Stefanie Eisenhuth: Die Schutzmacht. Die Amerikaner in Berlin. 1945-1994 (= Geschichte der Gegenwart; Bd. 19), Göttingen: Wallstein 2018, 508 S., 35 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3291-1, EUR 39,00
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Als im Sommer 1945 Soldaten der US-Army in die bereits von der Roten Armee - unterstützt von polnischen Armeeangehörigen - eroberte Hauptstadt des "Dritten Reiches" als Besatzungstruppen ankamen, stellten sie schnell fest, "dass die Bevölkerung sie als Befreier begrüßte und nicht als Besatzer verdammte." (472) Dieses Bild zeigt sich in den späteren 1980er Jahren völlig verwandelt. Insbesondere jüngere West-Berlinerinnen und -Berliner - oft auf "die Studenten" reduziert - hinterfragten die Notwendigkeit der jahrzehntelangen Militärpräsenz in der Stadt. 1985 fand eine Emnid-Umfrage sogar heraus, "dass zum ersten Mal seit 1945 ein sowjetischer Politiker beliebter war als der amerikanische Präsident." (434) Gemeint war der damalige sowjetische Generalsekretär des ZK der KPdSU Michail Gorbatschow.
Diese und weitere der "widersprüchlichen Facetten der Stadtgeschichte" (12) hat Stefanie Eisenhuth in ihrer 2018 publizierten Dissertation erforscht. Sie suchte auch nach einer Erklärung für "die nicht selten zeitgleich geäußerte Dankbarkeit für die Präsenz der US-Soldaten vor Ort und den Unmut über ihre Präsenz an anderen Orten der Welt." (ebd.) Ausgewertet hat die Autorin überwiegend Archivalien US-amerikanischer Provenienz, die sie zu Auskünften über die Besatzungs- und spätere Schutzmacht herangezogen hat. Ergänzend ist der im Landesarchiv Berlin aufbewahrte Bestand der Senatskanzlei, Unterlagen der Bezirksverwaltungen sowie Informationen zu den Protestaktionen gegen die USA in der Polizeihistorischen Sammlung und im APO-Archiv der Freien Universität herangezogen worden. Die im Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR aufbewahrten Akten hat sie ebenso ausgewertet wie Memoiren amerikanischer Militärs und Diplomaten sowie West-Berliner Politiker. Auf dieser Quellengrundlage hat sie eine sehr gut und flüssig geschriebene und längst überfällige Geschichte der Amerikaner in Berlin geschrieben.
In ihrem ersten Kapitel geht es um "Erwartungen, erste Begegnungen und Entscheidungen" in Bezug auf die Militärpräsenz. Schon während des Zweiten Weltkrieges war mit den Planungen für die Besetzung Deutschlands begonnen worden. Nach der Ankunft sind Gebäude - meist Kasernen - beschlagnahmt worden, die später durch neu gebaute Wohnsiedlungen ergänzt wurden. Das in den Kasernen und Siedlungen lebende Personal unterlag einer großen Fluktuation: Ein Beispiel: "Zwischen Sommer 1945 und Winter 1947 wechselt auch der US-Stadtkommandant in Berlin ganze sieben Mal." (14) Mit den meist jungen Soldaten gab es anfangs große Probleme, die sich offensichtlich nach der Einführung eines Orientierungskurses und Schulungen verringerten.
Die "Amis" fanden 1945 eine zerstörte Stadt vor und eine Bevölkerung, die sie "nicht pauschal als gewissenlose Täter, sondern auch als bemitleidenswerte Opfer des Krieges wahrnahmen." (63) Dies änderte sich bald und so wird das Bild der Begegnungen zwischen Amerikanern und der Berliner Bevölkerung durch die "private(n) Kontakte zwischen amerikanischen Soldaten und deutschen Frauen" (85) bestimmt. Zwei Jahre nach dem Beginn der Besatzung "wurde die erste Hochzeit zwischen einem amerikanischen Offizier und einer Deutschen in Berlin verkündet." (114)
Die US-Army wurde ein wichtiger Arbeitgeber, der schon Ende September 1945 26.712 Berliner - nicht erwähnt wird, ob auch Berlinerinnen - beschäftigte. In einem besonderen Abschnitt werden die German Youth Activities dargestellt, an denen auch der Rezensent im Berlin-Tempelhofer Flughafengebäude billard- und tischtennisspielend ebenso teilnehmen konnte wie an den überreichten Weihnachtsgeschenken. Diese kinder- und jugendspezifische Förderung fanden ebenso Dankbarkeit, wie bei der übrigen Bevölkerung die Unterstützung bei der Blockade und Luftbrücke 1948. Sie ließen sie "optimistischer in die Zukunft blicken." (155)
Das nächste Kapitel behandelt "Imaginierte, inszenierte und institutionalisierte Gemeinschaft". Die Angst vor einer sowjetischen Machtausdehnung verbanden die West-Berliner Bevölkerung und die Besatzungs- bzw. Schutzmacht USA. Hinzu kam, dass "sich viele West-Berliner [und wohl auch West-Berlinerinnen] von den USA in ihren Sorgen eher verstanden und besser beschützt als durch die Bundesrepublik" sahen. (169) So entstand der "wehrhafte Antikommunismus West-Berlins" (172 ff.) und der damit zusammenhängende Topos der Frontstadt. Die Anwesenheit der amerikanischen Soldaten wurde zunehmend zum Bestandteil des Alltags. Hinzu kamen die Amerika-Gedenkbibliothek, das Amerika-Haus und die Kongresshalle sowie das deutsch-amerikanische Volksfest als institutionalisierte Orte der Freundschaft, von denen die West-Berliner Bevölkerung profitierte. Nicht zu vergessen die Besuche der Präsidenten der USA, von denen nicht zuletzt der von Ronald Reagan 1987 mit seinem Satz "Mr. Gorbachev, tear down this wall!" (438) im Gedächtnis der Bevölkerung wohl dauerhaft haften geblieben ist.
Schließlich werden die Herausforderungen durch "Konflikte, Konfrontationen und konkurrierende Deutungen" angesprochen. Neben dem öffentliche Resonanz findenden Bau der Mauer ab 13. August 1961 und die (nicht immer nur) studentischen Demonstrationen gegen den Krieg der USA in Vietnam um 1968 hat es zahlreiche weitere Konflikte gegeben. Als einen wichtigen Aspekt erinnert Eisenhuth an die vergessenen "Race Riots" - auch hier ein Beispiel: "In den McNair-Barracks kam es zu einem Aufstand, als ein weißer Soldat einen afroamerikanischen Kollegen als 'Nigger' bezeichnete." (297) Die Haus- und Instandbesetzungen tangierten das Verhältnis der West-Berliner Bevölkerung zu den US-Soldaten ebenso wie z. B. Bürgerrechtsfragen. Zudem kam ein weiteres Problem ans Licht: "Das Ausblenden der Kriegsniederlage als Grund und Legitimation der militärischen Präsenz und die Deutung der Alliierten als Schutzmächte waren zum Bumerang geworden, denn sie ermöglichten die immer lauter werdende Forderung nach einen Truppenabzug." (390) Eisenhuth benennt weiter terroristische Anschläge auf Einrichtungen der USA bzw. damit in Zusammenhang gebrachte Einrichtungen. 1985 explodierte ein Sprengsatz in der Diskothek La Belle, was zwei US-Soldaten und einer türkischen Frau das Leben kostete und über 200 weitere Gäste verletzte. Die Folge war: "Die Schutzmacht musste sich selbst schützen." (398)
Nachdem auch Ost-Berlin als "touristische Vergnügungsmetropole" (412 ff.) von US-Soldaten, die prekäre finanzielle Lage vieler US-Soldaten in Zeiten der Dollarkrise, Fluchthilfe für DDR-Bürgerinnen und -Bürger und die juristische Machtlosigkeit der West-Berliner Bevölkerung gegenüber den "Schutzmächten" angesprochen werden, um nur einige Themen zu nennen, endet der Band mit der Erinnerung an die Besatzungs- und Schutzmacht: dem "Abschied von West-Berlin". Eisenhuth konstatiert eine "asymmetrische Erinnerung" (450): Während zahlreiche sowjetische Denkmäler nach 1989 verschwunden und viele Straßen und Gebäude umbenannt worden sind, haben Namen wie Clayallee oder Platz der US-Berlin-Brigade und die erwähnten Bauten wie die Kongresshalle "nie zur Diskussion". (451) gestanden. Der einstige Grenzübergang Checkpoint Charlie oder der Flughafen Tempelhof waren und bleiben "symbolische Repräsentanten einer im Kalten Krieg geborenen Gemeinschaft." (476) Diese Geschichte hat Stefanie Eisenhuth mit ihren Höhen und Tiefen in ihrem Standardwerk sehr gut beschrieben.
Kurt Schilde