Armin Kohnle / Christian Winter / Michael Beyer (Hgg.): Zwischen Reform und Abgrenzung. Die Römische Kirche und die Reformation (= Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; Bd. 37), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015, 248 S., ISBN 978-3-515-10923-9, EUR 49,00
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Der vorliegende Sammelband dokumentiert eine in Leipzig 2011 aus Anlass des Abschlusses der Edition der "Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen" (4 Bde., 1905-2012) abgehaltene Tagung. Sie geht konzeptionell auf Überlegungen des 2010 verstorbenen Projektleiters der "Georg-Edition", Helmar Junghans, zurück. Ihr Ziel war es, einerseits die Reformation entwicklungsgeschichtlich vor der Folie der "Entwicklungen in der Römischen Kirche" (8) zu skizzieren, andererseits den Protagonisten der Edition, Herzog Georg von Sachsen (1471-1539), zu würdigen. Beide Themenbereiche sind sehr ungleichgewichtig im Band repräsentiert. Die überwiegende Mehrheit der dreizehn Beiträge intendiert, das Wirken Georgs chronologisch zu kontextualisieren, nur drei thematisieren die (Religions-)Politik Georgs auf Landes- wie Reichsebene. Beide Teile stehen weitgehend unvermittelt nebeneinander.
Methodisch wie inhaltlich bunt ist der Strauß des Dargebotenen im ersten Teil des Bandes. Genetisch, vom Spätmittelalter auf die Zeit Georgs blicken Volker Leppin und Marek Wejwoda. Liefert Leppin mit "Konziliarismus und Papalismus" eine ideengeschichtliche Skizze zu einem Grundthema der georginischen Politik, so schenkt Marek Wejwoda der spätmittelalterlichen landesherrlichen Klosterpolitik in Sachsen als integralem Bestandteil des vorreformatorischen landesherrlichen Kirchenregiments seine Aufmerksamkeit. Die Inquisition (Albert de Lange), Kirchenmusik und Gemeindegesang (Wolfgang Fuhrmann), Altarretabel (Christian Hecht) und die Priesterausbildung (Michael Beyer) werden in einer "vor und nach der Reformation"-Perspektive gewürdigt. Auch die Ausführungen des Herausgebers Armin Kohnle zu den Päpsten schlagen den Bogen von den Renaissance-Päpsten des 15. Jahrhunderts bis zum Pontifikat Sixtus V. (1585-1590). Und schließlich werden, ausgehend von der Zeit Georgs, theologie- und frömmigkeitsgeschichtliche Themen in den Blick genommen und auf ihr Fortwirken in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hin befragt. Mariano Delgado thematisiert die spanische Reformtheologie und ordnet das Werk Melchior Canos in diese theologische Strömung ein. Andreas Holzem schließlich stellt unter der Fragestellung eine "Konfessionalisierung spätmittelalterlicher Frömmigkeitsstile?" das Konzept des Tübinger Graduiertenkollegs "Religiöses Wissen" vor. Nur der Beitrag von Hans Ulrich Schmid thematisiert in einer sprachwissenschaftlichen Zugriffsweise die Zeit Georgs selbst und unterwirft in Flugschriften publizierte Texte Luthers und seiner Gegner Tetzel sowie Emser einer knappen lexikalischen, grammatischen wir pragmatischen Analyse.
Präsentieren sich einige Beiträge als Zusammenfassungen des aktuellen Forschungsstandes, andere als knappe Skizzen, so besitzen die konfessionsgeschichtlich differenziert ausfallenden Ausführungen Fuhrmanns durchaus einführenden Charakter für all diejenigen, die als Allgemein- oder Kirchenhistoriker und -historikerinnen mit der musikgeschichtlichen Dimension religiösen Wandels nur am Rande vertraut sind. In methodischer Differenziertheit wie Anspruch ganz aus dem Rahmen fallen schließlich die Ausführungen Holzems. Die Tübinger Forschergruppe ist bestrebt, den Nachweis zu führen, dass der Wandel religiösen Wissens in der Vormoderne, die als longue durée (800-1800) konzeptualisiert wird, essentiell für das Entstehen der modernen Wissensgesellschaft und eben nicht, so die gängige Sicht, ihr hinderlich war. In diese Perspektive gerückt, besitzt freilich die Helmar Junghans beschäftigende Frage nach dem Zusammenhang von Reformation und Kirchenreform nicht mehr als episodischen Charakter.
Und so viele verschiedene Antworten die anderen Beiträge dieses Teils des Bandes auf die Frage nach den Transformationen des Religiös-Kirchlichen im 15. und 16. Jahrhundert liefern, so sei eine herausgestrichen, die die musik- und kunstgeschichtlichen Aufsätze Fuhrmanns und Hechts prononciert betonen: Sie zeigen auf, dass die Unterscheidung katholisch-kirchenreformerischer versus evangelisch-reformatorischer Transformationsprozess das Verständnis der Veränderungsdynamiken des 15. und 16. Jahrhunderts eher erschwert denn ermöglicht. Zu sehr wurzelt dieses analytische Raster in den deutenden Aneignungen der Zeit um 1500 durch die Nachgeborenen des 18., vor allem aber des 19. Jahrhunderts, als dass es das Proprium der sich ausformenden Konfessionskulturen, ihre Heterogenität, interpretatorisch integrieren könnte.
Christoph Volkmar, der derzeit wohl beste Kenner der Kirchenreformpolitik Georgs, eröffnet den Reigen der drei Herzog Georg gewidmeten Beiträge. Dem Beitrag von Heiko Jadatz über Georg als, mit Fragezeichen versehen, "gescheitertem Kirchenreformer" eignet eher ein essayistischer Charakter. Volkmar hingegen veranschaulicht das profunde theologische Wissen, das sich Georg in seiner Jugend aneignete und auch noch in seiner Zeit als regierender Landesfürst vertiefte, als zentrales Element seines "landesherrlichen Selbstbewußtseins". Präzise beschreibt er die Linie, die Georg, trotz seines kirchenreformerischen Engagements und seiner Aufgeschlossenheit für spätmittelalterliche reformtheologische Ansätze, zu überschreiten nicht gewillt war. "Trotz allen Reformengagements blieb für Georg das landesherrliche Kirchenregiment nur Ordnungsinstrument, nicht Quelle der Kirchenverfassung" (218), so resümiert er. Was Georg zu dieser Haltung (zumindest auch) veranlasst haben könnte, gibt der Beitrag von Christian Winter zu erkennen, der für die Jahre 1528 bis 1539 seine über den eigenen Herrschaftsbereich hinausweisenden Beziehungsnetzwerke untersucht. Winter weist zum einen darauf hin, dass die Haltung Georgs in der vor 1495 geborenen Fürstengeneration vielfach begegnet, zum anderen auf sein persönliches Nahverhältnis zu den habsburgischen Brüdern Ferdinand und Karl. Diese Freundschaft, die Georg mit den Habsburgern verband, begegnet in mannigfachen Erscheinungsformen - im vertraulichen persönlichen Austausch, in Georgs Tätigkeit als Vermittler, in umfänglichen Krediten und einer Reichstagspolitik, die mit der kaiserlichen identisch ist, vor allem aber auch im zeitgenössischen Blick auf seine Person. Hervorstechendstes Attribut in der Ikonografie Georgs (206, 220), ist die Kette, die ihn als Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies kenntlich macht. Beides gleichermaßen, seine von persönlicher Frömmigkeit geprägte landesherrliche Rolle wie sein Selbstverständnis als Freund der regierenden Dynastie, so verdeutlichen die Beiträge Volkmars und Winters, sind demnach interpretatorisch auszuloten, wenn es darum geht, die Eigenart der Kirchenpolitik Herzog Georgs zu verstehen und zu erklären.
Was für viele Sammelbände gilt, lässt sich auch für diesen bilanzieren: Er liefert interessante Schlaglichter auf die Thematik von 'Römischer Kirche und Reformation' und er verdeutlicht zugleich, wie weit wir noch von einer Forschungsperspektive entfernt sind, die es erlauben würde, dichotomische Betrachtungsperspektive von Kirchenreform auf der einen, Reformation auf der anderen Seite hinter uns zu lassen. Dass es hier noch ein weites Feld geschichtswissenschaftlich zu vermessen gilt, das freilich war, wie das Vorwort der Herausgeber ausführt, Helmar Junghans bewusst, als er den Anstoß zu der Tagung gab, die dieser Band dokumentiert.
Gabriele Haug-Moritz