Ute Frevert: Gefühlspolitik. Friedrich II. als Herr über die Herzen?, Göttingen: Wallstein 2012, 150 S., 26 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-1008-7, EUR 16,90
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Einen pointierten Essay über das große Ganze der friderizianischen Politik hat Ute Frevert vorgelegt. Er widmet sich der Kommunikation zwischen Herrscher und Untertanen und sucht dabei ein breites Publikum von den Vorzügen des "emotional turn" zu überzeugen.
Diesem Zweck dient zumal das einleitende Kapitel, in dem Wladimir Putin, Willy Brandt und Hillary Clinton als Instanzen moderner Gefühlspolitik präsentiert werden. Aus deren Inszenierungen erwächst die Frage, inwiefern Empfindungen als "Ressourcen, Werkzeuge und Objekte" (16) dienen können. Beantwortet wird sie am Fallbeispiel Friedrichs des Großen, der Politik als eine besondere "Darstellungskunst" betrieben habe. Der Außenseite seiner Herrschaft gilt die Aufmerksamkeit, nicht der Innenseite vermeintlich authentischer Gefühle, der Form, nicht konkreten Inhalten der Politik. Folgerichtig nimmt der Essay auch die Perspektive der Untertanen ein und konstatiert schließlich, dass sich die Kommunikation zwischen dem Herrscher und seinen Bürgern grundsätzlich geändert habe - auf einer breiten Quellengrundlage, zu der Schriften Friedrichs ebenso wie ausländische Preußen-Deutungen, literarische Texte ebenso wie journalistische, bürgerliche Tagebücher nicht minder als adelige Briefe gehören.
Chronologisch geht die Verfasserin nicht vor. Ihre Argumentation gewinnt so rhetorische Überzeugungskraft, aber büßt inhaltliche Substanz ein, weil sie sich der Gelegenheit begibt, den Wandel sichtbar zu machen. Das ist bereits am zweiten Kapitel zu erkennen, in dem Friedrichs Jahrhundert als Jahrhundert der Sinnlichkeit schlechthin dargestellt wird. Ob die Praktiken des 1786 verstorbenen Königs wirklich dazu dienten, Schillers 1788 formuliertes "'Ideal bürgerlicher Glückseligkeit' zu verwirklichen" (31)? Dieser Frage steht nicht nur die bekannte Abneigung des Königs gegenüber jeglicher deutschen Literatur entgegen. Über die angekündigte "Gefühlserziehung" (31) des Königs erfährt der Leser ohnehin wenig, abgesehen von kursorischen Bemerkungen über das Erziehungsideal Friedrich Wilhelms I.
Das so dynamische 18. Jahrhundert wird hier zu sehr von seinem Ende her gedacht, nicht aus seinem Anfang heraus verstanden. Zur Formation des Kronprinzen hatten Richardsons "Pamela" und Goethes "Werther" (34) indes nichts beizutragen. Dass der Herrscher ein empfindsames Herz haben solle, stellt zudem kein neues Postulat des Sensualismus dar (dem sich der bisweilen zitierte Rationalist Christian Wolff kaum angliedern lässt), sondern einen antiken Topos, der erst am Ende des Buches konzediert wird (120). Welch instrumentelles Gefühls-Verständnis Friedrich pflegte, zeigt sodann eine breite Zitat-Montage, die auf Entstehungszeiten und -kontexte kaum Rücksicht nimmt. Blicke auf den Wandel werden dadurch verstellt, den etwa der hier souverän ignorierte Theodor Schieder in einer immer stärkeren Betonung der Staatsvernunft bei Friedrich erblickt hat. [1] Von der Pflicht zur Auseinandersetzung mit einschlägiger Literatur vermag aber selbst die Darstellungsform des Essays nicht zu entbinden.
Wie Friedrich seinen Anspruch, Herr über die Herzen der Untertanen zu sein, in die politische Praxis umgesetzt habe, demonstriert das dritte Kapitel. Es handelt von des Königs fein dosierter "Kunst, Gefühle sprechen zu lassen" (73), und berichtet von populärer Steuerpolitik, von der Sorge um das Soldatenwohl, von Petitionen und Rundreisen, von Gunsterweisungen, von zeremonieller Sparsamkeit, zugleich von Härte gegenüber Mitbestimmungsansprüchen. Dass die "affektive Semantik offensichtlich keine tragende Rolle" beim Umgang mit den schlesischen Ständen einnahm (69), wäre Anlass, künftig die ständische Segmentierung der "Gefühlspolitik" zu untersuchen. Von seinen Soldaten mag der Herrscher Liebe erwartet haben (im Übrigen ein klassischer Feldherrn-Topos) - aber auch von seinen adeligen Generälen? Stellten Gefühle mehr als nur ein Vehikel dar, Vernunftpolitik durchzusetzen, nötigenfalls auch gegen Widerstand?
Zwangsmaßnahmen waren schließlich ein konstitutives Element der friderizianischen Herrschaft, etwa gegen jene renitenten Bauern, die sich dem vorgeschriebenen Kartoffelanbau verweigerten. Aus solchen Testfällen ließe sich vielleicht mehr gefühlspolitische Substanz gewinnen als aus traditionellen Petitionspraktiken frühneuzeitlicher Herrscher. Denn der gesamte Essay macht vor allem auf die Systematik aufmerksam, mit der Friedrich der Große anscheinend affektive Bindungen herzustellen bemüht war, wo rationale nicht verfingen. Die von der Verfasserin oft erwähnte Liebe schien ein ideales Mittel, das nur emotional ansprechbare Unterschichten an den Herrscher binden sollte, aber war wohl kein Staatszweck. Gerne erführe der Leser daher, ob solche Erkenntnisse nun etwa die These bestätigen oder widerlegen sollen, dass Friedrichs Staatsziele eher "dem Fundus aufgeklärter Rationalität" entstammten. [2]
Das vierte Kapitel deutet Gefühlspolitik als Kommunikationsprozess und nimmt die Perspektive der (freilich nicht genauer profilierten) Bürger ein. Zeitungsartikel, Flugschriften, Lieder und Gedichte, aber auch textile und metallene Devotionalien galten einem gemeinwohlsorgenden König, dessen Nähe sie zugleich einforderten. Mit dem König und seinen Erfolgen "feierten die Bürger auch sich selber" (96), und zwar in Konkurrenz untereinander. Individuelle Ambitionen verbanden sich mit kollektiven Ansprüchen, der König ging immer mehr im "Vaterland" auf, dessen Gesetzen er sich zu fügen habe. Ebenso unterschiedlich wie die Interessen der jeweils beteiligten Bürger, so zeigt die Verfasserin etwa an Trauerfeiern auf, waren ihre öffentlich demonstrierten, politisch motivierten Gefühle über den Tod Friedrichs, die "nicht auf Knopfdruck" erzeugt werden konnten (114).
Gegen das Klischee gefügiger Untertanen wendet sich das fünfte, abschließende Kapitel. Es arbeitet heraus, dass die Liebe des Herrschers sowie die Liebe zum Herrscher im Preußen des 18. Jahrhunderts auf "Distanz und Differenz" beruht hätten (117), während in anderen Nationen "horizontale" Beziehungen der Untertanen entstanden seien (118). Warum solche "Verbürgerlichungsstrategien" (121) scheiterten, obschon sich in Friedrichs Wahrnehmung als Mensch und Individuum die besagte Distanz zu den Untertanen gerade vermindert habe (122), bedürfte allerdings einer Erklärung. Sie liegt wohl im zeitlichen Verlauf. Denn im späten 18. Jahrhundert gewann die Überzeugung immer mehr Anhänger, ein Monarch müsse sich der Untertanen "Herzen erst erobern" (126). In der Tat gilt das für Preußen, aber auch für andere Territorien: Joseph Richter band seine Reform-Anliegen 1787 explizit an die Frage: "Warum wird Kaiser Joseph von seinem Volke nicht geliebt?" Das könnte Anlass zu einer neuerlichen Betrachtung des Aufgeklärten Absolutismus darstellen - ein Begriff, den die Verfasserin gar nicht nutzt.
Einen ausgewogenen Beitrag zur Friedrich-Forschung stellt der vorliegende Essay letztlich nicht dar. Das möchte er wohl auch nicht sein. Vielmehr ist das mit viel Elan und Witz geschriebene Buch als pointierte Programmschrift zu würdigen, die für die heuristische Kategorie der Gefühlspolitik werben soll - und insbesondere als gelungener Versuch, einem breiten Lesepublikum den Anschluss an aktuelle wissenschaftliche Debatten zu ermöglichen. Zum Nachdenken regt es allemal an.
Anmerkungen:
[1] Theodor Schieder: Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1983, 307.
[2] Johannes Kunisch: Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 2004, 129.
Georg Eckert