Kaspar von Greyerz / André Holenstein / Andreas Würgler (Hgg.): Soldgeschäfte, Klientelismus, Korruption in der Frühen Neuzeit. Zum Soldunternehmertum der Familie Zurlauben im schweizerischen und europäischen Kontext (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 25), Göttingen: V&R unipress 2018, 289 S., 1 Farb-, 1 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-0859-7, EUR 45,00
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In der Vormoderne lag die Organisation des Kriegs zu weiten Teilen in den Händen von Kriegsunternehmern. Dank ihrer Professionalität wurde der Krieg mehr denn je als profitables Geschäft etabliert. Besonders im Reich sieht die Forschung dabei auf einzelne Protagonisten, die in dieser Weise sehr erfolgreich agierten. Der Blick auf die Schweiz zeigt nun, wie sehr sich das Geschäft mit dem Krieg in der Hand einiger Familien konzentrierte (wobei die Rolle der Kantone nicht zu unterschätzen ist), die daraus ein über Generationen hinweg funktionierendes Geschäftsmodell etablierten.
Ein Beispiel dafür ist die Familie Zurlauben. Sie war nicht nur eine der führenden Soldunternehmerfamilien, sondern sie hat zudem ein ausgesprochen reiches Familienarchiv hinterlassen, das in ganz vielschichtiger Weise über die Praktiken dieser Soldgeschäfte Aufschluss bietet. Der Reichtum der sog. Zurlaubiana wurde schon sehr früh erkannt; allein die schiere Masse des Materials hat eine zügige Erschließung hinausgezögert. Ein Projekt, das eine systematische und komplette Erfassung der 186 Bände der Acta Helvetica im Archiv Zurlauben anstrebte, begann 1973 mit der Anfertigung von Regesten, die bis 2004 im Druck erschienen. Danach erfolgte der Wechsel ins Digitale, der sämtliche Erschließungsdaten mittlerweile im Netz frei verfügbar macht. [1]
Anlässlich des abgeschlossenen Regestierungsprojektes fand im Jahr 2016 eine Tagung statt, die die Potentiale der Acta Helvetica exemplarisch ausgelotet hat und deren Ergebnisse der vorliegende Band präsentiert. Orientierung für die Analyseansätze bieten dabei Stichworte wie Klientelismus, Patronage und Korruption - sie zeigen nicht nur Interpretationsmarker für die einzelnen Aufsätze an, sondern verschränken das Thema der schweizerischen Soldgeschäfte mit Forschungsansätzen, die auch für andere Themen der Frühen Neuzeit relevant sind. L. Schilling skizziert das Patronagewesen als Herrschaftsinstrument der französischen Krone, fokussiert dabei vor allem das 16. Jahrhundert mit Ausblicken in die Folgezeit. Die Entwicklung an der Kurie zeichnet B. Emich nach, wobei sie an die Stelle der formalisierten Patronage (in der Figur des Kardinalnepoten) an der Schwelle zum 18. Jahrhundert einen informellen Klientelismus rücken sieht. Vor allem diskursiv geht R. Bernsee vor, der den Wandel des Korruptionsverständnisses zum Ende des 18. Jahrhunderts anhand des preußischen und bayerischen Beispiels untersucht.
So aufschlussreich die drei Beiträge sind, schlagen sie kaum den Bogen zur Thematik des Soldgeschäfts, das bei den folgenden Aufsätzen in den Mittelpunkt rückt. Am meisten gelingt dies noch A. Affolter mit seinem Überblick über die verschiedenen klientelistischen Beziehungen zwischen Frankreich und der Eidgenossenschaft. Kritik an Pensionen, die einzelne Personen oder Familien von der französischen Krone erhielten, wurde je nach Ort ganz unterschiedlich geäußert; hier spielte offenbar die Konfessionszugehörigkeit eine Rolle. Strukturell zu unterscheiden sind klientelistische Beziehungen nur zu einer auswärtigen Macht (wie es für die Zurlauben galt) oder zu mehreren. Dabei stellte sich durchaus die Frage, welche Gegenleistungen für diese Pensionen - wenn überhaupt - erbracht wurden. Sehr skeptisch fallen dafür die Befunde bei C. Huber / K. Keller aus, die zeigen, wie gering die von der französischen Seite erhofften Effekte ihrer Pensionszahlungen im innerschweizerischen Zug waren. Kritisch konnten diese Gelder aber auch für den Ort selbst werden, da die Verteilungspraxis die lokale Parteienbildung förderte und innere Konflikte heraufbeschwor. Noch eindrucksvoller sind die Beispiele, ebenfalls für Zug, die D. Schläppi beibringt. Seine detaillierten Beobachtungen lassen ihn zum Schluss kommen, dass der Begriff der Korruption für das Wirken der Pensionen vor Ort nicht immer passend sei: Da es hier um korporative Strukturen ging, mussten immer auch Verteilungs- und Redistributionspraktiken angewandt werden, die die eidgenössische Grundidee einer fairen Partizipation an vorhandenen Gütern bedienten. Schläppi schlägt deswegen den Begriff der Kompensation vor.
Im Gegensatz zu diesen Aufsätzen schöpfen vor allem die Arbeiten von Büsser, Rogger und Sieber aus dem Fundus der Acta Helvetica. Sie thematisieren die Soldgeschäfte im engeren Sinn und arbeiten dabei mit dem Familienbegriff. N. Büsser zufolge greift die Interpretation zu kurz, die lediglich die männlichen Familienmitglieder als aktiv im Soldgeschäft sieht. Zwar gab es im 17./18. Jahrhundert erbrechtliche Bestrebungen zuungunsten weiblicher Familienangehöriger, doch zeigen nicht zuletzt Beispiele der Familie Zurlauben, wie Witwen ihre Ansprüche auf die Beteiligung im Soldgeschäft reklamierten. Doch nicht erst im Witwenstand traten Frauen in Erscheinung: Eindrucksvoll ist das Beispiel der Maria Jakobea Zurlauben, die als "Frau Hauptmannin" "routiniert und kompetent" (203) die Verwaltung mehrerer Kompanien für ihren Bruder regelte. Dies bestätigt auch Ph. Rogger, der en detail die Kompaniewirtschaft des Beat Jakob II. Zurlauben untersucht: Dieser konnte gar nicht anders, als auch seine Ehefrau Maria Barbara einzubinden. Rogger zeigt darüber hinaus, dass das Soldgeschäft nicht nur viele Mitglieder des Familienverbands einband, sondern auch wirtschaftlich weit über die eigene Lebenszeit angesetzt wurde - man war sich bewusst, dass sich Investitionen womöglich erst Jahre oder Jahrzehnte später rentierten. Ergänzend dazu passen die Beobachtungen von D. Sieber, der die Einbindung geistlicher Familienmitglieder in die Soldgeschäfte untersucht. Auch dies gehörte zum "geschickte[n] Bewirtschaften familiärer Ressourcen", wobei Sieber den Korruptionsbegriff für diese Strukturen als wenig hilfreich einschätzt (257). Insgesamt stellen diese drei Beiträge das Soldgeschäft als "eine Art kollektiven Sonderbesitz" dar (so Büsser, 210), der auf Langfristigkeit angelegt war und idealerweise alle Familienmitglieder involvierte.
Der Schlussbeitrag von M. Füssel bringt noch einmal eine europäische Dimension ein, in dem er vergleichend die Rekrutierungspraktiken in verschiedenen Staaten des Ancien Régime darstellt, um den Begriff der "Stehenden Söldnerheere" als adäquaten Terminus für die Beschreibung vormoderner Soldgeschäfte zu erläutern. Damit ist sicher zu Recht eine europäische Dimension des eidgenössischen Soldgeschäfts adressiert. Doch der besondere Wert der Acta Helvetica in den Zurlaubiana besteht ohne Zweifel in den Möglichkeiten des mikrohistorischen Arbeitens, wie sie sich bei Büsser, Rogger und Siebert andeutet. Rückschlüsse ergeben sich dabei nicht nur für die Binnenorganisation des Soldgeschäfts, sondern auch auf die lokalen und regionalen Verhältnisse der beteiligten Familien.
Anmerkung:
[1] Für die Sammlung Zurlauben: https://www.ag.ch/de/bks/kultur/archiv_bibliothek/kantonsbibliothek/sammlungen/zurlauben/zurlauben.jsp [1.8.2019], zu den Acta Helvetica dann weiter auf http://kbaargau.visual-library.de/ah/nav/index/all [1.8.2019].
Michael Kaiser