Geschenktipps zu Weihnachten

Jörn Leonhard, Freiburg/Brsg.


Heinz Dieter Kittsteiner: Die Stabilisierungsmoderne. Deutschland und Europa 1618-1715, München 2010.

Geplant waren mehrere Bände, doch hinterlassen hat Heinz Dieter Kittsteiner, im Juli 2008 mit fünfundsechzig Jahren viel zu früh verstorben, nur ein eindrückliches Fragment. Es wirkt wie der Teil eines Chores einer unvollendeten Kathedrale: Man ahnt die Dimensionen, ohne sie zu sehen. Kittsteiners Europa des 17. Jahrhunderts fasziniert durch seine Vielschichtigkeit: Politik, Wirtschaft, Religion, Kunst, Wissenschaft und Alltag werden miteinander verwoben, und dem Historiker gelingt es immer wieder, die "vergangene Zukunft" der Zeitgenossen zu vermitteln. Wenn es ein Ideal eines Picasso-Portraits in der Historiographie gibt, also Front und Profil zugleich zu zeigen, dann kann man es hier erahnen.


Ernst Jünger: Kriegstagebuch 1914-1918, hg. von Helmut Kiesel, Stuttgart 2010.

Diese sorgfältig edierte und sehr sachkundig kommentierte Ausgabe macht die Kriegstagebücher Ernst Jüngers zum ersten Mal in der Originalversion zugänglich. Die besondere editorische Leistung liegt darin, dass der Leser jetzt nachvollziehen kann, wie aus den ursprünglichen kurzen Notaten der Tagebücher stufenweise die literarische Erzählung in Jüngers späterem Bestseller In Stahlgewittern wurde. Kurze Stichworte und erzählerische Passagen wechseln sich in den Tagebüchern ab. Das manchmal verstörend unverbundene Nebeneinander von persönlichen Eindrücken, lakonischer Beobachtung und stilisierter Erzählung lässt immer wieder neue Einblicke in die Maschinerie des Krieges und die psychologischen Muster der Erfahrungsverarbeitung zu.


Fritz J. Raddatz: Tagebücher 1982-2001: Die Jahre 1982-2001, Hamburg 2010.

Wer die Verbindung aus intelligenter Beobachtung, scharfzüngiger Pointe und subtilen Portraits aus einer anderen Kulturgeschichte der Bundesrepublik sucht, der wird hier mehr als fündig. Die "hommes et femmes de lettres" Westdeutschlands, die Marotten und Eitelkeiten von Grass und Augstein bis Enzensberger und Dönhoff, werden auf einem literarischen Tablett serviert. Aus der Sicht eines nicht minder eitlen und eigensinnigen Außenseiters wird der Leser in stil- und treffsicheren Aperçus und mit genauem Blick auf die feinen Unterschiede und präzisen Bösartigkeiten unterhalten - eine so aufschlussreiche wie unterhaltsame Mischung aus Gesellschaftsroman und Generationenportrait.


John Darwin: The Empire Project. The Rise and Fall of the British World-System 1830-1970, Cambridge 2009.

Diese "tour de force" vom 19. Jahrhundert bis in die Phase der Dekolonisierung in den 1970er Jahren ist nicht allein eine beeindruckende Syntheseleistung eines der führenden Experten der Geschichte des Empire. Sie ist vor allem eine spannende und sehr lesbare Begründung, warum das Britische Empire mehr war als ein durch autoritäre Herrschaft zusammengehaltenes Konglomerat aus weißen Siedlerkolonien, den wirtschaftlichen Kolonien der Londoner City und dem "Greater India". Wandel, Expansion und Erosion dieses imperialen Netzwerks werden als Teil einer globalen Entwicklung von Wirtschaft und Politik erkennbar - ein Buch, das globale Zusammenhänge nachvollziehbar macht, ohne manchen Etiketten der Globalgeschichte nachzuhecheln.


Jane Burbank / Frederick Cooper: Empires in World History. Power and the Politics of Difference, Princeton 2010.

Warum faszinieren uns Imperien? Jane Burbank und Frederick Cooper beantworten diese Frage nicht mit einer engen Strukturgeschichte oder einem Blick auf das klassische Thema der Nationbildungen im Zeitalter der Auflösung der europäischen Großreiche. Sie fragen in einer echten "longue durée"-Perspektive nach dem Umgang mit Vielfalt in ganz unterschiedlichen Konstellationen: vom Römischen Reich und China über die Amerikas und Afrika, von Byzanz über die Mongolen, von den Ottonen über die Osmanen bis zu den neuen Reichen des 19. und 20. Jahrhunderts reicht das Panorama. Diese Sicht belehrt zweifach und in äußerst lesbaren und lesenswerten Kapitel: zeitlich durch den weiten Blick zurück, sowie räumlich durch die konsequente Relativierung einer europazentrischen Perspektive. Imperien, das bestätigt die Lektüre eindrücklich, prägten die ganze Welt früher und entscheidender als die relativ späte Erfindung von Nationen und Nationalstaaten.