Oswald Bauer: Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmaehgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605) (= Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 1), Wien: Böhlau 2008, 223 S., ISBN 978-3-205-77937-7, EUR 29,80
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Derzeit stehen Editionsvorhaben unter besonderen Rechtfertigungszwängen, denn den herkömmlichen Quelleneditionen als kostenträchtige Buchpublikation stehen vielversprechende digitale Editionen gegenüber. Verteidiger von im Druck veröffentlichten Editionen scheinen häufig mit Qualitätsansprüchen zu argumentieren, die einerseits durch Herausgebergremien gesichert würden und somit auch die angemessene Rezeption der Publikation besser sicherstellten als ein anderes Ausgabeformat. Befürworter von Netz- (oder Hybrid)publikationen hoffen andererseits, dass durch dauerhafte Verfügbarmachung im Internet die Transkriptionen und Kommentare von Quellenmaterial die Rezipienten schneller und bequemer erreichen würden, ohne dabei unbedingt die Revisionsbedürftigkeit zu verlieren.[1] Diese prinzipiellen Erwägungen dürfen gerade deswegen nicht aus dem Blick geraten, weil die vorliegende, aus einer Diplomarbeit entstandene Monographie eine neue Reihe eröffnet, die "neue Techniken anzuwenden" und Quellen zu edieren plant, die "in den großen Reihen keinen Platz" (11) hätten.
Der Band enthält eine jeweils zehnseitige Einleitung und eine Zusammenfassung zu systematischen Aspekten des Quellenmaterials, die Edition ist nach den Inhalten der "Pasquille" ("Historische Persönlichkeiten: Adlige", "Ereignisse") gegliedert sowie - abschließend - der Gattungsbezeichnung "Historische Ereignislieder und Zeitungslieder". Die Themenstellung ist in mehreren Hinsichten zu begrüßen, sind doch die Fuggerzeitungen bislang zwar das pressegeschichtliche Paradebeispiel für überregionalen Informationsaustausch, doch ist diese Wertschätzung bislang ohne Folgen für die Edition und Erforschung der Fuggerzeitungen geblieben. Dies ist umso bedauerlicher, als schon ein Digitalfaksimile weiterhelfen könnte. Dieses Ziel übernimmt möglicherweise die neue Reihe, "Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung", denn prinzipiell sollen den gedruckten Editionen durch dauerhafte Onlinepublikation "begleitend Daten" und Einzelaufnahmen zur Seite gestellt werden (11). Die vorliegende Edition widmet sich weniger den Fuggerzeitungen als vielmehr der Gattung, die in den Fuggerzeitungen wiedergegeben wird und die - darin den Fuggerzeitungen vergleichbar - seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr ediert wurde.[2] Die Pasquille werden dann jeweils nach einem einleuchtenden, gerade weil nicht immer zu bearbeitenden Raster bearbeitet: "Text und Überlieferung", "Geschichtlicher Hintergrund", "Einordnung und Bewertung des Pasquills", "Herkunft und Verbreitung".
Die Einleitung zeigt - zu häufig und ausführlich Forschung zitierend -, dass die hier erstmals verfügbar gemachten Quellen schon lange nicht mehr behandelt wurden, wie etwa die eingehende Arbeit mit einem - umfassenden und instruktiven - Beitrag von 1838(!) zeigt (20). Bauer wählt Pasquille aus einer Phase der Fuggerzeitungen aus, um das Material beherrschbar zu machen. Darunter sind allerdings auch solche Texte, die etwa in der Herzog August Bibliothek in Druckausgaben überliefert sind (29). Die gewählte Bezeichnung "Pasquill" entspricht der historischen Bezeichung des 16. Jahrhunderts, die im Deutschen seit dem 20. Jahrhundert nicht mehr verwendet wird. Diese Entscheidung wird von der Literaturwissenschaft geteilt,[3] so dass eine methodisch für das Thema Öffentlichkeit tragfähige, weil den Handlungscharakter der anonymen Schriften einfangende Gattungstypologie aussteht. In jedem Fall würde ein Blick auf den europäischen Kontext der besser erforschten italienischen und französischen Pasquillenliteratur der Analyse des Quellenmaterials mehr Urteilsfähigkeit verleihen und natürlich auch den Wert dieser Edition aufzeigen.
Das Vorhaben, Schmähschriften aus einem umfangreichen Sekundärmedium wie der Fuggerzeitungen heraus zu edieren, wirft viele weiterführende Fragen auf, die in der Natur der Quellen zu liegen scheinen und die diese Edition durchaus auch anreißt. Wie lassen sich rechtsgeschichtliche, gattungspoetische und inhaltliche Definitionsansätze der "Pasquille" sinnvoll in eine hinreichend spezifische Definition integrieren? An welche Adressaten waren die Pasquille bei Ihrer Entstehung gerichtet? Lässt sich die Entstehung aus eventuellen mündlichen Traditionen oder gar schriftlichen Auftragswerken interpretieren? Verändert das neue Trägermedium, für das die Pasquille ausgewählt und in das sie überführt wurden, den Sinn der Texte? Gerade eine Edition, die das Material aus einer wesentlich größeren Materialmenge auswählt, müsste diese grundlegenden Fragen problematisieren und ggf. eine Stichprobe als solche markieren.
Das Material bietet darüber hinaus hervorragende Ansatzpunkte für kulturgeschichtliche Interpretationen der Texte. Es handelt sich beispielsweise beim ersten Text, dem "Pasquill über die Wahl Heinrichs von Valois zum polnischen König 1573", das den Titel "Pasquilus zu ehrn dem ungecrönten polnischen könig dem gallo" trägt (29). Eine Erzählerinstanz, gattungsüblich wäre der personifizierte "Pasquilus", wendet sich an die "liebe(n) Poln", an den neu gewählten König mit den Worten "mein han [sc. Hahn]" und "Jezund [höre], franzos" (30-31). Der mit vielfältigen literarischen Mitteln erzeugte Spott, die schwankhafte Literarisierung von Fragen politischer Legitimität u.a. durch die Einschaltung einer fiktiven Figur, die mit den Parteien in den Dialog tritt, muss Pasquillen wie diesem die Attraktivität verliehen haben. Der König, der als durch "faiste schmier" (30) ins Amt gekommen dargestellt wird, sei ehrlos, und der auffällige Schmuck, der Heinrich von Valois im 16. Jahrhundert zugeschrieben wird, illustriere seine Ehrlosigkeit. Das Stereotyp des 16. Jahrhunderts, demzufolge Heinrich von Valois homosexuell gewesen sei und mit Hilfe eines Kreises von Favoriten regiert habe, könnte den Subtext für die Darstellung des Königs abgeben, der "die federn schwingen" müsse, um sich als rechtmäßiger König durchzusetzen (30). Bei der Suche nach einem Interessenschwerpunkt des Pasquills helfen die Angaben des Herausgebers sehr, insbesondere wenn die impliziten Bezüge des zitierten Pasquills auf die Behandlung der Hugenotten in Frankreich hergestellt werden, eine Bezugnahme, die offenbar eine Art von europäischer Öffentlichkeit voraussetzte.
Zusammenfassend ist die Leistung, das Material gesucht, transkribiert und aufbereitet zu haben, eine sehr beachtliche, zumal sie ursprünglich in einer Diplomarbeit erbracht wurde. Aus dieser Arbeit erwachsen für die Kulturgeschichte des Politischen hervorragende Perspektiven. Die Einschätzung des Autors und der Herausgeber ist beizupflichten, dass diese Quellengattung vor die Erkenntnischancen hohe interdisziplinäre Hürden setzt. Keineswegs ist daher der Vorwurf zu erheben - schon gar nicht bei einer Edition und nicht gegenüber deren Bearbeiter - , die Interpretation sei noch breiter zu kontextualisieren und damit nur vorübergehend kommentiert. Dennoch könnte die Frage nach dem Medium der Edition lohnen, ob für derartige Projekte Digitaleditionen angemessen wären. Kritiker würden eine Internetfassung wohl mit dem Wikipedia-Argument befrachten, die Frage also nach der Kontrolle der Wissensdarstellung, ungeachtet der Tatsache, dass die deutschen Forschungsbibliotheken hierfür vorgesorgt haben. Warum sollten Historiker nicht - wie die Fugger in ihrer Zeit - verfügbare technische Informationswege zur bestmöglichen Bewältigung der anstehenden Editionsaufgaben prüfen?
Anmerkungen:
[1] Die Edition des Dasypodius hat beispielsweise um Korrekturhinweise gebeten, vgl. Digitale Bibliothek der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel http://www.hab.de/bibliothek/wdb/editionen/index.htm.
[2] Vgl. Oskar Schade: Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit, 3 Bde., Hannover 1863 (ND Hildesheim 1966).
[3] Günter Hess: Pasquill, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 3, hg. von Jan-Dirk Müller, Berlin 2003, 31-34.
Christian Kuhn