The Records of the Colonial and Dominions Offices" (1964). [1] Gegenüber diesen Vorgängern setzt Mandy Banton drei Akzente: Sie berücksichtigt erstmals die Beziehungen des Colonial Office zu anderen Departments, bezieht die Existenz eines formellen wie informellen Empire ein und legt Wert darauf, die komplexe Klassifikation der Akten aus der historischen Entwicklung des Colonial Office selbst nachvollziehbar zu machen: Das Colonial Office wurde 1854 eigenständig, sah sich durch die Einrichtung des Dominions Division 1907 bis zu dessen Ausgliederung als eigenes Department 1925 geprägt und erlebte diverse Reformierungen bis zur Periode der Dekolonisierung, die zum Ende des Colonial Office 1966 durch die Zusammenlegung mit dem Commonwealth Relations Office (später: "Foreign and Commonwealth Office") führten.
An der Schnittstelle von Institutionen-, Verwaltungs-, Verfassungs- und politischer Geschichte beginnt Mandy Bantons Ratgeber folglich damit, die Ausdehnung des Empire erstens räumlich und zweitens zeitlich zu kartographieren (Kapitel 1). Wie komplex die Struktur der Kolonialregierung und das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie waren, wird in dem in Kapitel 2 skizzierten Beziehungsnetz deutlich: Was nämlich war die "Peripherie" verfassungsrechtlich eigentlich? Eine "Kolonie", ein "Dominion", "Protektorat" oder "Mandatsgebiet"? Und um was für eine Art der "Kolonie" handelte es sich: um eine Kronkolonie, eine Kolonie mit gewählten repräsentativen Institutionen und verantwortlicher Regierung oder ohne diese? Der Standort des jeweiligen Territoriums und die Gestalt des Aktenbestands bestimmten sich zudem darüber, ob das Gebiet völkerrechtlich durch Besiedlung, Eroberung, Zession oder Annexion akquiriert worden war. Für eine erfolgreiche Verortung der Akten ist dies zu kombinieren mit dem dramatis personae der Kolonialregierung (Kapitel 3). In Hinblick auf das Verhältnis dieser Akteure vor Ort und dem Colonial Office hebt die Autorin hervor, dass der Staatssekretär für die Kolonien natürlich gegenüber der britischen Regierung und dem Parlament verantwortlich war und für Ruhe, Ordnung und "good government" zu sorgen hatte. Mitnichten aber wurde die Kolonie in den alltäglichen Verwaltungsangelegenheiten von der Zentrale aus regiert - "still a common misconception" -, sondern von den Gouverneuren und den Kolonialregierungen (21).
Die Kartographierung der Kolonialverwaltung erweist sich also als ein ungeheuer sperriger Gegenstand, gilt es doch, für den Benutzer - dem Charakter eines Handbuchs entsprechend - feste Strukturen, klare Verwaltungslinien und Pfade durch das Dickicht kolonialer Administration zu schlagen, die sich stets verändert und neben einigen wenigen Konstanten vor allem Ausnahmen, "variations", "varied arrangements" (17) der alltäglichen Verwaltungspraxis kennt - ein beständiger Spagat. So muss sich der Leser Zug um Zug mehr daran gewöhnen, dass Mandy Bantons Handreichung auch ein Archivführer all dessen ist, was es nicht in den Beständen des Colonial Office gibt: "Many new users of record relating to the colonies deposited in TNA appear to believe that all records created by the colonial governments have been transferred or copied, to London. This is not the case." (23)
Das Kernstück des Werkes macht indes Kapitel 6 "The records of the Colonial Office" (49-126) aus, das sich eingängig mit der Technik der Aktenführung beschäftigt. Das Kapitel vermittelt Grundlagenkenntnisse, die auch Anwendung im India Office finden können (dem einzigen Bestand der Kolonialverwaltung, der sich nicht in Kew, sondern in der British Library befindet). Was also findet man wo - sofern vorhanden? Im Mittelpunkt stehen zunächst die Akten der "Original Correspondence" und deren Anordnung sowie der Umgang mit "case volumes", "entry books" und Findbüchern für die Registrierung der Korrespondenz in den Variationen des 19. und 20. Jahrhunderts, mit Indices und Kreuzverweisen. Die feinen Unterschiede zwischen "confidential" und "secret correspondence" sind Gegenstand, ebenso die gedruckte Korrespondenz sowie zerstörte Bestände. Die Reorganisation des Colonial Office im 20. Jahrhundert spiegelt sich nun in der Systematik der Akten, werden diese doch erstmals nicht mehr nur geographisch und nach dem jeweiligen politischen Status der Kolonien sortiert, sondern mit dem Einzug der Expertenkultur erstmals auch nach Themenfeldern. Eine Übersicht über gängige Abkürzungen der Registerbände, über das für die Kolonialverwaltung so wichtige statistische Material und die in den Kolonien geltenden Gesetze, Verordnungen und Bekanntmachungen inklusive der amtlichen Publikationsreihen rundet das Kapitel ab. In vorbildlicher Verzahnung von Text und Bild erläutern zudem zahlreiche Abbildungen die Anlage der Akten, deren Annotierung und Paraphierung, Kodierung und Entzifferung, das System des Verweises von Berichten an andere Departments.
Natürlich fehlt auch abschließend der Verweis auf "Private papers and private office papers" zu Kolonialangelegenheiten (Kapitel 9) sowie auf Karten und Pläne (Kapitel 10) nicht.
Der 200 Seiten starke Anhang listet systematisch die Aktenbestände zu den einzelnen Kolonialgebieten (App. 1), die ab Mitte der 1920er eingeführten Themengebiete (App. 2), Zeitschriften (App. 3), die "Colonial Office Civil List" (App. 4), eine detaillierte Aufstellung über die Regeln für die amtliche Korrespondenz zwischen den Gouverneuren und dem Colonial Office (App. 5), eine tabellarische Aufstellung des 1927 eingeführten Aktenregistrierungssystems (App. 6), ein Recherchebeispiel (Kap. 7), Hinweise für Biographie- und Familienforschung (App. 8) sowie schließlich Informationen über verfügbare Online-Kataloge (App. 9).
Alles in allem ist Mandy Bartons Archivführer ein sehr nützlicher Ratgeber zur Vorbereitung eines Archivaufenthalts und für die Erstbegegnung mit den Akten. Alleiniger Wermutstropfen: Der allzu dünne Pappeinband wird den 400 Seiten schweren Hochglanz-Papiers nicht gerecht - das einzige, was den Charakter eines Vademecums einschränkt.
Anmerkung:
[1] Anne Thurston: Sources of Colonial Studies in the Public Record Office, Vol. I: Records of the Colonial Office, Dominions Office, Commonwealth Relations Office and Commonwealth Office, British Documents on the End of the Empire, ser. C, vol. I, HMSO for the Institute of Commonwealth Studies, University of London and the Public Record Office, Vol. II: Records of the Cabinet, Foreign Office, Treasury and Other Records, London 1995 bzw. 1998.
Verena Steller