Francis H. Marlo: Planning Reagan's War. Conservative Strategists and America's Cold War Victory, Washington: Potomac Books 2012, VIII + 243 S., ISBN 978-1-59797-667-1, USD 29,95
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Georg Schild: 1983. Das gefährlichste Jahr des Kalten Krieges, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013
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Tim B. Müller: Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg, Hamburg: Hamburger Edition 2010
Dionysios Chourchoulis: The Southern Flank of NATO, 1951-1959. Military Strategy or Political Stabilization, Lanham, MD: Lexington Books 2015
Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen, München: Kunstmann Verlag 2013
Tim Szatkowski: Die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei 1978 bis 1983, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2016
Derzeit gibt es wieder historische Meriten zuzuteilen bzw. in Frage zu stellen. 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges und kurz nach Erscheinen einer auf exklusiven Tonbändern basierenden, umstrittenen Biografie von Helmut Kohl wird die Frage nach den Verdiensten bei der Überwindung des Kalten Krieges fortgesetzt und wieder diskutiert.
Das Werk von Francis Marlo gehört zu den Beiträgen dieser Debatte. Marlo beschreibt die Rolle von Ronald Reagan, seiner Strategie und seines Handelns, im Kontext der Entwicklung konservativer Politik in den USA seit 1945. Reagan erscheint als vollgültiger amerikanischer Konservativer, der trotz seiner teils aggressiven Vorgehensweise letztlich deren Ziele mehr oder weniger geradlinig, wenn auch mit markanten Modifikationen fort- und durchgesetzt habe. Dabei fallen immer wieder die Namen prominenter konservativer Politiker und Vordenker, etwa von James Burnham, Barry Goldwater oder Robert Strausz-Hupé. Anhand eines mehr oder weniger mechanischen Schemas, bestehend aus einer temporären Komponente (Früh-, Mittel- und Spätphase des Kalten Krieges) und drei Leitkategorien ("Beliefs", "Goals", "Tools"), will Marlo belegen, dass Reagan mit seinem, zugebenermaßen teils recht ausgreifenden offensiven Handeln den Grundlagen konservativer Politik wie auch seinen eigenen Prinzipien gerecht geworden sei. Letztlich wird damit dann mehr oder weniger deutlich auch das Hauptverdienst am Ende des Kalten Krieges Reagan und seinem konservativen Background zugebilligt.
Um es kurz zu machen: Das Werk wird wissenschaftlichen Standards nicht gerecht. Anstatt einer von historiografischer Kritik geleiteten tiefgehenden Analyse findet der Leser rasterhafte, repetierende Urteile, die letztlich eine additive Gesamtschau "konservative Politik + Reagan" bieten. Marlo verwendet fast keinerlei archivalische Quellen und stützt sich neben der Sekundärliteratur auf Interviews mit führenden Konservativen, die nicht wirklich kritisch bewertet werden. Zusätzlich wird fast durchgängig dichotomisch zwischen den "Liberalen" mit ihren weltfremden und nach Sympathie und Eintracht strebenden, gleichzeitig die amerikanischen Werte in Frage stellenden Vorstellungen sowie den "Konservativen" und ihrer Standhaftigkeit, dem Vertrauen in die amerikanischen Tugenden und ihrem Willen sowie der Fähigkeit zu aktivem Handeln unterschieden. Nur selten wird nach Zwischentönen und Problemen bzw. Konflikten etwa innerhalb des konservativen Lagers gefragt, dann auch nur bereits Bekanntes geboten und am Ende wieder allgemeine Harmonie konstatiert. Marlo spricht meist ohne weitere Spezifizierung von "Conservatives" oder "Liberals" ohne genauere politische Verortung im Parteienspektrum der USA.
Dass Reagan dann noch als Revolutionär klassifiziert wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie und ist zudem nicht neu. Bereits John Lewis Gaddis sprach im Zusammenhang mit den Hauptakteuren der letzten 20 Jahre des Kalten Krieges von "Saboteuren des Status Quo". [1]
Dem Autor scheint letztlich selbst nicht ganz wohl zu sein, denn er verweist an mehreren Stellen, unter anderem auch im letzten Absatz des Buches, darauf, dass seine Meinung nicht gerade den "mainstream" darstellt. Damit schließt sich der Kreis zu Reagan, denn dieser wird durchgängig als positives Gegenbild zum "mainstream" der political community bis 1989 propagiert. Die zahlreichen strittigen Fragen, also etwa die Risiken der aggressiven Politik Reagans, seine Rolle im Apparat, Reagans politische Bedeutung als Leiter der Politik, die Konflikte innerhalb der Administration, die Frage nach den Abrüstungsverhandlungen, die Bewertung des Iran-Contra-Skandals u. a. m. werden nicht wirklich analysiert, sondern letztlich im Sinne einer positiven Darstellung Reagans präsentiert. Man muss kein ausgesprochener Kritiker konservativer Politik sein, um hier aus wissenschaftlicher Sicht Vorsicht walten zu lassen.
Ähnlich unbefriedigend sind auch die Ausführungen zu den Lehren der Erfolge Reagans für die Zeit nach 1990. Auch hier findet letztlich nur eine additive Adaption statt, d. h. die konservativen Grundtugenden und die Leistungen Reagans werden modifiziert weitergeschrieben. Das Feindbild "Kommunismus" wird mehr oder weniger geradlinig durch "Islamismus" ersetzt. Interessanter wäre in diesem Zusammenhang einmal eine Diskussion (neo)konservativer Übertragung der Vorstellungen von "Totalitarismus" auf die heutige Zeit im Lichte der Reagan-Administration gewesen.
Anregend ist in diesem Zusammenhang indes die bei der Lektüre aufkommende Frage, inwieweit die westliche Politik und deren "Erfolge" bei der Überwindung des Kalten Krieges überhaupt auf die heutige Zeit übertragen werden können. Dies gilt nicht nur für die konservative Politik, sondern etwa auch für die Détente als deren Kritik- und Hassobjekt. Allzu leicht wird in der Öffentlichkeit recht rasch und einfach vom "Neuen Kalten Krieg" und implizit dann von den angeblich vorhandenen Möglichkeiten der Entspannungspolitik geredet. Es darf indes angesichts der Konflikte, Kriege und Völkerbrände an der europäischen Peripherie und der Tatsache, dass der sogenannte Islamische Staat (IS) sich anschickt, an die Türen der NATO zu klopfen, füglich bezweifelt werden, ob hier realistische Konzepte zu finden sind. Die Ruhe durch das nukleare Patt, die bis heute in Deutschland nachwirkt, ist passé. Daher dient die Beschäftigung mit dem Kalten Krieg wohl am besten zur historisch-politischen Orientierung, etwa als Basis zur heutigen Außenpolitik Deutschlands oder Europas und deren Prägung durch die Détente und den Kalten Krieg. Die nächste Frage wäre dann, ob all dies heute noch zeitgemäß ist. Die amerikanischen Konservativen hätten zu diesem Thema sicher viel zu sagen.
Anmerkung:
[1] John Lewis Gaddis: Der Kalte Krieg. Eine neue Geschichte, München 2007, 244.
Bernd Lemke