Rezension über:

Dimitrios Gounaris: Die Geschichte der sozialliberalen Rüstungsexportpolitik. Ein Instrument der deutschen Außenpolitik 1969-1982, Heidelberg: Springer-Verlag 2019, 530 S., E-BOOK, ISBN 978-3-658-28345-2, EUR 42,99
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Rezension von:
Reiner Pommerin
Dresden
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Reiner Pommerin: Rezension von: Dimitrios Gounaris: Die Geschichte der sozialliberalen Rüstungsexportpolitik. Ein Instrument der deutschen Außenpolitik 1969-1982, Heidelberg: Springer-Verlag 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 9 [15.09.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/09/34295.html


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Dimitrios Gounaris: Die Geschichte der sozialliberalen Rüstungsexportpolitik

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Die bei Gregor Schöllgen in Erlangen entstandene Dissertation untersucht erstmalig die außenpolitische Rolle, die den deutschen Rüstungsexporten während der sozialliberalen Regierungszeit 1969 bis 1982 zukam. Sie stützt sich auf die umfassende Nutzung gedruckter und ungedruckter Archivalien sowie der Forschungsliteratur. Mit dem Verteidigungsminister und späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt konnte zudem 2013 ein Interview geführt werden.

Die rechtlichen Voraussetzungen für den Export von Waffen und Rüstungsmaterial ergaben sich für die Bundesrepublik aus Artikel 26 Grundgesetz. Deshalb unterlagen die Herstellung, Beförderung und der Vertrieb von Waffen zur Kriegführung einer Genehmigungspflicht. Die entsprechenden Details regelten das "Gesetz zur Kontrolle von Kriegswaffen" (KWKG) sowie das "Außenwirtschaftsgesetz" (AWG), die beide 1961 erlassen wurden. Sie sollten einerseits eine Störung des Friedens durch Waffenlieferungen in sogenannte Spannungsgebiete vermeiden und andererseits die Freiheit des deutschen Außenwirtschaftsverkehrs sichern. Die Entscheidung über die Ausfuhr traf ein Kabinettsausschuss, der geheim tagende Bundessicherheitsrat (BSR), dessen Vorsitz der Bundeskanzler innehatte. Das Parlament blieb somit weitgehend ausgeschlossen.

Als außenpolitisch belastend hatte sich für die Bundesrepublik die heimliche Lieferung von Waffen an Israel im Rahmen der deutschen Wiedergutmachungs- und Anerkennungspolitik erwiesen. Als sie bekannt wurde, drohten Ägypten und weitere arabische Staaten mit dem Abbruch diplomatischer Beziehungen und der Anerkennung der DDR. Die Lieferungen wurden eingestellt. Auch deutsche Rüstungsexporte in das international isolierte Südafrika waren in die Schlagzeilen der deutschen Presse geraten. Zuständig für den Verkauf von ausgemustertem Material und Waffen war die bundeseigene Verwaltungsgesellschaft VEBEG. Sie kooperierte mit privaten Firmen wie der MEREX, die von zwei ehemaligen SS-Offizieren gegründet worden war. Doch führte diese Zusammenarbeit schnell zu außenpolitischen Belastungen, weil ausgemustertes Bundeswehrmaterial plötzlich in Ländern auftauchte, die in den Ausfuhranträgen gar nicht als Empfängerland aufgeführt worden waren. Augenscheinlich vermochte die sogenannte Endverbleibsklausel, die den Verbleib gelieferten Rüstungsmaterials im Hoheitsgebiet des Empfängerlandes sicherstellen sollte, die Weitergabe der Waffen nicht zu verhindern.

Zum Zeitpunkt des Regierungsantritts von Willy Brandt 1969 hatte sich in der Bundesrepublik nach den anfänglichen Lizenzbauten ausländischen Materials inzwischen eine eigene Rüstungsindustrie entwickelt, die über international anerkannte Produkte verfügte. Verteidigungsminister Schmidt unterband zunächst erst einmal die Einschaltung privater Waffenhandelsfirmen und wollte den Verkauf von deutschen Waffen und militärischen Gütern generell auf die Mitgliedsstaaten des NATO-Bündnisses begrenzen. Schließlich verabschiedete das Kabinett Brandt im Sommer 1971 "Politische Grundsätze über den Export von Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter". Diese boten erstmals eine politische Grundlage und Handlungsempfehlung für den deutschen Rüstungsexport und wurden 1982 neugefasst. Sie besaßen allerdings keine Gesetzeskraft, und schon wenige Wochen nach ihrer Verabschiedung beschloss der BSR, Ausnahmeregelungen zuzulassen. Dies ermöglichte Waffenlieferungen an die beiden neutralen Staaten Schweden und Schweiz sowie an die drei westlich orientierten Staaten Australien, Japan und Neuseeland. Generell blieben solche Exportentscheidungen somit bei der Exekutive und halfen, sowohl eine Einmischung des Parlaments als auch die unliebsame Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit weitgehend zu vermeiden.

Generell suchten die sozialliberalen Regierungen, Rüstungsexporte zu beschränken. Brandts Nachfolger Schmidt sah sich jedoch schon auf Grund der internationalen Entwicklung gezwungen, Ausnahmen zuzulassen. Aus ökonomischer Sicht waren Fragen des Erhalts von Arbeitsplätzen zu beachten, obgleich die Zahl der in diesem Sektor Beschäftigten stets lediglich 1,5 % der Erwerbstätigen entsprach. Stärkere Berücksichtigung bei den Exportentscheidungen erhielten bündnispolitische Überlegungen, denn gegen eine Ausfuhr an Partnernationen ließ sich eigentlich wenig einwenden. Den Export von Rüstungsgütern beeinflusste außerdem der Wunsch, die innere Stabilität von solchen Staaten zu erhalten, die aus westlicher Sicht wichtig schienen. Mit gezielten Lieferungen konnte zum Erhalt regionalen Gleichgewichts beigetragen werden. Rüstungsexporten kam aus militärischer Sicht eine große Bedeutung zu, um Stationierungs-, Zugangs- oder Überflugrechte zu erwerben und zu erhalten. Bei Lieferungen von Rüstungsgütern in Länder der sogenannten Dritten Welt spielten ideologische Motive eine Rolle, galten sie hier doch als ein Mittel, der politischen Konkurrenz des kommunistischen Lagers zu begegnen. Der erwünschte Erfolg blieb allerdings zumeist aus.

Durch Rüstungskooperationen mit Frankreich oder mit Großbritannien ließen sich möglicherweise nationale Egoismen überwinden und europäische Überzeugungen weiter vorantreiben. Die 1972 beginnende und mit der Schmidt-Debré-Vereinbarung verstärkte Zusammenarbeit mit Frankreich führte zum Verkauf u. a. deutsch-französischer Panzerabwehrwaffen in die Welt. Deutsche Behörden wurden von französischer Seite gar nicht erst darüber informiert, für welche Exportvorhaben die deutschen Zulieferungen gedacht waren. So genau wollte die deutsche Seite auch gar nicht alles wissen. Zudem verloren deutsche Zulieferungen aus Bonner Sicht beim Einbau in die Gesamtwaffe ihre nationale Identität.

Schwieriger gestalteten sich für die sozialliberalen Regierungen die Rüstungstransfers an die diktatorisch regierten Bündnispartner Portugal und Griechenland. Portugal, Westeuropas ärmstes Land, war in einen blutigen Krieg um den Erhalt seiner afrikanischen Kolonien verwickelt. Einerseits benötigte die Bundeswehr noch den von ihr in Portugal ausgebauten Flugplatz Beja sowie den Luftwaffenübungsplatz Alverca und die notwendigen Überflugrechte. Andererseits aber wollte die Bundesrepublik nicht die Stimmen afrikanischer Staaten riskieren, die sie für den angestrebten UNO-Beitritt 1973 benötigte. Nicht zuletzt durch eine vorübergehende Beschränkung der Rüstungslieferungen gelang es schließlich, Portugal auf die Einhaltung der Endverbleibsklausel zu verpflichten. Im Fall Griechenlands wurden die Beziehungen seit 1967 durch den Putsch der Obristen zwar stark belastet, doch blieb das Land weiterhin ein Bündnispartner. Aus Sicht der NATO und damit auch Schmidts, galt es, besonders die Südostflanke des Bündnisses zu stärken, was zu einer Reihe von Exportgenehmigungen des BSR an Griechenland beitrug. Auch die vor dem Putsch bestellten vier U-Boote wurden geliefert. Zurückgestellte Lieferungen und länger hingezogene Entscheidungen über Rüstungslieferungen konnten bestehende deutsche Bedenken in Athen allenfalls andeuten. In Spanien, das erst 1982 NATO-Mitglied wurde, herrschte zunächst noch das Franco-Regime, auch wenn dessen Ende absehbar war. Deshalb suchte die Regierung Brandt nach pragmatischen Lösungen, um den dortigen demokratischen Umbruch mitzugestalten und den Ausbau der künftigen Beziehungen vorzubereiten. Eine mehr oder weniger großzügige Praxis der Waffenlieferungen schien angesichts der strategischen Bedeutung des Mittelmeers unumgänglich. Über Lizenzfertigungen in Spanien kam es zu einer engeren rüstungswirtschaftlichen Zusammenarbeit. Generell war die deutsche Seite an guten Beziehungen mit den drei Staaten interessiert, die sich nach dem Übergang zu Demokratie noch verbessern sollten.

Das politische Interesse an der Aufrechterhaltung einer eigenen Rüstungsindustrie, um bei der Ausstattung der Bundeswehr gerade auch in einem Konfliktfall unabhängiger zu sein, bestimmte die Rüstungsexporte der sozialliberalen Regierungen. Die Verweigerung von Kriegswaffenlieferungen kompensierte allerdings der schwunghafte Handel mit Fertigungslizenzen, was den Aufbau von Rüstungskapazitäten in der Welt förderte. Beim Verkauf von Kriegsschiffen 1976 an Saudi-Arabien spielten außenpolitische Gründe wohl lediglich eine sekundäre Rolle. In erster Linie gab die Sicherung von Arbeitsplätzen in der in Schräglage geratenen deutschen Werftindustrie den Ausschlag für die Entscheidung. Der als wichtiger strategischer Partner geltende Iran wurde bis zur islamischen Revolution 1979 der größte Einzelempfänger westdeutscher Waffen- und Rüstungslieferungen am Golf. Eine großzügige Genehmigungspraxis erfuhren aus außenwirtschaftspolitischen Überlegungen zudem Rüstungsexportanträge in den lateinamerikanischen Raum.

Insgesamt ist dem Autor zuzustimmen, dass die sozialliberale Rüstungspolitik zwar über keine stringente Strategie verfügte, aber eine pragmatische und lösungsorientierte Rüstungsexportpolitik betrieb.

Reiner Pommerin