Alois Schmid (Hg.): 1806: Bayern wird Königreich. Vorgeschichte, Inszenierung, europäischer Rahmen, Regensburg: Friedrich Pustet 2006, 286 S., ISBN 978-3-7917-2035-7, EUR 24,90
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Alois Schmid (Hg.): Das Neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. Zweiter Teilband: Innere Entwicklung und kulturelles Leben, 2., völlig neu bearb. Aufl., München: C.H.Beck 2007
Der anlässlich des 200-jährigen Jubiläums von Bayerns Erhebung zum Königreich herausgegebene Sammelband geht auf ein Symposium der Kommission für Bayerische Landesgeschichte im Februar 2006 zurück. Er fügt sich damit in das weite Spektrum der Jubiläumsveranstaltungen, die das vergangene Jahr durchzogen und sich in erster Linie an ein größeres Publikum richteten. Einige wissenschaftlichen Ertrag versprechende Überlegungen der chronologisch und thematisch gegliederten Beiträge sollen im Folgenden vorgestellt werden.
Alois Schmid bietet zunächst einen Überblick über die Bemühungen der bayerischen Herrscher in Mittelalter und Früher Neuzeit, die Königswürde zu erlangen (17-38). Die Königserhebung hatte Schmid zufolge trotz der Napoleonischen Initialzündung eine "lange und breite Tradition" (37). Den internationalen Kontext der Rangerhöhung skizzieren sodann für Frankreich und das Heilige Römische Reich Peter Claus Hartmann (39-53) sowie für Österreich Alfred Kohler (54-67).
Hermann Rumschöttel geht danach der bayerischen Innenpolitik und hier besonders der Rolle von Montgelas nach (69-81), der die Königswürde auch als ein Mittel zur Staatsintegration gesehen habe (78). Rumschöttels Beitrag setzt in der differenzierten Montgelas-Forschung zwei neue Akzente: Erstens zeigt er, wie polemisch sich Heinrich von Treitschkes vor allem gegen die bayerische Königswürde und Geschichte richtete (69). Das regt an, die Meistererzählung von der preußisch dominierten Reichsgründung hinsichtlich ihrer mentalitätshistorischen Vorbereitung und bezüglich der Zeichnung der Position Montgelas' zu untersuchen. Zweitens vertritt Rumschöttel die durchaus auch methodisch interessante These, dass der Wechsel im Wappen Bayerns zwischen 1799 und 1806 ein durch die Königserhebung verändertes Staatsverhältnis ausdrückte. Während das Wappen unter Max IV. Joseph 1799 "noch ganz in der Tradition der anschaulichen Dokumentation von unterschiedlichem Besitz, von Herrschaftsrechten und Herrschaftsansprüchen" stand, hätte ein Hauptschild mit den weiß-blauen Rauten des Königswappens 1806 die Staatseinheit in den Vordergrund gestellt (79). Daraus zeigt sich: Auch für die Geschichte des 19. Jahrhunderts können meist nur der Mittelalter-Forschung vorbehaltene Gebiete wie die Heraldik weiterführende Aspekte bieten. Es folgen Beiträge von Peter Schmid zur Politik im unmittelbar zeitlichen Umfeld der Königserhebung (82-103) und von Michel Kerautret zum Verhältnis zwischen Frankreich und Bayern in den Jahren 1805/06 (105-125).
Ferdinand Kramer untersucht mit Bezug auf neuere Arbeiten zu rituellen und zeremoniellen Handlungen bei Festen, Staatsakten und Symbolen [1] die symbolische Politik der ersten Januarwochen des Jahres 1806 (126-145). Mit Recht weist Kramer auf die schwierige Quellenlage zu solchen Feierlichkeiten hin, die - wenn überhaupt Unterlagen vorliegen - wenig explizit über Konzeptionen und Absichten der Organisatoren dokumentieren (128). Dementsprechend analysiert er vor allem Zeitungsberichte, wie solche aus dem "Bamberger Intelligenzblatt" oder der "Königlich Baierischen Staats-Zeitung" (139 ff.). Er kommt bei der Analyse darin geführter Diskurse zu "Patriotismus" sowie "Vaterlands- und Königsliebe" zu dem Ergebnis, dass das politische Programm der medialen Inszenierung der Königserhebung und ihrer Feiern nicht nur auf "Staatsintegration durch Fürsten- und Vaterlandsliebe" abgezielt hätte, sondern eine "Überformung älterer territorialer und stammesmäßiger Bindungen" gewesen sei, freilich mit "der Zielperspektive auf eine bayerische Nation". Dieses Ergebnis ist durchaus plausibel, bedenkt man, wie stark lokale Traditionen gerade die Lebenswelt des Bürgertums im 19. Jahrhundert prägten, was neuere Untersuchungen immer wieder hervorheben. Es ergänzt und modifiziert gleichermaßen auch die lange Zeit wegweisenden Forschungen Werner K. Blessings zur bayerischen Staatsintegration, der die Auslöschung bzw. Verdrängung lokaler Traditionen durch gesamtbayerische Symbole betont hatte. [2]
Ebenfalls in Anschluss an Blessing argumentieren die Beiträge zur Integration Neubayerns. Rolf Kießling untersucht Jubiläen der Wittelsbacher-Dynastie in Schwaben (147-169), während Wolfgang Wüst der Frage der Integration Frankens im 19. Jahrhundert nachgeht (170-194). Kießling ist allerdings entgegen zuhalten, dass die untersuchte bürgerlich-monarchische Festkultur zweifellos eine vielschichtigere Funktion hatte, als die von ihm vermutete Demonstration von Zusagen bzw. Absagen an Monarchie und Staat. In den Archiven schwäbischer Städte (vor allem in Augsburg) finden sich umfangreiche Aktenbestände, die dokumentieren, wie sekundär der monarchische Zweck solcher Feiern sein konnte und wie primär es den Stadtverordneten um eine möglichst pompöse Inszenierung des eigenen bürgerlichen Gemeinwesens ging.
Mit Rumschöttels Beitrag korrespondiert Hans-Michael Körners Untersuchung der "Erhebung Bayerns zum Königreich in der Erinnerungskultur des Königreichs Bayern" (195-209), die deutlich macht, welche Probleme den Monarchen und ihren Ministerialbürokratien im epochalen Nationalisierungsprozess des Jahrhunderts die napoleonisch-französische "Kontamination" ihrer königlichen Würde bereitete (209). Den wissenschaftlichen Teil des Bandes beschließen ein rechtshistorischer Beitrag Dietmar Willoweits zur staatsrechtlichen Bedeutung des bayerischen Königtums (210-228) und ein architektur- und kunstgeschichtlicher Aufsatz Hubert Glasers zu München als "Denkmal des Königsreichs" (229-257).
Den Band rundet der Abdruck eines Gesprächs zwischen Herzog Franz von Bayern und Albert Scharf, dem ehemaligen Intendanten des Bayerischen Rundfunks, ab (258-273), das späteren Historikern als Quelle dienen kann. Mit dem Interview erhält man einen Einblick in die Produktion der bayerischen Erinnerungskultur 2006, wenn man Scharfs auch im Bayerischen Fernsehen ausgestrahltes Schlusswort liest: "Ein bayerisches Phänomen ist: Das Ansehen des Hauses Wittelsbach und seine Verbundenheit mit dem Volk, sein Ansehen im Volk hat durch die Revolution von 1918, fast würde ich sagen, nicht nur nicht gelitten, sondern dann wieder zugenommen bis zum heutigen Tag, was auch ein wesentlicher Identitäts- und Stabilitätsfaktor für das heutige Bayern ist." (273). Es bleibt zu wünschen, dass Historikerinnen und Historiker diese und ähnliche Sätze des Bandes eines Tages analysieren, wenn sie sich mit der politischen Kultur Bayerns und der Bundesrepublik Deutschland im 21. Jahrhundert befassen.
Insgesamt leuchtet der vorliegende Band nahezu alle Aspekte aus, die sich um das historische Phänomen der Königserhebung im 19. Jahrhundert gruppieren. Freilich hätte es andere Wege gegeben, das Thema zu bearbeiten. Hier wäre dann beispielsweise mehr von Blutvergießen, von Hunger und bürgerlichen Protest zu reden gewesen, Aspekte die zweifellos auch ganz zentral zu Bayern als Königreich gehörten. Diesem Band geht es allerdings um ein (zugegebenermaßen ein wenig gefällig geschneidertes) kulturelles Erbe. Hier schreiben etablierte Landeshistoriker mit einer durchaus persönlichen Zuneigung zu ihren Forschungsgegenständen - man könnte auch sagen, mit einem unter Historikerinnen und Historikern oftmals eher verpönten Gefühl zu Heimat. Dass dabei aller Sachverstand gewahrt bleibt, macht neben der Vielfalt der Ansätze dieses Stück Erinnerungskultur Bayerns gerade für ein breites Publikum lesenswert.
Anmerkungen:
[1] Etwa Johannes Paulmann: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn u.a. 2000.
[2] Beispielsweise: Werner K. Blessing: Staatsintegration als soziale Integration. Zur Entstehung einer bayerischen Gesellschaft im frühen 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 41 (1978), 633-700.
Hubertus Büschel