Herbert Jaumann (Hg.): Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch, Berlin: De Gruyter 2011, XIII + 1054 S., 30 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-018901-8, EUR 169,95
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Herbert Jaumann ist einer der interessantesten, zugleich eigenwilligsten Erforscher der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur in Deutschland. Für das schwergewichtige, über tausend Seiten umfassende Sammelwerk gewann er 22 Literaturwissenschaftler, Historiker und Wissenschafts- und Wissenshistoriker, überwiegend aus Deutschland, einige aus der Schweiz, Österreich und Italien, alle ausgewiesen durch profunde Forschungen auf dem verhandelten Gebiet frühneuzeitlicher Gelehrtenkultur. Der Band ist kein Abkömmling der überhand nehmenden, oft hastig zusammengestellten Tagungsbandproduktion. Jaumanns Idee eines Handbuchs über die "Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit" sollte laut Vorwort ursprünglich die sechs Themengruppen "Philologie und Artes, Poesie, Antikenrezeption", "Kulturen", "Theologie, Kirche", "Philosophie", "Recht, Politik", "Naturforschung, Mathesis, Medizin, materielle Kultur" umgreifen. Realisiert wurde diese Idee zwar ungleichgewichtig, indem die Beiträge zum ersten Themenkomplex weit überwiegen (wohl auch weil die meisten Autoren Literaturwissenschaftler sind), die übrigen Komplexe dagegen nur vereinzelt behandelt werden. Zur Theologie, immerhin die frühneuzeitliche Leitwissenschaft, findet sich nur ein Beitrag, die Jurisprudenz, die der Theologie im Verlauf der Frühen Neuzeit zunehmend Konkurrenz als Leitwissenschaft machte, fehlt ganz. Ein "Handbuch" ist das Buch so nicht eigentlich geworden ("Handbuch" ist auf dem Cover auch nur ganz klein gesetzt). Doch dichte und anregende Einblicke in ein Forschungsfeld, das sich seit den 80er Jahren zwischen traditioneller Humanismus- und Barockforschung, Ideengeschichte und neuer Kultur- und Wissensgeschichte formiert hat, bietet das Sammelwerk schon.
Im knappen Vorwort hat Jaumann einige Vorgaben formuliert, die Interessen und Strategien des gelehrten Forschungsfeldes mit seinen (in den einzelnen Beiträgen deutlich) unterschiedlichen Fragestellungen und methodischen Ansätzen profilieren. Es geht um eine nicht von der Moderne vereinnahmte Sicht auf die frühneuzeitliche Gelehrtenkultur, deren "Andersartigkeit", ja "Fremdheit" es anzuerkennen und herauszuarbeiten gilt. Entschieden lehnt Jausmann deshalb das Verständnis frühneuzeitlicher Gelehrter als "Intellektuelle" ab, wie es in einem parallel erschienenen, von Luise Schorn-Schütte herausgegebenen Sammelwerk (Intellektuelle in der Frühen Neuzeit, Berlin 2010) zur Diskussion gestellt wird. Der "Intellektuelle" formierte sich nach Jaumann erst seit der Wende zum 19. Jahrhundert, weshalb der Begriff für die Frühe Neuzeit vermieden werden sollte. Eine wesentliche Differenz zur Moderne markiert das gemeinsame "jüdisch-christliche Fundament" der frühneuzeitlichen europäischen Gelehrtenkultur, die eine "pränationale", in diesem Sinn "übernationale" und keine "internationale" Kultur repräsentiert. Wichtig für das Verständnis der Frühen Neuzeit ist die Gelehrtenkultur nach Jaumann vor allem deshalb, weil der "Typus des Gelehrten und die Wissensformen, die dieser in unterschiedlichen Ämtern, Praktiken und kulturellen Produkten seiner Tätigkeit vermittelt und vertritt" (IX), nicht nur die Wissensproduktion, sondern auch Politik und Gesellschaft dieser Epoche auf besondere Weise durchdrungen und geprägt haben.
Die überwiegend umfangreichen, oft 50 und mehr Seiten umfassenden Beiträge können nur summarisch vorgestellt werden. Es gehört zu den Charakteristika neuerer Arbeiten zur Gelehrtenkultur, dass nicht nur die intellektuellen und theoretischen Endprodukte, sondern auch die sozialen und materiellen Bedingungen und Kontexte gelehrten Arbeitens analysiert werden. Im vorliegenden Sammelwerk überwiegt allerdings deutlich der erste Aspekt. Unterschiedlich sind die Präsentationsstrategien und Vermittlungsformen der einzelnen Beiträge, die von hoch komplexen und voraussetzungsreichen, nur Spezialisten zugänglichen Darstellungen über eingängige Überblicksdarstellungen, in denen ein Forschungsthema aufgeschlossen wird, bis hin zu Darstellungen reichen, die nach Art von Forschungsberichten einen bestimmten Forschungskomplex skizzieren, Deutungsperspektiven explizieren und Desiderata bestimmen. So ist, wie gesagt, zwar kein eigentliches Handbuch entstanden. Doch ermöglichen die Beiträge vielfältige und reiche Einsichten darüber, wie heutige Geisteswissenschaftler die Arbeit ihrer Vorgängerformation vergegenwärtigen.
Helmut Zedelmaier