Geschenktipps zu Weihnachten

Jan Kusber, Mainz


Guido Hausmann: Mütterchen Wolga. Ein Fluss als Erinnerungsort vom 17. bis zum frühen 20. Jahrhundert, Frankfurt/M. 2009.

Die Wolga ist in Deutschland ein Fluss, der für Russland steht; Zugleich ist er in Russland selbst ein nationales Symbol, obwohl der Fluss erst seit Mitte des 16. Jahrhunderts in seiner ganzen Länge zum Zarenreich gehörte. Guido Hausmann untersucht den Ort als mehrfach besetzten Erinnerungsort. Dabei greift er - immer anschaulich - verschiedene aktuelle Forschungszusammenhänge auf: Die Wolga wird als "orthodoxer" und als "imperialer" Erinnerungsort gelesen, sie wird - im Russischen sind Flüsse weiblich" als Mütterchen Wolga zum Erinnerungsort für soziale Gruppen (Kosaken und Wolgatreidler) und sie wird schließlich im ausgehenden Zarenreich zum Zielort für Reisen in die vermeintlich eigene Kultur. Guido Hausmann ist ein großer Wurf gelungen, der die symbolische Kodierung bis in unsere Gegenwart anschaulich macht.


Anna Ananieva: Russisch Grün. Eine Kulturpoetik des Gartens im Russland des langen 18. Jahrhunderts, Bielefeld 2010.

Anna Ananievas beeindruckendes Buch zur Gartenkunst in Russland zwischen 1680 und 1815 ist bestens lesbare Kulturwissenschaft. Die Verfasserin lässt mit literaturwissenschaftlichen, landschaftsarchitekturgeschichtlichen und genuin historischen Perspektiven Stadtgärten in Moskau und St. Petersburg lebendig werden und schafft zugleich eine Kulturpoetik des Gartens, die unbedingt lesenswert ist. Zugleich leistet sie für das "lange 18. Jahrhundert" in diesem sorgfältig gemachten Buch eine Kulturgeschichte der russischen Eliten im europäischen Kontext. Es lohnt sich, Ananievas Buch auch kapitelweise zu lesen, mit ihm in die russischen Hauptstädte zu fahren und den Spuren der teils verschwundenen Gärten nachzuspüren.


Lew Tolstoi: Krieg und Frieden. Übersetzt aus dem Russischen von Barbara Conrad, 2 Bde., München 2010.

Lew Tolstois großes Werk, erschienen 1868/69 in Moskau, ist nicht deshalb Leseempfehlung, weil seine Verfilmungen um die Weihnachtszeit verstärkt im Fernsehen gezeigt werden. Ich empfehle es, weil zum hundertsten Todestag des Schriftstellers und Religionsphilosophen im November 2010 eine unbedingt lesenswerte Neukommentierung und Neuübersetzung von Barbara Conrad erschienen ist, die sich dem voluminösen Text behutsam nähert. Krieg und Frieden entwirft ein gewaltiges Panorama historischer, geschichtsphilosophischer und familienchronikaler Erzählstränge, die sich den Kategorisierungen wie "fiktional" versus "nichtfiktional" entziehen, sondern zu einem großen Ganzen werden. Der Text hat wie kein zweiter das Bild, das man sich vom Russland unter dem Eindruck Napoleons seit Generationen macht, bestimmt. Die gelungene Neuausgabe lädt zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vorstellungswelt ein.