Anselm Schubert / Wolfram Pyta (Hgg.): Die Heilige Allianz. Entstehung - Wirkung - Rezeption, Stuttgart: W. Kohlhammer 2018, 280 S., 27 s/w-Abb., ISBN 978-3-17-035284-1, EUR 39,00
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Die Gegenwart diktiert das Interesse an historischen Fragestellungen. Bücher über eine Zeit sagen auch etwas aus über die Zeit, in der sie geschrieben wurden. Dieser Proseminar-Gemeinplatz gilt auch für die Beschäftigung mit der "Heiligen Allianz" heute. Denn heute haben wir den Streit zwischen Verfechtern einer multilateralen internationalen Ordnung und denen, die das nationale Heil in Alleingängen suchen. Und 2016, 200 Jahre nach der Proklamation der Heiligen Allianz, fand eine interdisziplinäre Tagung an der Universität Erlangen-Nürnberg statt, deren Beiträge in dem vorliegenden Band veröffentlicht sind. War die "Heilige Allianz" doch "ein Versuch zur Etablierung eines neuen Politikstils", so der Titel des Beitrages von Wolfgang Pyta, der Versuch, eine multilaterale, internationale Friedensordnung nach Französischer Revolution und Napoleon zu errichten. Die Heilige Allianz war eben nicht (nur) Ausbund der Monarchen der Restauration, die ihre Völker solidarisch unterdrücken wollten. So haben bekanntlich nationale, liberale und sozialistische Kreise die Heilige Allianz gesehen und diesem Eindruck will der Band entgegenwirken.
Eine ähnliche positive Würdigung wie die Heilige Allianz erfährt Metternich, "ein Postmoderner, der aus der Vormoderne kommt" (Siemann, 42), der allerdings mit der religiösen Fundierung der Heiligen Allianz nichts anfangen konnte: "Ein laut tönendes Nichts", so Metternich, sei die Heilige Allianz, eine "Theaterdekoration" so Friedrich von Gentz (siehe Beitrag Günther Kronenbitter), sein einflussreicher Sekretär. Wohl aber schätzen beide das politische Ziel der Heiligen Allianz. Es sollte allerdings nicht durch überkonfessionelle, religiöse Bande und womöglich Mystizismen zwischen einem orthodoxen, einem katholischen und einem protestantischen Monarchen verwirklicht werden, sondern durch reale Diplomatie wie auf dem Wiener Kongress. Und so schließt Wolfram Siemann seinen Beitrag, in dem er die so ambivalente Haltung Metternichs zur Heiligen Allianz untersucht, mit den heute immer noch bedeutungsvollen Worten Metternichs: "Die Herstellung internationaler Beziehungen auf der Grundlage der Reziprozität (der wechselseitigen Verpflichtung) unter der Bürgschaft und der Achtung von erworbenen Rechten und der gewissenhaften Erhaltung des beschworenen Wortes bildet heutzutage das Wesen der Politik [...]" (43).
Andrej Andrejev beschäftigt sich mit Russland. "Anbetung der drei Könige. Alexander I. und seine Idee der Heiligen Allianz". Er rückt das weithin vorherrschende Bild von Alexander I. zurecht. Er ist eben nicht der religiöse Mensch, womöglich umnebelt von den mystischen Ideen einer Frau von Krüdener, sondern ein Politiker, der die Verwirklichung einer internationalen Friedensordnung ernst meint und der letztlich gescheitert ist. "Die Politik der Heiligen Allianz war von liberalen religiösen Ideen des Zaren durchdrungen, wie der Vorstellung vom ewigen Frieden oder Europa in apokalyptischen Zeiten (32)", so das Fazit von Andrejev. Die Betonung liegt dabei auf den "liberalen" Ideen einer dauerhaften internationalen Friedensordnung.
Hier kreuzt sich das religiös fundierte Anliegen Alexanders I. mit den Bestrebungen der Friedensbewegung des 19. Jahrhunderts. Leider fehlt ein eigener Beitrag über die Rezeption der Heiligen Allianz durch die Friedensbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts in dem sonst so facettenreichen Band, der doch den Untertitel trägt "Entstehung - Wirkung - Rezeption". Der Bezug zur Friedensbewegung liegt nahe, hat doch einer ihrer Protagonisten, der Friedensnobelpreisträger Alfred Hermann Fried, die Heilige Allianz ausdrücklich als den ersten Versuch gewürdigt, eine internationale Friedensordnung zu errichten.
Einen leider nur kurzen Überblick über die Rezeptionsgeschichte geben die Herausgeber Anselm Schubert und Wolfram Pyta in der Einleitung. Sie mahnen jedoch weitere Forschungen an, insbesondere zu dem positiven Diskurs über die Heilige Allianz. Kronzeuge dafür ist für die Herausgeber Goethe, der über die Heilige Allianz äußert, es sei "nie etwas Größeres und für die Menschheit Wohltätigeres erfunden worden". Den vorliegenden Band verstehen die Herausgeber nur als "einen Anfang zu einer Neubewertung des religiösen und moralischen Anspruchs der Heiligen Allianz" (16).
Zu den Hauptprotagonisten der Heiligen Allianz gehören neben Alexander I. von Russland und Franz I. von Österreich der preußische König Friedrich Wilhelm III. Ihm widmet sich der Beitrag von Thomas Stamm-Kuhlmann "Preußen und die Heilige Allianz 1815-1840." Stamm-Kuhlmann konzentriert sich ganz auf die Person Friedrich Wilhelms III. Er arbeitet hauptsächlich die konservativ-restaurativen Charakterzüge heraus. Darüber tritt die Heilige Allianz mit ihren auch der Aufklärung verpflichteten Gehalten in den Hintergrund. Ganz im Gegensatz zu den universal-christlichen, überkonfessionellen Gehalten der Heiligen Allianz steht dann die rigide, auf den Protestantismus ausgelegte Religionspolitik unter Friedrich Wilhelm III. (Beitrag Anselm Schubert).
Der Band vereinigt insgesamt 16 Beiträge zu politischen, militärischen und religiösen Fragen sowie Aufsätze zur Wahrnehmung und Wirkungsgeschichte. Nur einzelne Beiträge konnten hier herausgegriffen werden, vor allem um das Hauptanliegen der Tagung zu skizzieren: Eine Neubewertung der Heiligen Allianz. Alle Beiträge sind sorgfältig belegte Forschungsleistungen, zu einem großen Teil eigens geschrieben für die Zwecke der Tagung. Sie behandeln allesamt spezielle Einzelfragen, so dass es noch viele Desiderate gibt.
Die meisten Beiträge gehen eher traditionellen Fragestellungen nach, liefern jedoch neue Sichtweisen. Einige Fragestellungen sind jedoch weniger traditionell. So der Beitrag von Johann Kirchinger "Liturgie als Vorbild: Die performative Visualisierung der Heiligen Allianz auf den Monarchenkongressen des frühen 19. Jahrhunderts". Hier wird die praktizierte Zelebrierung als Mittel der Verankerung der Ideen der Heiligen Allianz in das Bewusstsein der Bevölkerung thematisiert. Oder der Beitrag von Christian Scholl, der die bildlichen Allegorien zur Heiligen Allianz behandelt.
Einen methodisch ganz neuen Weg geht Wolfgang Schmale. Er untersucht unter dem wenig innovativen Titel "Reaktionen auf die Heilige Allianz in der internationalen Publizistik 1816-1819" quantitativ die Rezeption der Heiligen Allianz, indem er die Worthäufigkeiten des Begriffes "Heilige Allianz" und seiner Synonyme eruiert. Das Neue: Er verwendet dafür die von Google digitalisierten Quellen verschiedener nationaler Provenienz und untersucht sie mit Hilfe des Programmes Ngram Viewers.
Das Fazit zum Band haben die Herausgeber selber formuliert und dem ist uneingeschränkt zuzustimmen: Der Band "ist ein Anfang zu einer Neubewertung des religiösen und moralischen Anspruchs der Heiligen Allianz, sine ira et studio, die nicht den politischen Fronten des 19. Jahrhunderts folgt." (16) Möge das Buch viele weitere Studien initiieren!
Manfred Hanisch