Patrick Lantschner: The Logic of Political Conflict in Medieval Cities. Italy and the Southern Low Countries, 1370-1440 (= Oxford Historical Monographs), Oxford: Oxford University Press 2015, XII + 275 S., ISBN 978-0-19-873463-5, GBP 65,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Dieter Bingen / Maria Jarosz / Peter Oliver Loew (Hgg.): Legitimation und Protest. Gesellschaftliche Unruhe in Polen, Ostdeutschland und anderen Tranformationsländern nach 1989, Wiesbaden: Harrassowitz 2012
Winfried Speitkamp (Hg.): Gewaltgemeinschaften in der Geschichte. Entstehung, Kohäsionskraft und Zerfall, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017
Florian Grafl: Terroristas, Pistoleros, Atracadores. Akteure, Praktiken und Topographien kollektiver Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit 1918-1936, Göttingen: V&R unipress 2017
Christophe Imbert (éd.): La Fortune de Cola di Rienzo. Du tribun médiéval à la légende moderne, Paris: Classiques Garnier 2023
Meike Hensel-Grobe: Das St.-Nikolaus-Hospital zu Kues. Studien zur Stiftung des Cusanus und seiner Familie (15.-17. Jahrhundert), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007
Clemente Miari: Chronicon Bellunense (1383-1412). A cura e con un saggio di Matteo Melchiorre, Roma: Viella 2015
Machiavellis oft zitiertes Diktum, auf die römische Republik hätten die dauernden Konflikte zwischen Plebs und Patres nicht zerstörerisch, sondern im Gegenteil stabilisierend gewirkt, eröffnet auch diesen, aus einer Oxforder Dissertation hervorgegangenen Band. Ziel des Vergleichs von drei italienischen Kommunen der Frührenaissance mit drei flandrischen Städten ist es, die Logiken hinter den politischen Konflikten freizulegen, die in Bologna und Lüttich, Florenz und Tournai sowie Verona und Lille zu manchmal so spektakulären Revolten geführt haben wie dem Tumult der Ciompi 1378 in Florenz. Aber eben nur manchmal: Denn oft verliefen die Konflikte in weniger gewalttätigen Formen oder in geradezu geordneten Bahnen. Um diese grundverschiedenen Austragungsweisen des politischen Kampfes zu erklären, nimmt der Autor die polyzentrische politische Struktur spätmittelalterlicher Städte, mit ihren konkurrierenden internen und externen Machtinstanzen, ernst; unter dieser Prämisse möchte er das in der historischen Forschung prominente, aber zu simple dichotomische Schema von 'Ordnung' und 'Unordnung' aufbrechen.
Hinter den genannten Städtepaarungen verbirgt sich bereits das Ergebnis. Bologna und Lüttich sind Beispiele für eine Logik oder ein "System" des politischen Konflikts, das als unbeständig ("volatile") bezeichnet werden kann; Florenz und Tournai stehen für eine "konstitutionelle" Austragungsweise von Konflikten, während Verona und Lille eine zurückhaltende ("contained") Konfliktualität verkörpern. Diese drei Systeme an den drei Paaren herauszuarbeiten, ist Gegenstand von Teil II des Buches (87-205). Dort rekonstruiert Lantschner nach erzählenden, aber auch (oft unedierten) dokumentarischen Quellen aus den einschlägigen Kommunalarchiven alle wichtigeren Kämpfe zwischen 1370 und 1440. Die Untersuchung folgt drei Leitlinien: Gefragt wird jeweils nach den Legitimierungsstrategien und der rechtlichen Einhegung von Konflikten, nach den Formen ihrer Austragung und nach der sozialen Identität der beteiligten Gruppen.
Mit großer Abstraktionsfreude diagnostiziert der Verfasser in Bologna und - mutatis mutandis auch in Lüttich - politische Strukturen, die durch ein unstabiles Zunftsystem, starken Einfluss der Universität bzw. kirchlicher Institutionen und relativ große Autonomie gegenüber übergeordneten Mächten (Papst, Fürstbischof) charakterisiert waren. Zugleich beobachtet er in beiden Städten eine rasche Folge hitziger Kämpfe, die ein hohes Gewaltniveau erreichen konnten - alles in allem also ein "volatile system of conflict". Typisch für Florenz war hingegen die Stabilität der über lange Zeit gewachsenen kommunalen Institutionen, der Zünfte und der Parte Guelfa, was den Verlauf politischer Kämpfe für alle Beteiligten vorhersehbarer machte. Oft wurden Konflikte daher als Verhandlungen im Rahmen der Kommunalverfassung geführt, die die Interessierten für sich auszunutzen trachteten, ohne aber immer die Schwelle zu offener Gewalt zu überschreiten. In Tournai, einer Kommune mit großer Autonomie zwischen Burgund und Frankreich, fungierten die städtischen Pfarreien als Bühne der politischen Auseinandersetzung mit der Folge, dass Konfliktpotenziale auch dort häufig kanalisiert werden konnten. Das ergab in beiden Städten ein "constitutional system of conflict". In Verona und Lille schließlich gingen politische Forderungen selten über die Ebene des Protests hinaus und führten fast nie zu bewaffneten Rebellionen. In keiner der beiden Städte hatten sich starke Zünfte oder politisch relevante Territorialorganisationen entwickelt, beide standen unter der Herrschaft ambitionierter Mächte (unter Venedig bzw. dem Herzog von Burgund): Daher blieb es bei "contained systems of conflict".
Auch wenn Lantschners Neigung zu Dreier-Schemata - drei Städtepaare, drei Leitlinien der Untersuchung, drei Logiken usw. - die Realität ein wenig zu glatt zu hobeln scheint, haben seine Ergebnisse in ihrer abstrahierenden Systemhaftigkeit durchaus Überzeugungskraft. Sie werden sich freilich am Beispiel anderer spätmittelalterlicher Städte bewähren müssen, werden zu verifizieren oder zu korrigieren sein. Schon jetzt drängt sich die Frage nach der Dauer der drei Logiken auf: Gelten sie nur für den begrenzten Zeitraum 1370-1440? Bezöge man etwa für Florenz den Aufstand gegen den Herzog von Athen, Stadtherr 1342-1343, mit ein, stiege dort die Gewalttätigkeit der Konfliktaustragung gegenüber der "Konstitutionalität" erheblich an. Eine andere offene Frage ist die religiöse und rituelle Dimension der Konflikte, die weitgehend ausgeblendet wird: Zwar ist von kirchlichen Institutionen als politischen Akteuren die Rede (vor allem in Lüttich und Tournai), aber ihre religiösen Funktionen interessieren offenbar ebenso wenig wie die Tatsache, dass in Florenz und Bologna neben den Zünften auch Bruderschaften eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben spielten.
Somit begrenzt das Buch die Sphäre der Politik in spätmittelalterlichen Städten implizit auf etwa jene Reichweite, in der wir Politik auch heute ansiedeln würden, unter Ausschluss des Religiösen. Ist das für das 14./15. Jahrhundert angemessen? In jedem Fall kontrastiert diese Begrenzung mit einer gewissen Unschärfe des Begriffs "political conflict". Lantschners "Konflikte" reichen vom einfachen Protest bis zum offenen Krieg, schließen aber auch Verhandlungen zwischen gegnerischen Parteien oder bloße ökonomische Gegensätze zwischen Handwerkern ein. Ausgenommen werden nur Familienfehden (185), hinter denen eine andere Logik vermutet wird. Von dieser (diskutablen) Ausnahme einmal abgesehen, ist der dem Buch zu Grunde liegende Konfliktbegriff so weit gefasst, dass er eine Unterscheidung von höchster politischer Relevanz ignorieren muss: die Grenze zwischen Recht und Gewalt. Diese Grenze ist zwar stets umstritten, doch eigentlich beginnt dort, wo die gewalttätige Aktion in einen nach bestimmten Regeln verbal umgesetzten Interessenausgleich überführt werden kann, die Herrschaft des Rechts. Man kann diese Unterscheidung zu Gunsten einer breiten Konflikttypologie, die rechtsförmigen Streit gerade einschließen will, natürlich übergehen, aber dafür müsste man gute Gründe haben und diese auch ausdrücklich darlegen.
Ein letzter Einwand, eher praktischer Natur, betrifft die Architektur des Buches. Der Autor geht deduktiv vor, das heißt, er erörtert zunächst, im ersten Teil (21-86), die drei Leitlinien der Untersuchung (Legitimierungsstrategien, Konfliktmodi, beteiligte Gruppen), die seiner Einordnung der sechs Städte zu Grunde liegen. Doch kommt auch dieser erste Teil nicht ohne Beispiele aus, Beispiele, die dem Quellenmaterial der sechs Städte entnommen werden. Das führt zwangsläufig zu einer Vielzahl von Wiederholungen: Die Kämpfe der Lütticher Familie Datin, die Bologneser Revolte von 1376 oder die Florentiner Ciompi, um nur diese zu nennen, werden so oft erwähnt, dass auch wohlwollende Leser ermüden könnten. Eine induktive, von den konkreten Fällen ausgehende Bauweise hätte solche Wiederholungen zumindest teilweise vermeiden helfen. Aber wie auch immer: The Logic of Political Conflict ist ein mutiges und thesenreiches, aber auch quellennahes Buch, für das zudem eine große Menge an Forschungsliteratur in mehreren Sprachen durchzuarbeiten war. Es wird von sich reden machen.
Thomas Frank