Mark Bradley (ed.): Classics and Imperialism in the British Empire (= Classical Presences), Oxford: Oxford University Press 2010, XXIV + 335 S., ISBN 978-0-19-958472-7, GBP 65,00
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Imperien werfen lange Schatten - und sei es auch nur als Vor- und Gegenbild. Politische Maßnahmen und Entscheidungen wurden in der europäischen Neuzeit daher immer wieder mit Blick auf die Modelle der Antike diskutiert, befürwortet oder abgelehnt. Dafür, was diese Modelle waren, zeichnete wiederum die Ausbildung vieler zentraler Akteure in den alten Sprachen sowie ihre Konfrontation mit Texten und Artefakten aus dem Altertum verantwortlich, die wiederum durch den jeweiligen Stand der Altertumswissenschaft in unterschiedlicher Weise geprägt waren.
Diese komplexe Wechselbeziehung thematisiert der vorliegende aus einer Konferenz in Nottingham 2005 hervorgegangene Band am Beispiel des britischen Empire. Die mit einer Fallstudie zum britischen Museum als Ort der gleichzeitigen Repräsentation klassischer und moderner imperialer Artefakte und Konstellationen (Mark Bradley) eingeführten Aufsätze nähern sich ihren Themen aus philologischen, archäologischen, historischen und literaturwissenschaftlichen disziplinären Kontexten; dabei gilt der Einführung postkolonialer Perspektiven in die Rezeptionsdiskussion, die ja zugleich eine Diskussion über imperiale Verzerrungen der Wahrnehmung der Antike darstellt, besondere Aufmerksamkeit.
Die Aufsätze sind auf fünf thematische Felder aufgeteilt, die jeweils zwei Beiträge umfassen. In "Classical Scholarship and Imperial Hegemonies" spannt Kostas Vlassopoulos das Feld auf, in dem er nach dem Nutzen fragt, der im 18. Jahrhundert aus klassischen Vorbildern gezogen wurde - mit Blick auf Universalmonarchie, Zivilisation, Freiheit und Kolonien. Dagegen richtet Rama Sundari Mantena den Blick genauer auf Indien, wo sie in den Jahren um 1800 zwei imperiale Modelle identifiziert: eines "Indo-European", das die Gemeinsamkeiten der klassischen Kulturen beider Regionen betont habe, das andere "Romano-Britannic", das Großbritannien nach römischem Vorbild in der Rolle einer imperialen Macht sah (72). Beide hatten natürlich unterschiedliche Folgen für Prognosen über die Zukunft der britischen Herrschaft in Indien - so dass es durchaus signifikant erscheint, dass das ethnisch-pluralistische, aber machstaatlich zentralistische zweite Modell in späteren imperialen Diskursen der Betonung ethnischer Homogenität als einzigem Stabilitätsfaktor wich.
Multiethnische Herrschaftssysteme schienen also selbst ihren Befürwortern vor allem dann möglich, wenn sie mit einer Zivilisationsmission einhergingen, die letztlich auf Vorstellungen gründete, die eine "Rasse" sei der anderen überlegen. Margaret Williamson untersucht die Wurzeln solcher Ideen am Beispiel der Leerstellen in Coleridges Karibik-Bildern. Debbie Challis konzentriert sich im zweiten Beitrag, ausgehend vom dem in seiner Zeit außerordentlich populären Rassetheoretiker Robert Knox, auf die Rolle physiognomischer Vorstellungen, bildlicher Darstellungen und Ausstellungen antiker Überreste bei der Ausbildung der Vorstellung, die Griechen seien "The Ablest Race" (gewesen) (94).
Der dritte Teil des Bandes heißt "Empire and the Classical Text". Mark Bradley beschreibt die Britannien-Bezüge in Tacitus' Agricola als Ausgangspunkt einer umfassenden (und auch mit vielen Illustrationen dokumentierten) Beschäftigung mit und (ironischen) Stilisierung der britischen Nationalgeschichte in ihren imperialen Kontexten im 19. und 20. Jahrhundert. David Fearn richtet den Blick auf die Entdeckung des Bacchylides Manuskripts, um daran das breite Spektrum imperialer Vorstellungen von imperialen Desintegrationsprozessen aufzufächern.
Der vorletzte Abschnitt, "Decline and Danger", ruft natürlich bereits in der Überschrift Gibbon auf, der, von Adam Rogers und Richard Hingley mit Francis Haverfield kontrastiert, als ein komplexer Ahnherr von Untergangsvisionen rekonstruiert wird. "Danger" bezieht sich wieder auf das "Rasseproblem", dessen Rolle für imperiale Angstzustände Emma Reisz untersucht.
Der letzte Abschnitt, "Relocating Empire", wechselt dann noch einmal die Perspektive: auf eine indische literarische Verarbeitung des Potentials klassischer imperialer Mythen bei Altaf Hussain Hai (Abishek Kaicker) sowie auf die Rolle antiker Dekorationen und Anspielungen in der populären amerikanischen Konsum- und Freizeitkultur um 1900 (Margaret Malamud).
Gewiss kann der Band nicht alle Bereiche berühren, und die Gegenüberstellung von eher überblicksartigen und eher pointillistischen Artikeln funktioniert mal mehr, mal weniger gut. In der Summe bietet der Band aber sowohl einen breiten Überblick als auch konkrete Denkanstöße zu dem klassisch-imperialen in modernen Imperien - und zur Rolle der modernen Imperien in den Wissenschaften von der Antike.
Andreas Fahrmeir