Pia Koivunen: Performing Peace and Friendship. The World Youth Festivals and Soviet Cultural Diplomacy (= Rethinking the Cold War; Vol. 9), Berlin: De Gruyter 2023, VIII + 303 S., 20 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-075844-3, EUR 94,95
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Die Kulturen des Kalten Kriegs stehen seit jüngster Zeit im Zentrum des Forschungsinteresses und der musealen Erinnerungskultur. Die kulturelle Konkurrenz wurde zur Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln. In der seltsamen Logik der globalen Auseinandersetzung schuf die interkulturelle Kommunikation transnationale Räume und Netzwerke, neue Konzepte, Formen und Produkte, die die Staatsgrenzen und sogar den durchlässigen sogenannten Eisernen Vorhang überwanden und es ermöglichten, parallel zu den politischen und bewaffneten Konflikten miteinander zu koexistieren und voneinander zu lernen. Das Buch von Pia Koivunen ist einer der erfolgreichsten 'Erfindungen' der sowjetischen Kulturdiplomatie gewidmet: den globalen Festspielen für Jugend. Die Autorin, die sich vor zehn Jahren mit einer exzellenten Analyse des Moskauer Festivals 1957 in diesem Forschungsfeld etabliert hatte [1], kontextualisiert nun die sowjetische Performance von Frieden und Freundschaft in breiten Entwicklungstrends bipolarer Auseinandersetzung. Das Buch beschreibt in chronologischer Reihenfolge die ersten sechs Festivals (Prag 1947, Budapest 1949, Berlin 1951, Bukarest 1953, Warschau 1955, Moskau 1957). Die Entwicklungslogik des sowjetischen Propagandaprojekts wird von der Autorin als eine Wende vom Spätstalinismus über Entstalinisierung zu der kulturdiplomatischen Offensive Chruščëvs interpretiert. Der Hauptakzent wird auf die Inszenierung der Weltjugend in Moskau 1957 gelegt, was zwar der analytischen Herangehensweise entspricht, aber die Buchstruktur insgesamt aus dem Gleichgewicht bringt.
Koivunen betrachtet die Festivals als globales kommunikatives und kulturelles Phänomen des Kalten Krieges. Die Wahl des Festivalortes wurde zum politischen Loyalitätstest für die UdSSR und ihre Satellitenstaaten, während das Gastgeberland von einem finanziellen Zufluss und internationalen Ansehen profitierte. Den größten Gewinn aus dem Festivalprojekt unter den sozialistischen Ländern zog die DDR, die 1951 und 1973 als Gastgeberland fungierte. Die Szenarien der Festspiele konnten auch als die Indikatoren der politischen und kulturellen Veränderungen im sozialistischen Lager interpretiert werden. Der angespannte Verlauf der Entstalinisierung verschärfte sich noch mehr nach dem XX. Parteitag der KPdSU und dem Einzug der Panzer in Budapest 1956. Das stellte die internationalen Jugendorganisationen in ihrer bisherigen Form in Frage. Die Neubestimmung des Zielpublikums signalisierte nicht nur den Wunsch nach einer Demokratisierung des Konzepts der Jugend und der sozialistischen Zukunft, sondern auch eine Wende in der Kulturdiplomatie Chruščëvs hin zu einer maximalen Öffnung gegenüber (nichtkommunistischen) Akteuren und dem Globalen Süden.
Die Festivalstädte seien wichtige Akteure in den sorgfältig choreografierten Aufführungen gewesen, die die Autorin in den Rang von Mega-Events erhebt. Die Organisatoren schufen eine neue urbane Infrastruktur der osteuropäischen Hauptstädte und versuchten die sozialistischen Botschaften in die Architektur und Skulptur einzumeißeln. Dies war besonders im Nachkriegsjahrzehnt entscheidend, als den meisten Volksdemokratien die Mittel zum Wiederaufbau zerstörter Stadtviertel fehlten. Die "kulturellen Schaufenster" - die Trajektorien für die Erkundung ritualisierter Räume durch die Festivalteilnehmer - wurden sorgfältig ausgewählt und nur bestimmte Objekte wurden "aufpoliert". Die Unmöglichkeit, diese Bewegungsräume hermetisch abzuriegeln, bedingte das Eindringen von Festivalteilnehmern in die "Grauzonen" der informellen Kontakte, des Schwarzhandels, der rhetorischen und sogar physischen Auseinandersetzungen mit den Einheimischen. Die Reaktion der Festivalstädte und ihrer Bevölkerung, deren unzuverlässige Elemente z.B. in Moskau sogar physisch aus ihren gewohnten Lebensräumen vertrieben wurden, reichte von Begeisterung und Faszination für die Ereignisse bis hin zu Angst und Vermeidung des Kontakts mit Fremden. Die Festspiele veränderten auch das kommunikative Umfeld der Städte.
Pia Koivunen kommt zu dem Schluss, dass intensive wie auch kurzfristige Kontakte mit Vertretern anderer Kulturen das Wesen der sowjetischen Ideologie nicht verändern konnten. Die Freiheitseuphorie des Moskauer Festivals existiere vielmehr als Mythologem heutiger Erinnerungskultur. Dennoch hatten die kulturellen Kontakte wichtige und nachhaltige Auswirkungen. Die damaligen Diskussionen über den Unterschied zwischen dem westlichen und sozialistischen Kunstkanon trugen dazu bei, die sowjetische Jugend von akuten politischen Themen und Tabus abzulenken. Andererseits bedingte der Verzicht auf direkten Terror im "Tauwetter" die Suche nach "sanften" Mitteln zur Disziplinierung der sozialistischen Jugend. Im Rahmen der Festspiele erkannte die Komsomol-Führung, dass es keine einheitliche Formel für die sozialistische Kultur mehr gebe und es unmöglich sei, sie von äußeren Einflüssen zu isolieren. Dies führte zu Vorschlägen von einigen bedeutenden Künstlern und Parteimitgliedern, einen "eigenen sowjetischen Jazz" zu schaffen und das kulturelle Angebot für die Jugend über die Grenzen des sozialistischen Realismus hinaus auszudehnen. Diese Diskussionen stellten laut der Autorin keine sowjetische Spezifik dar. Sie betten sich gut in die globalen Trends der Epoche ein, die (auch im westlichen Europa) darauf abzielten, die nationalen Kulturen vor amerikanischem Einfluss zu schützen.
Ein vielversprechendes Forschungsfeld ist die agency der Jugend. Was motivierte verschiedene Jugendgruppen, an dem sowjetischen Projekt teilzunehmen und damit die Performance von Frieden und Freundschaft (später auch Antiimperialismus) aufrechtzuerhalten? Da direkt in den Nachkriegsjahren der globale Reisemarkt noch nicht existierte, wurden viele Jugendliche durch die Möglichkeit angezogen, zu reisen und in ein reichhaltiges kulturelles Programm einzutauchen. Für die linksorientierte Jugend, die im Kalten Krieg in ihren Heimatländern marginalisiert und segregiert wurde, war die Perspektive verlockend, für ihre eigenen Überzeugungen Bestätigung zu finden. Während und nach den Festivals wurde ihnen in den verschiedenen Zeitungen und Buchveröffentlichungen ein Raum zur Selbstdarstellung geboten und die Festivaltraveloge erfuhren eine hohe Konjunktur. Die Reiseberichte ließen ihre Autoren von einem marginalen Status zum Träger eines exklusiven Expertenwissens aufsteigen. Die Logik des Kalten Krieges selbst machte aus den "Geschichtenerzählern" eine Kohorte von "selbsternannten Experten", die ihren Status auf einem imaginären Wissen über den Feind in der globalen Konfrontation aufbauten.
Das Buch beschränkt sich auf das sogenannte "goldene Zeitalter" der Festivals, das Jahrzehnt von 1947 bis 1957, das in Moskau seinen Höhepunkt fand. Leider benutzt die Autorin eine sehr heterogene Beschreibungsstruktur, was beim Lesen und Reflektieren gewisse Schwierigkeiten bereitet. Die Geschichte von einzelnen Festivals ist mit unterschiedlichen Sujets gefüllt. Nachfolgende Events werden nur punktuell skizziert. Nach dem Erfolg in Moskau trauten sich die Organisatoren, die Festivals ins relativ neutrale, aber doch kapitalistische Ausland zu verlegen. Dies erwies sich, laut der Autorin, als infrastruktureller und politischer Fehler. Einen späteren Bedeutungsverlust des Projektes in 1980/1990er-Jahren bedingten die veränderte Medienkultur und die steigernde touristische Mobilität. Wenn aber die Autorin das jüngste Festival 2017 als einen gescheiterten Versuch beschreibt, das "Sowjetische" wiederzubeleben, übersieht sie die kommerzielle, infrastrukturelle und affektive Komponente. Die Wahl des Ortes Sotschi erlaubte die Nutzung der für die Olympischen Spiele 2014 geschaffenen Infrastruktur, die teuer im Unterhalt war und von der Bevölkerung oft als ungenutzter Ballast kritisiert wurde. Die als Mega-Event im globalen Maßstab konzeptualisierter Jugendveranstaltung war ein wichtiger Test auf die emotionale Empfindlichkeit von Zielgruppen (der Jugendlichen aus Russland und aus potenziell "befreundeten" Ländern) auf die Slogans des Antiimperialismus. Im Gegensatz zur Buchautorin hält die derzeitige Führung in Russland dieses Modell des affektiven Managements für einen Erfolg. Das bestätigen wohl die Pläne, ein neues Sotschi-Festival im Jahr 2024, einem wichtigen Jahr für die globale politische Agenda, zu veranstalten.
Anmerkung:
[1] Pia Koivunen: Performing Peace and Friendship. The World Youth Festival as a Tool of Soviet Cultural Diplomacy, 1947-1957. University of Tampere 2013.
Oksana Nagornaia