Michael Puchta: Mediatisierung "mit Haut und Haar, Leib und Leben". Die Unterwerfung der Reichsritter durch Ansbach-Bayreuth (1792-1798) (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 85), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, 813 S., ISBN 978-3-525-36078-1, EUR 129,95
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Die Bemerkung, dass das Alte Reich in den vergangenen Jahrzehnten eine umfassende historiographische Neubewertung erfahren hat und mittlerweile als prinzipiell durchaus funktionstüchtige Friedens- und Rechtsordnung gewürdigt wird, kann als Gemeinplatz gelten. Freilich wirft dieser Paradigmenwechsel seinerseits zahlreiche noch ungelöste Forschungsprobleme auf, von denen die Frage nach der Reformfähigkeit des Reiches im 18. Jahrhundert und den strukturellen Ursachen seines Untergangs im Jahr 1806 gewiss zu den bedeutendsten zählt. Mit der vorliegenden Studie, die 2009 am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertationsschrift angenommen wurde, leistet Michael Puchta einen wichtigen Beitrag zu dieser Debatte. Im Fokus der voluminösen Arbeit steht die durch Preußen in den 1790er Jahren betriebene Mediatisierung eines erheblichen Teils der fränkischen Reichsritterschaft. Der Untergang eines mindermächtigen Reichsglieds im Zuge der Arrondierungs- und Machtpolitik eines armierten Reichsstands dient dem Autor als Indikator für die fortschreitende "Erosion des Reichsverbandes als Schutz- und Rechtsgemeinschaft" (16).
Einleitend behandelt Puchta zunächst Entstehung und korporative Verfassung der Reichsritterschaft, die ins 17. Jahrhundert zurückreichenden Auseinandersetzungen um die reichsritterschaftliche Rechtsstellung und die Ausgangsposition Preußens beim Anfall von Ansbach und Bayreuth 1792 (39-182). Überzeugend wird herausgearbeitet, dass sich die Position der Reichsritterschaft im Vergleich zu früheren Auseinandersetzungen bereits deutlich verschlechtert hatte, als Berlin daran ging, die komplexe territoriale und herrschaftliche Gemengelage in seinen neu erworbenen Territorien durch umfangreiche Mediatisierungen zu bereinigen. Einerseits hatten die gewaltigen Belastungen der Koalitionskriege gegen das revolutionäre Frankreich das ökonomische Fundament zahlreicher reichsritterschaftlicher Geschlechter unterhöhlt, andererseits hatte der Kaiser seine Stellung als Schutzherr der Reichsritter und Garant der Reichsverfassung durch seine Hausmachtpolitik in Vorderösterreich und Böhmen (Mediatisierung der Herrschaft Asch 1775) geschwächt.
Gleichwohl warnt Puchta vor einer teleologischen Betrachtungsweise und betont, dass sich Preußen in den Verhandlungen über die Wahlkapitulation Kaiser Leopolds II. im Gegensatz zu anderen Reichsständen nicht gegen die Reichsritter exponiert und auch Karl Alexander, der letzte Markgraf von Ansbach-Bayreuth, gegen Ende seiner Regentschaft versöhnliche Töne gegenüber den Rittern angeschlagen hatte. Eine gewaltsame Mediatisierung war demnach 1792 "keineswegs zu erwarten und musste das Corpus equestre buchstäblich kalt erwischen" (154). Als "eigentlichen Motor der Mediatisierungspolitik" (159) betrachtet Puchta weder den König, noch das Berliner Kabinettsministerium, sondern eine vergleichsweise kleine Gruppe von zumeist bürgerlichen, aufgeklärt-etatistisch denkenden Beamten der "fränkischen Schule" unter Leitung von Karl August von Hardenberg. Dieser Fraktion stand jedoch vor allem innerhalb der Ansbacher Regierung eine nicht unbedeutende Gruppe reichsritterschaftlicher und bürgerlicher Oberbeamter gegenüber, deren auch reichsrechtlich motivierte Opposition gegen die Mediatisierungspolitik nach Puchta "ein erstaunliches und über den bisherigen Wissensstand hinausreichendes Ausmaß" erreichte (280).
Minutiös schildert der Autor sodann den chronologischen Verlauf der Auseinandersetzungen (183-515). Gegen den anfänglichen Widerstand des Kabinettsministeriums, das eine Gefährdung der preußischen Reichspolitik und eine Verschlechterung der Beziehungen zum Kaiserhof befürchtete, setzte Hardenberg schon 1792 als strategisches Ziel die Schaffung eines möglichst "geschlossenen Territoriums und Regaliendistricts" (198) durch. Die Missachtung der vorgefundenen Realitäten im "Territorium non clausum" und die damit einhergehenden landeshoheitlichen Ansprüche auf reichsritterschaftliches Gebiet rechtfertigte Hardenberg als Widerherstellung eines vermeintlichen spätmittelalterlichen Rechtszustandes. Auf reichsrechtlich fragwürdige Weise leitete der Minister hierzu die Landeshoheit aus der durch die Markgrafen ausgeübten Blutgerichtsbarkeit ("Fraisch") ab.
Zahlreicher punktueller Eingriffe in die Rechtsstellung der Reichsritter zum Trotz strebte Hardenberg jedoch zunächst nach gütlichen Vereinbarungen mit dem fränkischen Ritterkreis. Die Idee eines umfassenden vertraglichen Ausgleichs war jedoch schon im März 1793 gescheitert, wofür Puchta neben zahlreichen weiteren Gründen eine letztlich "unüberbrückbare Kluft in den staatsrechtlichen und politischen Anschauungen" der machtstaatlich ausgerichteten preußischen Monarchie und der Reichsritter verantwortlich macht (236). Gegen die sich mehrenden Übergriffe im Bereich der Policey sowie des Militär- und Steuerwesens suchten die Ritter Rückhalt am fränkischen Kreis und am Kaiserhof, der sich zunächst auf diplomatische Initiativen beschränkte. Schließlich erließ der vom Kanton Altmühl angerufene Reichshofrat Ende 1795 zwei von Preußen ignorierte Mandate zugunsten der Ritterschaft, mit deren Exekution Bamberg und Sachsen-Gotha beauftragt wurden.
Derweil erweiterten der Baseler Separatfrieden mit Frankreich (April 1795) und die damit einhergehende Einrichtung einer norddeutschen Neutralitätszone den politischen und militärischen Spielraum Preußens und läuteten die 1796 einsetzende "heiße Mediatisierungsphase" (381) ein, in der es zur Eingliederung der reichsritterschaftlichen Gebiete in das Verwaltungs- und Justizsystem der Markgrafentümer kam. Das Verhalten der reichsritterlichen Geschlechter angesichts des drohenden Abstiegs in die Landsässigkeit war von zahlreichen individuellen Faktoren abhängig und differierte folglich von Geschlecht zu Geschlecht. Der durch die Reichsritter erneut angerufene Reichshofrat erließ mehrere Restitutionsmandate und erinnerte die Rittergenossen zugleich an ihre eidliche Bindung an den Kaiser. Da Preußen diese Mandate jedoch weiterhin ignorierte und sogar deren ordnungsgemäße Zustellung verweigerte, ging die oberstrichterliche Intervention ins Leere. Ebensowenig beeindruckten in Berlin die Protestnoten, die mehrere Kurfürsten auf Druck der Hofburg an den König richteten.
Die Teilnahme ritterschaftlicher Deputierter an der Berliner Erbhuldigung gegenüber dem neuen König Friedrich Wilhelm III. im Juli 1798 wertet Puchta als formalrechtlichen und symbolischen Abschluss der Mediatisierung. Der Umfang des fränkischen Ritterkreises hatte sich um etwa ein Viertel bis ein Drittel verringert. Besonders betroffen war der Kanton Altmühl, der fast vollständig mediatisiert worden war. Vor dem Hintergrund der revolutionären Ereignisse in Frankreich verdienen auch die "Kontingenzerfahrungen" Beachtung, die aus Untertanenperspektive mit der Auflösung überkommener Abhängigkeitsverhältnisse und der durch den neuen Landesherrn betriebenen Herrschaftsintensivierung (z.B. Einführung des Kantonsystems) verbunden waren.
Abschließend widmet sich Puchta dem die Mediatisierungen begleitenden publizistischen Diskurs (517-688). Dass Hardenberg diesem Bereich große Bedeutung zumaß, verdeutlichen zahlreiche vor allem seit 1796 erschienene Publikationen, welche die Lesart des Ministers, wonach durch die Mediatisierungen lediglich ein spätmittelalterlicher Zustand wiederhergestellt werde, untermauern sollten. Zu rechtfertigen war dabei auch die eigenmächtige Kassation von kaiserlich konfirmierten Rezessen, die in den vorangegangenen Jahrhunderten zwischen den fränkischen Markgrafen und den Reichsrittern abgeschlossen worden waren. Hierzu leitete die propreußische Publizistik aus dem Hausrecht der Hohenzollern (u.a. der Dispositio Achillea von 1473) die Theorie eines dem Reichsrecht im Zweifelsfall übergeordneten "allgemeinen Staatsfideikommisses" (577) ab. In Anlehnung an Wolfgang Burgdorf verortet Puchta diese Schriften ebenso wie die reichsritterschaftliche Publizistik vornehmlich in einer intergouvernementalen Öffentlichkeit. Als Rezipienten benennt er deshalb vor allem Regierungen sowie Reichs- und Kreisinstitutionen, während Landbevölkerung und Unterschichten durch diese Erzeugnisse nicht in nennenswertem Umfang erreicht oder auch nur angesprochen worden seien.
Puchta hebt als Fazit unter anderem die Überforderung der genossenschaftlich verfassten Reichsritterschaft im Konflikt mit einem armierten Reichsstand hervor und betont: "In der Krise war Preußen bei allem 'Nichtabsolutistischen im Absolutismus' der Reichsritterschaft strukturell überlegen." (712) Auch die Reformfähigkeit des Alten Reiches beurteilt der Autor für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts negativ. Die unmissverständliche Weigerung Preußens, seine Landeshoheitsansprüche auf eine dem Reichsrecht konforme Weise zu verfolgen, habe zur weiteren Erosion der imperialen Friedens- und Rechtsordnung beigetragen und anderen großen Reichsständen als Blaupause für deren Mediatisierungspläne gedient. In der gewiss noch lange nicht an ihr Ende gelangten Diskussion um die strukturellen Ursachen von "1806" liefert Puchta mit der vorliegenden Studie einen empirisch außerordentlich fundierten Beitrag, der als Warnung verstanden werden kann, über der prinzipiell zu begrüßenden Rehabilitation des Alten Reiches dessen strukturelle Defizite nicht aus dem Blick zu verlieren.
Tobias Schenk