Claudia Hattendorff: Napoleon I. und die Bilder. System und Umriss bildgewordener Politik und politischen Bildgebrauchs, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2012, 288 S., 180 Abb., ISBN 978-3-86568-649-7, EUR 49,00
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Claudia Hattendorff: Die Suche nach der Nationaltradition in der französischen Malerei. Kunstliteratur und nationales Bewußtsein im 19. Jahrhundert, Freiburg/Brsg.: Rombach 2004
Die vorliegende Arbeit, eine an der Universität Marburg/L. vorgelegte Habilitationsschrift, ist dem Ziel verpflichtet, die vielfältige Bildproduktion unter Napoleon Bonaparte "[...] mit ihren hochkünstlerischen und populären, affirmativen und kritischen, zeitgenössischen und posthumen Segmenten [...]" (12) zu erfassen und einer Differenzierung zuzuführen. Die Autorin legt diesem Credo die Annahme zugrunde, dass alle Bereiche des napoleonischen Bildcorpus potenziell miteinander verbunden sind und demgemäß den "Wechselbeziehungen der einzelnen Bereiche" besondere Bedeutung zukommen würde. Diese Herangehensweise ist an sich nicht neu, sondern findet sich in zahlreichen jüngeren Untersuchungen zur "Bildpolitik" Napoleons. Neu ist hingegen der Ansatz der Autorin, das napoleonische Bildcorpus als "visuellen Redezusammenhang" (13) zu verstehen, "[...] der gemäß Regeln und Konventionen konstituiert und als dominante Wirklichkeitskonstruktion auf ein Publikum hin strukturiert wurde." (13) Hattendorff bezieht sich hier auf Foucaults "Diskursanalyse" (13).
Um diesem anspruchsvollen Ziel gerecht werden zu können, stellt die Autorin in zwei Hauptteilen englische und französische Karikaturen von ca. 1800 bis 1810 mit ihrer charakteristischen Ausprägung unterschiedlicher Images Napoleons affirmative bildliche Äußerungen französischer Provenienz im Zeitraum zwischen 1800 bis 1815 gegenüber. Inhaltlich stehen hier Visualisierungen von Friedensschlüssen Frankreichs mit europäischen Nationen sowie Begegnungen von Monarchen im Zentrum.
Vorangestellt ist diesen beiden Kapiteln ein Abschnitt zur Wirkmächtigkeit von Tod und Auferstehung in der napoleonischen Bildproduktion. Hattendorff kann hier nachweisen, dass verschiedene, mit Napoleons Tod in Verbindung stehende Darstellungen identitätsstiftende Wirkungen des "Bilddiskurses Napoleon" aufweisen. Allerdings berücksichtigt die Autorin eine Facette des Diskursbegriffs zu wenig: Diskurse regeln sich bekanntlich nicht von selbst heraus, sondern sind vielmehr Bestandteile umfassender sozialer Kräfteverhältnisse, von Praktiken der Macht, deren unterschiedliche Urheber bei Hattendorff nicht immer transparent werden. Tod und Auferstehung gewinnen demgemäß eher den Charakter eines übergreifenden "Rahmenthemas" (Jan Białostocki), dessen auffällige Konjunktur sich im Übrigen vor dem Hintergrund der Ikonografie Friedrichs II. von Preußen und Josephs II. relativiert.
Auch für den Bereich der Karikaturen kann eigentlich mehr über die "mediale Dynamik der Bildproduktion" (49) als über vermeintliche "Partizipationsstrukturen" (44 u.ö.) ausgesagt werden. In instruktiver Weise zeigt hier Hattendorff am Beispiel der Bilderfindung des "Little Boney" (53-65), in welcher Weise Bildtraditionen des 18. Jahrhunderts weiterentwickelt wurden und letztlich eine Konkurrenzsituation zum "affirmativen Bilddiskurs" (64) entstand. In der französischen Karikaturproduktion (71-101) regierte hingegen über weite Strecken die Propaganda der französischen Regierung in enger (auch personeller) Abhängigkeit zur "Hochkunst".
Konsequenterweise schließt hier das quantitativ umfangreichste Kapitel "Napoleon und das affirmative Bild, ca. 1797 bis 1813" (103-219) an. Auch wenn das weite Problemfeld der Interaktion und Abgrenzung zwischen Allegorien und Ereignisbildern im Zentrum steht, mag die enge Fokussierung auf Friedensschlüsse und Herrscherbegegnungen verwundern, da sie etwa weite Teile der napoleonischen Porträtkultur ausblendet. Die Autorin meint, nur die Bildproduktion zu den politischen Ereignissen der Jahre zwischen 1801 und 1808 würde sich "aller Medien in gleichem Maße" (103) bedienen. So kann Hattendorff am Beispiel eines Kunstwettbewerbs zum Frieden von Amiens (1802) deutlich machen, dass ein Votum gegen den allegorischen Modus als "Entscheidung für die Ereignismalerei" (117) zu interpretieren ist - noch dazu angesichts der Stellung eines Herrschers, der sich durch ein Wahlvolk legitimieren ließ. In methodischer Hinsicht argumentiert die Autorin - wie im folgenden Kapitel der Bildproduktion zum Konkordat sowie zu den Friedensschlüssen von Lunéville und Amiens - aber weitgehend in traditioneller Weise: Bildformeln, etwa des "pacificateur", werden anhand zahlreicher Bildzeugnisse vorgestellt (118-132), jedoch vorwiegend aus typengeschichtlicher Perspektive und ohne Hinweise auf die zum Teil nicht unbeträchtlichen Textlegenden miteinander in Beziehung gesetzt. Zuweilen wird auch auf das Spannungsverhältnis zwischen der von Hattendorff richtigerweise herausgestellten "Personalisierung und Aktualisierung" (131 u.ö.) auf der einen Seite und der Anwendung traditioneller Typenbildungen auf der anderen Seite zu wenig eingegangen. Nicht wenige Visualisierungen des Konkordats können zudem als Adaptierungen aufklärerisch unterfütterter Bilder religiöser "Toleranz" seit dem späten 18. Jahrhundert interpretiert werden.
Einen dichteren Diskurs im Sinne eines visuellen Komplexes aufeinander verweisender Bildaussagen kann Hattendorff in den Bildern von Jean-Baptiste Wicar und François Gérard zum Konkordat ausmachen (143-153). Hier wird der Bildgebrauch - auch aufgrund der guten Quellenlage - im Sinne einer "diplomatischen Parallelrealität" (153) besonders deutlich. Vor dem Hintergrund der umfangreichen Bildproduktion zu den Friedensverhandlungen von Leoben bis Erfurt und der Begegnung zwischen Napoleon und Kaiser Franz II. (I.) in Mähren (1805) macht die Autorin drei unterschiedliche Möglichkeiten der Visualisierung des "aspect politique" eines politischen Ereignisses aus: das "pseudo-dokumentarische", das "exemplarische" und das "genrehafte" Bild. Hier stellt sich die Frage, ob diese Attributsetzungen vielleicht weniger getrennte Ansätze und Modi verkörpern, als vielmehr in ein und derselben Bildprägung auftreten können. Gerade in diesem Sinn einer raffinierten Nobilitierung eines scheinbar nebensächlichen Ereignisses argumentieren Gros und Prud'hon in ihren Visualisierungen der Begegnung Napoleons mit dem Kaiser von Österreich. Im Gegensatz dazu verkörpert der von Napoleon an Vivant Denon erteilte Auftrag zur Verbildlichung der Ereignisse von Tilsit (1807) in Form von 15 Stichen ein geschlossenes Corpus an Darstellungen (168-183), die - wie Hattendorff zu zeigen vermag - eine ingeniöse Verbindung aus nahsichtiger Figurenwiedergabe und topografischer Fernsicht umsetzen.
Hattendorff ist sicher hinsichtlich der Formulierung zuzustimmen, dass der "Bilddiskurs Napoleon" als exzeptionell (211) zu bezeichnen ist. Das "Wirkmoment Bildrealismus" (233), dem im Buch eine essentielle Funktion zugesprochen wird, wäre allerdings stärker im Rahmen der gesamteuropäischen Entwicklung sowie in seiner dialektischen Funktion in Bezug auf die Rezeption traditioneller Typenbildungen zu hinterfragen. Der in Anschlag gebrachte Diskursbegriff kann hingegen nur soweit eine tragfähige Anwendung finden, als die wechselhaften Praktiken der sozialen, ökonomischen und politischen Machtverhältnisse sowie der Kommunikation in allen Bereichen des Lebens in stärkerer Weise einbezogen werden. Wahrscheinlich kann erst dann vollends deutlich werden, in welcher Hinsicht sich die Konstruktion einer medial vermittelten Wirklichkeit im Zeitalter Napoleons von den andersartigen Konzeptionen "Alteuropas" unterscheidet.
Werner Telesko