Dierk Hoffmann (Hg.): Transformation einer Volkswirtschaft. Neue Forschungen zur Geschichte der Treuhandanstalt (= Zeitgeschichte im Gespräch; Bd. 31), Berlin: Metropol 2020, 204 S., ISBN 978-3-86331-535-1, EUR 16,00
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Gegenwärtig erscheinen diverse Bücher zur Geschichte der Treuhandanstalt. Dies hängt vor allem mit dem Ende der 30-jährigen Schutzfrist zusammen, welches nun auch eine breite historische Erforschung auf Basis der Treuhandakten im Bundesarchiv ermöglicht. Federführend ist dabei das Institut für Zeitgeschichte in München-Berlin, das auch hinter dem von Dierk Hoffmann herausgegebenen und hier besprochenen Sammelband steht. Er erschien bereits 2020 im Nachgang der gleichnamigen Tagung 2019 in München. Insgesamt 12 Autor:innen einschließlich des Herausgebers fanden sich hier zusammen, um mittels verschiedener Zugänge und Fragestellungen die Rolle der "Privatisierungsbehörde" (8) im Umgestaltungsprozess der ostdeutschen Wirtschaft genauer zu erörtern.
Schon das Cover verrät, welche Kontroversen sie bereits zur Zeit ihres Wirkens unter der (ostdeutschen) Bevölkerung hervorrief. Zu sehen sind Demonstrant:innen, die am Neujahrstag 1992 vor dem Treuhand-Gebäude in Berlin Schilder mit Parolen in die Luft halten. Auf ihnen ist zu lesen: "Schluß mit der VerKOHLerei" und "TREUHAND, wie treu handelst Du?". Mit diesem nach wie vor virulenten Image als "negativer Erinnerungsort" (9) leitet der Herausgeber den Band konzise ein und stellt gleich zu Beginn fest, dass diverse Akteur:innen an der Umgestaltung der ostdeutschen Wirtschaft beteiligt waren und die Treuhandanstalt nicht im luftleeren Raum agierte.
Das Inhaltsverzeichnis verzichtet - leider - auf eine thematische Clusterung, eine solche wird erst in der Einleitung skizziert. In den ersten drei Beträgen werden spezifische Akteur:innen der Transformation thematisiert, darunter auch einige, die bisher weniger Interesse geweckt haben. Andreas Malycha führt gleich zu Beginn prägnant aus, dass die Bundesregierung die Treuhandanstalt zum "Sündenbock" auserkoren hatte; ihr also eine Rolle übertrug, die sie selbst nicht einnehmen wollte.
Marcus Böick legt anschließend dar, welchen Einfluss westdeutsche Berater:innen auf den Umgestaltungsprozess nahmen. Laut Böick trugen sie dazu bei, dass ökonomisches und betriebswirtschaftliches Wissen sowie die Leitbilder, die seit den 1980er-Jahren in den Beratungsfirmen gepriesen wurden, in der Arbeitspraxis beschleunigt umgesetzt wurden und die Treuhand so von einer "DDR-Verwaltungsstelle in eine unternehmerisch agierende Privatisierungsagentur" (47) umformte. Im Verlauf der Lektüre drängt sich jedoch ein wenig der Eindruck auf, als haben die Beratungsfirmen ihre Interessen und Ideen innerhalb der Behörde Eins zu Eins durchsetzen können. Dafür spricht auch Böicks Plädoyer für den Begriff der "beratenen Revolution", mit dem er die Umbruchssituation im Osten einfangen möchte. Ob dieser sich bei aller Sympathie für Begriffs- und Theorieangebote und mit Blick auf die anderen Beiträge in diesem Band über den von ihm besprochenen Teilaspekt hinaus als belastbar erweist, bleibt jedoch fraglich.
Jann Müller widmet sich in seinem Beitrag dem (Zusammen-)Wirken von Treuhandanstalt und den Interessenverbänden der Wirtschaft, für die er trotz der mitunter schwierigen Konsolidierung in den neuen Bundesländern eine positive Bilanz zieht. Während die Industrie- und Handelskammern nicht selten noch zu "Lebzeiten" der DDR aus dem Engagement (klein)unternehmerischer lokaler Akteur:innen hervorgingen, entstanden die Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände eher als Osterweiterungen westdeutscher Strukturen. Die Ausführungen Müllers gehen zum großen Teil auf seine bereits 2017 erschiene Dissertation zurück, in der er sich mit der Revitalisierung des Kammerwesens im Osten auseinandersetzte. Eine ähnliche Studie zu den Handwerkskammern als zweiten großen mittelständischen Interessenverband, der darüber hinaus noch über die gesamte Dauer der DDR existierte, steht noch aus.
Zum zweiten Schwerpunkt "Wirtschafts- und Privatisierungskonzepte" gehört der Beitrag Max Treckers, in dem er sich dem "alten Mittelstand" und dessen verschenkten Potenzial im Transformationsprozess widmet. Er führt aus, dass die alten Selbständigen eine schwache Lobby hatten und so unter dem Radar der Treuhand blieben, wohl auch, weil man privatwirtschaftliches Unternehmertum im Osten schlicht nicht erwartet hatte. Damit berührt er ein in der Forschung bisher eher stiefmütterlich behandeltes Thema, nicht zuletzt, weil sich das Bild vom vollständig verstaatlichen Wirtschaftsraum in der DDR hartnäckig hält. Dies wird auch daran ersichtlich, dass Trecker seine Ausführungen fast ausschließlich auf über 30 Jahre alte Publikationen stützt, deren Erkenntnisse es sicherlich wert sind, einer Neubewertung unterzogen zu werden.
Die folgenden fünf Beiträge schlagen einen weiten Bogen und zeigen anhand einzelner Fallbeispiele, dass die Privatisierungspraxis der Treuhand keinesfalls einem übergeordneten "Masterplan" folgte. Einige dieser Beiträge lesen sich dabei wie Kriminalgeschichten. So etwa Eva Schäfflers Ausführungen zum Schicksal der Umformtechnik Erfurt, die 1994/95 schließlich vom Škoda-Konzern übernommen wurde. Dem ging ein turbulenter, jahrelanger Aushandlungsprozess diverser Akteur:innen voraus. Auch wenn das Pressenwerk bis heute existiert, hat sich Škoda in den folgenden Jahren als unzuverlässiger Partner erwiesen. So stimmt Schäffler den zeitgenössischen Beobachter:innen zu, die urteilten, dass diese Privatisierung keine Erfolgsgeschichte gewesen sei.
Die beiden Beiträge des letzten Schwerpunktes befassen sich mit den sozialen und mentalen Folgekosten des Umgestaltungprozesses. Dabei beschreibt Jessica Elsner am Beispiel des Automobilwerks Eisenach anschaulich, welche Auswirkungen er für die Belegschaft haben konnte. Während die Mitarbeiter:innen zu Beginn des Wiedervereinigungsprozesses noch optimistisch in die Zukunft blickten - sie hofften auf eine schnelle Modernisierung -, schlug ihre Aufbruchsstimmung bald in Resignation um, als sie merkten, dass weniger als ein Drittel der Altbelegschaft beim neuen Investor Opel unterkommen würde. Dass Elsner die Transformationsgeschichte des Betriebes dennoch als "erfolgreicher als in anderen Regionen der ehemaligen DDR" (184) bezeichnet, ist dem Umstand geschuldet, dass dennoch viele von ihnen bei den neu- und ausgegründeten Firmen im Umfeld des Automobilherstellers Arbeit fanden. Dieser Befund verweist auch darauf, dass es neben den zahlreichen Niedergangserzählungen im Gefolge des Systemwechsels dennoch auch Erfolgsgeschichten gibt, die es lohnt, weiter auszuloten.
Die in der Regel gut lesbaren und durchaus kurzweiligen Beiträge des Bandes entwerfen ein breites Kaleidoskop des Umgestaltungsprozesses der Wirtschaft in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch der DDR. Dabei besteht die Stärke des Buches gerade darin, dass der Blick über die Treuhand hinausgewagt wird. Es wird deutlich, dass die Arbeit der Behörde innerhalb einer komplexen Gemengelage verschiedener Protagonist:innen und deren Interessen anzusiedeln ist. In dem einen oder anderen Beitrag hätte man sich eine tiefergehende Darlegung gewünscht, in der Regel beläuft sich deren Umfang auf etwa zehn Seiten. Nicht selten jedoch handelt es sich um den Status quo eines laufenden Forschungsprojekts. Genau hier könnte der dieser Tage erschienene Sammelband "Die umkämpfte Einheit. Die Treuhandanstalt und die deutsche Gesellschaft" von Dierk Hoffmann ansetzen, unter dessen Herausgeberschaft sich zum Teil erneut dieselben Autor:innen zusammengefunden haben. Es wird deshalb spannend zu sehen sein, welche neuen Erkenntnisse zwei Jahre später und nach Abschluss einiger Einzelstudien darin gebündelt wurden.
Lisa Weck