Marcel Bois: Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Eine Gesamtdarstellung, Essen: Klartext 2014, 613 S., ISBN 978-3-8375-1282-3, EUR 39,95
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Gewaltsame Zusammenstöße mit Totschlägern und Schlagringen zwischen linientreuen Anhängern des ZK der KPD und den linkskommunistischen Abweichlern von der Parteilinie dauerten Mitte der 1920er Jahre nicht selten eine ganze Nacht. ZK-Anhänger und Linkskommunisten hetzten gegenseitig ihre "Knüppelgarden" aufeinander. Marcel Bois, der beansprucht, erstmals eine Gesamtdarstellung des sich der "Stalinisierung" widersetzenden Linkskommunismus verfasst zu haben, macht für diesen blutigen Bruderkrieg die "Militarisierung" der KPD, die nach seiner Deutung Mitte der 1920er Jahre begonnen hatte, verantwortlich.
Im Rekurs auf die Kommunismusforscher Ossip K. Flechtheim und Hermann Weber unterscheidet der Autor "zwischen einer diskussionsfreudigen, demokratischen Anfangsphase der Partei und einer entdemokratisierten, vom Apparat bürokratisch gesteuerten und von der Komintern gänzlich abhängigen KPD der späten Weimarer Republik" (89). Bis zum gescheiterten deutschen Oktober im Herbst 1923 sei in der KPD im Vergleich zu anderen Parteien der Weimarer Republik die "innerparteiliche Demokratie mit am stärksten ausgeprägt" gewesen (93). Die Komintern habe noch nicht unter dem Diktat Moskaus gestanden, sondern habe ein Forum gleichberechtigter demokratischer Mitsprache geboten. Erst unter Stalin sei die Komintern zu einem "Instrument der sowjetischen Außenpolitik" geworden (88). Bois kennt die neuere Literatur über die kommunistische Bewegung, die überzeugend widerlegt hat, dass nicht erst unter Stalin die innerparteiliche Demokratie in der KPD liquidiert worden sei. Er verfährt jedoch nach dem Prinzip, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. So behauptet er, dass die auf dem Zweiten Weltkongress der Kommunistischen Internationale im Sommer 1920 in Moskau diktierten "21 Bedingungen", die allen in die Dritte Internationale eintretenden Parteien zum Aufbau eines bolschewistischen Parteientyps und zur bolschewistischen Methode des Machterwerbs verpflichteten, "der innerparteilichen Demokratie in den ersten Jahren keinerlei Abbruch" getan habe (96).
Nach dem gescheiterten deutschen Oktober übernahmen mit Ruth Fischer und Arkadij Maslow profilierte Linkskommunisten die Führung der KPD. Mit Werner Scholem, Iwan Katz und Arthur Rosenberg saßen weitere prominente linke Kommunisten in der Parteiführung. Bois muss einräumen, dass die Zeit, in der die kommunistische Linke die Schalthebel der KPD in der Hand hatte, eine Phase der "Entdemokratisierung und der straffen Zentralisierung" war: "Im vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Komintern-Führung wurden Oppositionelle mundtot gemacht, teilweise auch aus der Partei ausgeschlossen" (155). Die linke Parteiführung habe die Direktive des Exekutivkomitees der Komintern übernommen, dass die deutschen Sozialdemokraten "im gegenwärtigen Moment nichts anderes als eine Fraktion des deutschen Faschismus unter sozialistischer Maske" seien (148). Der realitätsblinde ultralinke Kurs hatte hohe Mitgliederverluste zur Folge.
Die Geschichte des Linkskommunismus, die Bois als Kampf gegen die "Stalinisierung" und gegen den Abbau innerparteilicher Demokratie verstanden wissen möchte, war vor allem eine Geschichte der Zerwürfnisse und Spaltungen, der Rankünen und Intrigen, der Ohnmacht und des Scheiterns. Die unter sich zerstrittenen Linkskommunisten gerierten sich zumeist erst in der Opposition als Verfechter innerparteilicher Demokratie. Mitte der 1920er Jahre konnten sie noch auf eine beträchtliche Anhängerzahl blicken, sie sanken aber bis zum Ende der Weimarer Republik zu einer unbedeutenden Sekte herab. Der von dem Ultralinken Iwan Katz gegründete Spartakusbund Nr. 2, der mit syndikalistischen Strömungen kooperierte, soll 1926 über 12.000 Mitglieder verfügt haben. Katz, der für seinen "Rabbatz" gegen politische Kontrahenten berüchtigt war (182), verließ jedoch bereits 1927 den im Niedergang begriffenen Spartakusbund Nr. 2, der von den meisten Linksoppositionellen als "Fehlgeburt" eingeschätzt wurde ( 241). Zahlreiche Unterstützer konnte auch die Gruppe gewinnen, deren führende Köpfe Ruth Fischer, Arkadij Maslow und Hugo Urbahns waren. Als sie 1928 den Leninbund gründeten, war die Zahl ihrer Anhänger allerdings bereits von 12.000 auf 3.000 bis maximal 6.000 gefallen. Kurz nach seiner Gründung kehrten Fischer und Maslow dem von ihnen mitbegründeten Leninbund bereits wieder den Rücken, weil sie eine Wahlbeteiligung des Leninbundes bei den Reichstagswahlen 1928, mit der der KPD Konkurrenz entstanden wäre, ablehnten. Hugo Urbahns, der die Devise ausgegeben hatte: "Lieber im Feuer der Revolution verbrennen als auf dem Misthaufen der Demokratie verfaulen" (206), leitete den Leninbund, der 1930 nur noch 1.000 Mitglieder vereinen konnte, weiter. Bois konstatiert zutreffend: "Der einzige ernsthafte Versuch in der Geschichte der Weimarer Republik, die linke KPD-Opposition in einer Organisation zu sammeln, war gescheitert. Sie war auseinandergebrochen, bevor sie richtig angefangen hatte zu existieren." (271)
Die durch einen Arbeiterradikalismus geprägte "Weddinger Opposition" hatte wie der Leninbund die Rückkehr zum Internationalismus Lenins auf ihre Fahnen geschrieben, lehnte aber die Konstituierung des Leninbundes ab, weil sie innerhalb der KPD um eine Parteireform kämpfen wollte. Nicht wenige Anhänger der "Weddinger Opposition", die sich schon bald in zwei Flügel spaltete, arbeiteten nach der 1928 erfolgten Linkswendung der KPD wieder loyal in der Mutterpartei mit. Die Mitgliederzahl der "Weddinger" schrumpfte bis 1929 auf 200 bis 300. 1930 schlossen sich die vom Leninbund ausgeschlossene trotzkistische Minderheit um Anton Grylewicz, Vertreter der "Weddinger Opposition" und die von Studenten getragene "Bolschewistische Einheit" zu der (Vereinigten) Linken Opposition der KPD (VLO) zusammen, die sich als Teil der KPD verstand, aber gleichzeitig explizit auf Trotzki berief. Sie war die einzige linkskommunistische Gruppe, die die Zahl ihrer Mitglieder erhöhen konnte: von 350 im Jahr 1930 auf rund 1.000 Anfang 1933. Bois führt deren bescheidenen Erfolg vor allem auf die Faschismusanalyse Trotzkis zurück, der den Faschismus als Massenbewegung des vom Niedergang bedrohten Mittelstandes verstand, während Stalin mit der von ihm propagierten Sozialfaschismusthese die Arbeiterbewegung spaltete. Trotzki - den Bois angesichts dessen unrühmlicher Rolle bei der Ausschaltung der Opposition gegen die kommunistische Diktatur in Russland in ein allzu helles Licht rückt - und seine deutschen Anhänger hätten hingegen eine Einheitsfront von KPD und SPD befürwortet, allerdings sei es der VLO nur in einigen Kleinstädten gelungen, eine Einheitsfront zu bilden.
Der Autor konzentriert sich in seiner Gesamtdarstellung des Linkskommunismus seit Mitte der 1920er Jahre auf die Organisations- und Politikgeschichte. Der Sozialgeschichte widmet er nur ein kurzes Kapitel, in dem er die weitverbreitete Meinung revidiert, der Linkskommunismus sei eine Intellektuellenbewegung gewesen. Die große Mehrheit seiner Anhänger rekrutierte sich, so kann er zeigen, aus Industrie- und Facharbeitern. Wenn die Linkskommunisten auf lokaler Ebene kleine Erfolge verbuchen konnten, so verdankten sie diese zumeist "lokalen Arbeiterhelden".
Marcel Bois gebührt das Verdienst, den Stammbaum der sich seit Mitte der 1920er Jahre bildenden linkskommunistischen Gruppen in allen seinen Verästelungen minutiös nachgezeichnet zu haben. Seine Behauptung, es habe vor der Herrschaft Stalins in der UdSSR eine demokratische Phase des Kommunismus gegeben, an die diese wieder hätten anknüpfen wollen, vermag jedoch nicht zu überzeugen. Bois, den die Auswertung des Komintern-Archivs vor Fehlschlüssen hätte bewahren können, revidiert die These am Schluss seiner Arbeit selbst, wenn er feststellt, dass die Linken bei einem innerparteilichen Sieg in den Jahren 1926/27 möglicherweise die "Entdemokratisierung der Partei fortgesetzt" hätten (529).
Petra Weber