Almut Leh: Zwischen Heimatschutz und Umweltbewegung. Die Professionalisierung des Naturschutzes in Nordrhein-Westfalen 1945-1975, Frankfurt/M.: Campus 2006, 484 S., ISBN 978-3-593-38022-3, EUR 39,90
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In den 1960er-Jahren tobte rund um die westfälische Stadt Ahaus ein "Wallheckenkrieg". Als Kontrahenten standen sich die örtliche Bauernschaft und die Vertreter des organisierten Naturschutzes gegenüber. Den Stein des Anstoßes bildeten diametral gegensätzliche Auffassungen über das angemessene Erscheinungsbild der agrarischen Nutzflächen im westlichen Münsterland. Während die Landwirtschaft darauf insistierte, dass Äcker und Felder von Bachläufen, Hecken, Gebüschgürteln usw. im Interesse einer großmaschinellen Intensivproduktion "ausgeräumt" werden müssten, beharrten die Naturschützer, namentlich der seit 1961 behördlich fest installierte Bezirksbeauftragte für Naturschutz, auf den Erhalt des landschaftlich emblematischen Gebietsinventars. Die Positionen erwiesen sich als unversöhnlich. Hinweise der Naturlobbyisten auf die gesetzlich garantierte Unversehrtheit von Wallhecken wurden von den landwirtschaftlichen Erzeugern mit der Bemerkung quittiert, die Gegenseite maße sich unberechtigte polizeiliche Befugnisse an. Wie auch in anderen Konfliktfällen des Jahrzehnts wurden die Naturschutzbeauftragten als "störendes Element" und ihre Dienststellen als "Behinderungsbehörde[n]" (275) diskreditiert. Solche Schmähungen fanden seinerzeit durchaus öffentlichen Widerhall. Wer sich um 1960 für den Erhalt oder gar die 'naturnahe' Gestaltung von ökonomisch oder freizeitlich relevanten Territorien einsetzte, hatte einen durchweg schweren Stand.
Almut Leh führt zahlreiche Belege für diesen Befund an. Gleichwohl weist sie die These von einem Schattendasein des Naturschutzes in den ersten Dezennien der Bundesrepublik mit Nachdruck zurück. Tatsächlich seien vor allem die 1960er-Jahre als eine Phase zunehmender Professionalisierung der territorialen Naturprotektion auszumachen. In ihnen wurde das im Reichsnaturschutzgesetz von 1935 ehrenamtlich eingerichtete Bezirksbeauftragtenwesen nicht nur in die - wenn auch bloß weiterhin beratungs- und nicht weisungsbefugte - Hauptamtlichkeit überführt, sondern auch die Aufgabenpalette des Naturschutzes drastisch erweitert. Die Entwicklungsrichtung dieses Prozesses rekonstruiert die Autorin anhand von "lebensgeschichtlichen" Interviews mit sechs ehemaligen nordrhein-westfälischen Bezirksbeauftragten. Hinzu kommt die Auswertung der von ihnen archivalisch nachgelassenen Akten sowie der Bestände ihrer in den 1950er-Jahren tätigen Vorgänger, unter denen Mathias Schwickerath und Wilhelm Lienenkämper hervorstechen. Die Deutung dieses Quellenkorpus verweist auf einen generationellen Bruch, der sich ideell und arbeitspraktisch niederschlug. Obwohl sich die Beauftragten der Ära nach Adenauer aus jenen Berufsgruppen rekrutierten, denen auch die Vorläufer entstammten - in erster Linie Lehrer, gefolgt von Forstfachleuten -, leiteten sie eine Ablösung von ästhetischen und heimatverbundenen Dispositionen ein, die den Naturschutz bis dahin bestimmten. Statt lediglich einzelne markante Areale unter Schutz zu stellen, ging die junge Elite des Naturschutzes daran, den massentouristischen Erholungswert von Naturparks auszumessen, Fragen der Abfallbeseitigung zu sondieren, Kulturlandschaften insgesamt in den Blick zu nehmen und "den Übergang vom Konservieren zum Gestalten" (410) einzuleiten. Gleichzeitig etablierten sich die Beauftragten 'neuen Typs' in ihrem administrativen Umfeld. Dabei galt es, die eigene, vom inzwischen der Länderhoheit übertragenen Reichsnaturschutzgesetz verbürgte Unabhängigkeit immer wieder gegen Regierungspräsidenten zu verteidigen. Auch zu diesem Zweck bedienten sich die Beauftragten unkonventioneller Präsentationsformen. Sie mobilisierten die Presse und leiteten Kampagnen zur 'Aufklärung' der Öffentlichkeit ein. Teilweise konnten sie sich bereits das Fernsehen zunutze machen. Außerdem waren sie mobiler und umtriebiger als die ehemalige Naturschutzkohorte. Lokale und kleinräumige Loyalitäten, die dem Naturschutzengagement jahrzehntelang den Stempel aufgedrückt hatten, waren ihnen weitgehend fremd. Die Bezirksbeauftragten der 1960er-Jahre agierten flächendeckend und in aller Regel - bei erwiesener Konzessionsbereitschaft im Einzelnen - zweckgerichtet.
Die mit einiger Empathie wiedergegebenen Erinnerungen der NRW-Bezirksbeauftragten lassen eine Trendwende innerhalb des Naturschutzes aufscheinen. Seine einschlägigen, von einer Verzehnfachung der offiziell aufgebrachten Sachmittel immens beförderten Aktivitäten und Inszenierungen bildeten unverzichtbare Schritte auf dem Weg zum Landschaftsgesetz von 1975 und zu einer diese legislative Maßnahme begleitenden grundlegenden bürokratisch-institutionellen Umstrukturierung des ins breite Feld des Umweltschutzes eingebetteten Naturschutzes. Die davon induzierte Verstrebung von Natur und Umwelt bildete allerdings nicht den augenfälligsten Kontinuitätsbruch im Naturschutzhandeln. Eine ausschlaggebende Zäsur sei weit früher auszumachen. Sie habe sich mit der erwähnten Verwissenschaftlichung und Professionalisierung des Aufgabengebiets unter der Kuratel ambitionierter Sachverständiger in den 1960er-Jahren vollzogen.
Der Binnenlogik der Leh'schen Argumentationsführung folgend erscheint diese Behauptung in der Tat plausibel. Eine um externe Einsichten erweiterte Rückschau auf die Zeitgeschichte des deutschen Naturschutzes zwingt jedoch zu Einschränkungen und Einwänden, die methodische Aspekte zwangsläufig streifen müssen. Knapp gehalten lassen sich folgende Monita anführen.
Zunächst stellt sich die Frage nach der Repräsentativität der ermittelten Ergebnisse. Wenn von über zwanzig zwischen 1945 und 1975 tätigen Bezirksbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen nur noch sechs als Interviewpartner zur Verfügung stehen, erscheint die verfahrenstechnische Decke der Oral History etwas dünn. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass für den Regierungsbezirk Detmold, einem von insgesamt fünf Bezirken, kein befragbarer Zeitzeuge zur Verfügung stand. Darüber hinaus findet das brisante Problem, inwieweit die fachspezifische Entwicklung in NRW auf die Bundesrepublik in toto zu übertragen ist, kaum eine Erwähnung.
Mit Recht streicht die Verfasserin die Professionalisierung des Naturschutzes und seiner Protagonisten nach 1960 heraus. Die Beobachtung, dass damit eine Emanzipation von Heimatschutzintentionen einherging, trifft zu. Doch es bleibt durchaus unklar, wie es zu dieser Abnabelung, die mit einem gesteigerten ökologischen Belastungsdruck denkbar wenig zu tun hatte, gekommen ist. In diesem Zusammenhang hätte der rasante Niedergang der zwischen 1945 und 1955 gesellschaftspolitisch eminent aufgewerteten Heimatideologie vor dem Hintergrund der fortschreitenden westdeutschen Westernisierung oder Liberalisierung diskutiert werden müssen. Da eine entsprechende Erörterung unterbleibt, gelangt Leh zu dem mehrfach ventilierten Urteil, die altgedienten Naturschutzbeauftragten der unmittelbaren Nachkriegszeit seien bereits 'entideologisiert' gewesen. Ihre Arbeit habe vorrangig ästhetisch-kulturellen Zielen gedient, die jenseits aller politischen Ansprüche gelegen hätten. Diesem Befund ist entschieden zu widersprechen. Der Naturschutz der jungen Bundesrepublik sah sich bis weit in die 1950er-Jahre hinein in die Pflicht genommen, mit seinen musealisierenden Mitteln einer vermeintlich ethnisch adäquaten Akkulturation der Deutschen Vorschub zu leisten. Die Äquidistanz dieses volkspädagogischen Auftrags zum Osten wie zum Westen war ausgemacht und seine kategoriale Grundierung durch 'Stamm' und 'Landschaft', 'Volkstum' und 'Kulturraum' deutete politische Absichten sowie weltanschauliche Normierungen nicht bloß unterschwellig an.
Die Fixierung auf die numerisch geringfügige Gruppe der NRW-Bezirksbeauftragten begünstigt eine weitere Annahme, der nicht ohne weiteres zuzustimmen ist. Die 'gestalterische Wende' des Naturschutzes erfolgte nämlich nicht um 1960, sondern gut zwanzig Jahre früher. Nahezu sämtliche Komponenten, die in der jungen bundesdeutschen Landespflege bzw. Landschaftsgestaltung zum Tragen kamen, sind um 1940 - und wie ausdrücklich hervorgehoben werden muss - meistens im direkten Kontext des rassistischen Raub- und Vernichtungskrieges theoretisch, mitunter sogar praktisch vorweggenommen worden. Die bis 1960 mangelnde Bereitschaft der örtlichen und regionalen Naturschützer, aktive Gestaltungselemente umzusetzen, führte schon im Krieg und erst recht danach zur Arbeitsteilung zwischen einem kreativen und einem konservatorischen Naturschutzansatz. Damit war die Hegemonie der reinen Schutzaspirationen gebrochen. Die Missbilligung, die die Einrichtungen der landschaftlichen Gestaltung nach 1945 durch die Mehrheit der 'vor Ort' engagierten Naturschützer erfuhren, änderte übrigens nichts daran, dass die Anliegen dieser Institutionen von prominenten Naturschützern wie Klose, Schwenkel, Münker u. a. weiterhin unterstützt wurden. Sie waren sich der intentionalen, gleichsam der denkstilistischen Deckungsgleichheit der beiden Naturschutzflügel durchweg bewusst.
Die Bedingungskonstellationen der behördlichen wie der bürgerschaftlichen Umweltambitionen in den 1970er-Jahren werden möglicherweise zu linear nachgezeichnet. Gewiss ist es richtig, dass das innergesellschaftliche ökologische Krisenempfinden rasch wuchs. Aber was waren die essenziellen Gründe dafür? Kann man primär eine objektiv anschwellende Gefahrenlage anführen oder spielte der erstmals gesamtsozial üppig genossene Wohlstand eine entscheidende Rolle? Kann es sein, dass erst die materiellen Voraussetzungen geschaffen sein mussten, bevor man Rachel Carson zu Kenntnis nahm und sich durch multimedial vermittelte Reportagen über globale ökologische Desaster 'sensibilisieren' ließ? Und welche Bedeutung kam der Ölkrise zu? Die Offenheit solcher Fragen unterstreicht, dass Almut Leh ein in vieler Hinsicht quellennahes, informatives Buch vorgelegt hat, dessen historisch-analytische Tragfähigkeit jedoch an einigen Stellen zu wünschen übrig lässt.
Willi Oberkrome